Die Kritiker

Heinrich Heine will ins Freudenhaus

von

Wie «Die Wanderhure» stammt auch die Romanvorlage zu «Das goldene Ufer» vom Autoren-Duo Iny Lorentz. Das merkt man dem ZDF-Film auch deutlich an.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Miriam Stein («Goethe!») als Gisela Fürnagel, Volker Bruch («Unsere Mütter, unsere Väter») als Walther Fichtner, Trystan Pütter («Hannas Reise») als Diebold von Rennitz, Hans Peter Hallwachs als Mathias, Walter Sittler («Nikola») als Heinrich von Rennitz, Ulrike Folkerts («Tatort – Lena Odenthal») als Elfreda von Rennitz, Oliver Stritzel als Richard, Rolf Kanies («Anonyma – eine Frau in Berlin») als Senneisen sowie Vladimir Burlakov («Marco W. – 247 Tage im türkischen Gefängnis») als Heinrich Heine


Hinter den Kulissen:
Regie: Christoph Schrewe, Buch: Benjamin Hessler und Florian Oeller nach einem Roman von Iny Lorentz, Musik: Marcel Barsotti, Kamera: Mathias Neumann, Produktion: TV60Film

Gisela Fürnagel ist eine Magd. Ihren Lebtag muss sie tun, wie immer ihr befohlen. Walther Fichtner ist ein Knecht. Seinen Lebtag muss er tun, wie immer ihm befohlen. Abgesehen davon haben die beiden aber nicht wirklich viel gemein. Denn Walther (Volker Bruch) macht eigentlich alles wie gefordert. Seinem Herrn, Diebold von Rennitz (Trystan Pütter), dem Sohn der gleichnamigen Adelsfamilie, dient er aufrichtig und schickt sich an, eine Position zu erreichen, die Seinesgleichen damals üblicherweise verwehrt blieb. Gisela (Miriam Stein) hingegen ist ein Freigeist: Sie sieht nicht ein, warum die Position eines Jeden von Gottes Gnade abhängen soll. Und Gisela hat einen Traum: Nach Amerika will die Magd, dort wo aus ihrer Sicht die Freiheit wartet. Aber alleine will sie nicht gehen – nicht ohne Walther. Doch nicht nur, dass die Liebe der beiden ihre Schwierigkeiten mit sich bringt, auch ist Walther nicht so ganz davon überzeugt, das Land zu verlassen.

In Hannover leben beide, auf dem Gut der Familie von Rennitz im Jahre 1825, Vormärz. Die langsam beginnenden Zeiten des Umbruchs lassen sich auch bei der Adelsfamilie spüren. Auf einem benachbarten Gut wird ein betagter Knecht des Diebstahls beschuldigt. Sofern der Flüchtige gefunden wird, soll er mit dem Tode bestraft werden. Dabei wollte jener doch nur ein Stück Brot zum Überleben. Trotz seiner aufopferungsvollen Arbeit hat er nämlich zu wenig, um ordentlich damit zurecht zu kommen. Zeitgleich steckt das Rennitz-Gut aber auch in wirtschaftlichen Schwierigkeiten: Weil man über Jahrzehnte hinweg Raubbau betrieben hat, ist die Holzqualität mangelhaft, einen Abnehmer zu finden nicht besonders einfach. Da er ihm einiges zutraut, überträgt der Vater von Diebold, Heinrich von Rennitz (Walter Sittler), Knecht Walther die Verhandlungsmacht.

«Das goldene Ufer», so heißt der neueste ZDF-Historienfilm, der diese Geschichte erzählt. Wie auch bei den drei Teilen der «Wanderhure» sowie beim Film «Die Pilgerin» stammt die Romanvorlage zur Produktion vom Autoren-Duo Iny Lorentz. Das Buch gehört zur zweiteiligen Auswanderer-Reihe, als weiterer Roman würde sich somit auch noch „Der weiße Stern“ zur Verfilmung anbieten. So weit ist es aber selbstredend noch nicht, zunächst einmal soll ja der Vorgänger überzeugen. Nicht anders als bei der «Wanderhure» lohnt es sich vor allem, keine historisch-authentische Produktion zu erwarten sondern eine klassische ZDF-Sonntagsromanze, die in diesem Fall einfach in der Vergangenheit spielt. Ein wenig historische Anmutung kommt durch diese Tatsache hinzu, viel mehr allerdings auch nicht.

Das jedoch ist nicht anders beabsichtigt, intellektuelles Historiendrama will der Film nicht sein. Ohnehin agieren die beiden Protagonisten alles überstrahlend. Das zeigt nicht nur die auf die Beiden fixierte Story, auch die Kamera macht es wieder und wieder klar, wählt dabei interessante Perspektiven auf die Hauptfiguren. Doch nicht genug: Auch die beiden Darsteller selbst machen deutlich, dass ihre Figuren das Nonplusultra sind – und das im positivsten Sinne. Gerade den beiden Protagonisten schaut man außerordentlich gerne bei ihrem Spiel zu. Sie agieren herrlich ambivalent und stets glaubhaft. Walter Sittler oder Ulrike Folkerts bleibt in ihren Nebenrollen da kaum eine Chance aufzutrumpfen.

Im Gegensatz zu üblicherweise gewählten Tönen in vergleichbaren Produktionen, bringt der Film dann auch eine satte Farbgebung mit sich, was den Lebensmut unterstreicht, der sich trotz des oft negativen Menschenbilds behauptet. Das ist besonders erstaunlich, weil das Ende nicht nur besonders drastisch ist, sondern es dem Buch zugleich nicht besonders einfach macht, das positive Bild aufrechtzuerhalten. Diese Gratwanderung meistert der Film aber durchaus erfolgreich. Und auch in anderen Momenten weiß die Produktion schließlich zu überraschen, zum Beispiel dann, als plötzlich Heinrich Heine auftaucht. Diese Szene beweist den Humor der Autoren. Mit dem Satz „Träum ich von Deutschland in der Nacht bin ich im Nu aufgewacht“, wird Heine zitiert, nur um dann festzustellen, dass er daran wohl noch arbeiten muss.


Aber auch was die Geschichte anbelangt, trägt die Begegnung von Walther mit Heinrich Heine ein großes Stück zur Entwicklung bei. Obwohl der Auftritt des Dichters nur von kurzer Dauer ist, so handelt es sich doch um einen Schlüsselmoment. Nicht nur, dass sich Walther nach dem Gespräch mit Heine (zu dessen Verwunderung) gegen den Besuch bei einer Dirne entscheidet, für die er einen Gutschein von seinem Herrn erhalten hat. Nein, auch erklärt Heine das Wesen der Freiheit. Ein weißes Blatt sei Amerika, das die Möglichkeit, aber auch die Pflicht mit sich bringt, es für sich zu zeichnen. Nicht ohne Pathos kommen diese Momente aus, doch sie bringen den Film ohne Frage weiter. Dabei schadet es jedoch allzu sehr, dass man die hinter dem Gutschein steckende List des Herrn von Rennitz meilenweit gegen den Wind riechen kann – Walther soll den Besuch des Freudenhauses nicht allzu wohl überstehen. Und auch das grandiose Missverständnis zwischen Walther und Gisela, die glaubt, dass ihr Geliebter die Möglichkeit zur Kopulation wahrnimmt, ist viel zu offensichtlich. Immerhin: Nicht zu einfach machen es sich die Autoren, in den Charakterzeichnungen. Hier wurde nicht nach dem simplen Schema „Böser Adel, gutes Volk“ vorgegangen. Besonders vielschichtig sind die Figuren aber im Allgemeinen dennoch nicht.

Vor allem aber die (vor-) revolutionären Zeiten, werden nur in wenigen Momenten direkt greifbar gemacht. Ja, der Zuschauer kann sie erahnen, aber die nötige Präsenz hat man eben nicht sichergestellt. Im Anbetracht der Rahmenbedingungen um den Romanzen-Sendeplatz und die Romanvorlage dürfte man aber ohnehin kein glaubhaft-intensives Historienstück erwartet haben. In diesem Punkt aber ist der Film jedoch sicher am weitesten davon entfernt. Dafür wird es in der Produktion dann sogar noch überraschend intensiv. Dieser Fakt und das starke Protagonisten-Duo stellen schließlich sicher, dass «Das goldene Ufer» positiv überrascht. Nicht übermäßig schnulzig, nicht unnötig seicht ist der Film letztendlich. Wem der übliche ZDF-Sonntag etwas zu viel Schleim mitbringt, dem sei das Einschalten empfohlen. Eine Romanze bleibt die Produktion aber freilich dennoch.

«Das goldene Ufer» gibt es am Sonntag, 5. April um 20.15 Uhr im ZDF zu sehen.

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