Die «Anstalt» im Jahresvergleich
- 2012: 3,03 Mio. (13,3% / 6,5%)
- 2013: 3,03 Mio. (14,7% / 6,6%)
- 2014: 2,54 Mio. (12,5% / 7,4%)
- 2015 (nach zwei Folgen): 2,15 Mio. (12,3% / 6,9%)
Durchschnittliche Werte aller Folgen pro Jahr.
Regelmäßige Zuschauer dürfte das nur bedingt überraschen, hat sich «Die Anstalt» unter ihren neuen Leitern doch deutlich gewandelt: Von einer launigen Unterhaltungssendung mit einigen schmerzhaften Hieben gegen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu einer Aufklärungsstunde in politischer Bildung, bei der dem Publikum immer häufiger mehrere Minuten lang jedes Lachen im Halse stecken bleibt, wenn vor allem die Hauptdarsteller ihre scharfzüngigen Monologe halten. An dieser Stelle nun das Bild einer humorbefreiten Zone des Kulturpessimismus zu zeichnen, wo zuvor eine reine Jux-Veranstaltung vorherrschte, täte sicher allen Beteiligten Unrecht. Schon Priol und Pelzig haben diverse Beiträge mit aufklärerischem, ernstem Fokus in die Sendung integriert, auch Uthoff und von Wagner versuchen stets, unterhaltsame und vorwiegend amüsante Passagen einzubauen.
Dennoch lässt sich eine schrittweise Verschiebung der Grundausrichtung in eben jene Ernsthaftigkeit der «Anstalt»-Folgen beobachten. Als Symbol dessen kann man das Whiteboard verstehen, das seit dem vergangenen Jahr regelmäßig zum Einsatz kommt, um besonders komplexe politische Zusammenhänge und Verstrickungen so anschaulich wie möglich darzustellen. Schon Pelzig nutzte dieses Konzept zweimal in «Neues aus der Anstalt», doch zu einem festen Bestandteil wurde es erst im Laufe des vergangenen Jahres. Und für Ärger sorgte es auch schon, nachdem man zwei Zeit-Journalisten eine zu hohe Anzahl von Mitgliedschaften in NATO-freundlichen Elitenetzwerken nachgesagt hatte, durch die vor allem in der Ukraine-Krise die Sachlichkeit der Berichterstattung fraglich sei. Die Zeit-Verantwortlichen erwirkten zunächst eine einstweilige Verfügung gegen die Ende April 2014 ausgestrahlte Sendung, scheiterten anschließend jedoch anschließend vor dem Landgericht Hamburg.
Es sollte nicht der letzte kontroverse Beitrag der Protagonisten bleiben. Im September widmete man sich abermals der Berichterstattung deutscher Medien im Rahmen der Ukraine-Krise, sprach von einer "Generalmobilmachung" westlicher Medien gegen Russland und die mutmaßlich von ihnen unterstützten Separatisten im Osten der Ukraine, bei der "die Meinungsvielfalt auf Schießschartengröße geschrumpft" worden sei. Es folgte eine tagelange Debatte, ob man mit dieser drastischen Darstellung der angeprangerten journalistischen Missstände einen wertvollen Beitrag zu einer differenzierteren Herangehensweise geleistet oder eher den Verschwörungstheoretikern eine Steilvorlage geliefert hat, die über die angeblich gleichgeschalteten System-Medien schwadronieren. Letztlich kann man den Vorstoß der Kabarettisten allerdings auch als vielleicht wirkungsvollstes Mittel gegen eben jene "Lügenpresse"-Verunglimpfungen betrachten - denn wodurch zeichnen sich gleichgeschaltete Medien weniger aus als durch die Akzeptanz konträrer Meinungen?
Der wohl größte Coup des «Anstalt»-Teams gelang dann zwei Monate später im November, als man sich zur Hochzeit von Pegida der Flüchlingspolitik zuwandte und das Schlusswort der Sendung dem syrischen Flüchtlingschor "Zuflucht" überließ. Für diesen "emotionalen Moment", der einen "kalkulierten Bruch mit den Konventionen des Kabaretts" bewirkte, wurden die Hauptdarsteller und Redakteur Dietrich Krauß sogar mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Was den neuen Verantwortlichen auf Anhieb gelang, schaffte «Neues aus der Anstalt» in den knapp sieben Jahren seines Bestehens niemals - mehr als eine Nominierung für den renommierten Medienpreis sprang nicht heraus.
Stoff für weitere potenzielle Fernsehpreise liefert das Format auch in diesen Tagen wieder durch seine jüngste Ausgabe zur Griechenland-Politik. Auch hier ist vor allem das Ende der Sendung bemerkenswert emotional geraten, als man einen Griechen live im Studio zu Wort kommen lässt, der 1944 als Kind von der deutschen Wehrmacht überfallen wurde und seither vergeblich um Entschädigung für die angerichteten Schäden kämpft. Aber auch der zuvor aufgeführte Dialog zwischen den Hauptmoderatoren ist dahingehend bemerkenswert, dass es ihm innerhalb weniger Minuten gelingt, die jahrzehntelange Trickserei der Bundesrepublik bezüglich ausstehender Reparationszahlungen zu demaskieren.
Dieser Ausschnitt, der äußerst gekonnt harte Inhalte mit einem hoch emotionalen Moment kombiniert, hat sich nach seiner Veröffentlichung in der ZDF-Mediathek zu einem viralen Hit gemausert - auch dank eines Users, der den Content mit griechischen Untertiteln auf der Facebook-Seite "Ich bin Grieche" hochgeladen hat. Betreffenden Clip haben inzwischen über eine Million Menschen alleine auf dieser Seite angeklickt, weitere gut 400.000 sahen ihn bei Youtube. Fernab dieser rein numerischen Erfolge sendet diese Form der Auseinandersetzung mit der kontrovers diskutierten Griechenland-Politik aber auch ein wichtiges inhaltliches Signal an den Zuschauer, vor allem aus Deutschland: Das Thema ist zu komplex, um es auf plumpe Griechen-Schelte runterzubrechen und getrickst wird bei der Rückerstattung von Schulden wahrlich nicht bloß auf einer Seite. Daran zu erinnern, ist umso wichtiger, wenn anderenorts "griechische Politiker am Stinkefinger durchs Studio gezogen" werden - wie es Jan Böhmermann kürzlich in seinem Varoufake-Video formulierte.
Letztlich ist die Frage der Qualitätssteigerung oder -minderung eine der Perspektive, aus der man auf das Format blickt. Die Sendung ist härter und ernster geworden, als sie zuvor jemals war und schreckt nicht davor zurück, eine klare Haltung in brisanten und komplexen Sachverhalten einzunehmen. Die Humordosis wurde mit der Übernahme von Uthoff und von Wagner schrittweise zurückgefahren, der Zuschauer bekommt zunehmend schwere und vor allem schwer verdauliche Kost geboten, der man häufig kaum ohne ein höheres Maß an politischem Interesse und Vorkenntnis gewachsen ist. Sich derartigen Stoff anzuschauen, der den Betrachter nachdenklich und mitunter gar betrübt zurücklässt, ist unangenehm, kann emotional runterziehen und ist damit auch gewiss nicht jedermanns Sache. Der Erkenntnisreichtum, den man aus den 45-60 Minuten «Anstalt» extrahieren kann, ist allerdings bisweilen so groß, dass viele reine Dokumentationen und Reportagen dagegen sehr alt aussehen.
Ohnehin hatte man in der jüngeren Vergangenheit häufig das Gefühl, dass sich die Satire- und Kabarett-Formate der öffentlich-rechtlichen Anstalten zunehmend als Aufklärungsmedien verdient machen - was man wahlweise als Lob eben jener Sendungen oder Kritik am originären Informationsangebot betrachten kann. Uthoff und von Wagner sprechen eine verhältnismäßig kleine Bevölkerungsgruppe an, die beim Wahlspruch "prodesse et delectare" einen besonders hohen Anteil des aufklärerischen Aspekts realisiert haben möchten, sich selbst ebenso hinterfragen wie die Gesellschaft, in der sie leben und einen Reiz darin sehen, eine Fernsehsendung desillusioniert und mit innerer Zerrissenheit zu verlassen. Alle anderen machen hingegen einen immer größeren Bogen um die «Anstalt», weshalb wohl auch in Zukunft die großen Quotenerfolge ausbleiben werden.
Es wird interessant zu beobachten sein, ob das ZDF auch in Zukunft eine solche Abkehr vom Mainstream hinnehmen und diese zutiefst unangenehme, kritische und nachdenklich stimmende Sendung weiter fördern möchte, um auch bei einer Bevölkerungsschicht präsent zu sein, die mit zunehmender Skepsis auf die deutsche Medienlandschaft blickt. Ein wichtiges Signal für gelebte Meinungsvielfalt wäre es allemal - vor allem in Zeiten, wo sich an anderer Stelle patriotische Europäer und neue Partei-"Alternativen" mit weitaus fragwürdigeren Methoden positionieren, um all jene Unzufriedene und Skeptiker einzufangen, die sich von den Rautenhänden einiger Spitzenpolitiker nicht hypnotisieren lassen.
Es gibt 3 Kommentare zum Artikel
04.04.2015 15:44 Uhr 1
04.04.2015 17:45 Uhr 2
Würde man solche Inhalte in der Schule oder im Studium lernen, bräuchte es die Anstalt nicht. Bei acht Sendungen pro Jahr hält sich auch die "Gebühren-Verschwendung" sehr in Grenzen.
Muss das öffentlich-rechtliche Fernsehen auch "aufklären"? Ja. Es laufen zig Dokus rund um die Uhr. Phoenix, ARD Alpha und ZDF info sind zum Großteil reine Dokusender mit Hitler als Hauptdarsteller ...
Ob Informationen jetzt in Dokus, in Nachrichten-Magazinen oder in einer Kabarett-Sendung vermittelt wird, ist doch zweitrangig. Hauptsache die Infos werden verständlich und kompakt übermittelt.
Wer "Die Anstalt" nicht sehen will, kann sich ja an den anderen Kaberett- und Comedy-Sendungen erfreuen. Der Satire-Gipfel mit Dieter Nuhr ist selten kritisch. Noch unkritischer ist Mario Barth auf RTL. Da können sie Lachen, oder vorher die Tagesschau gesehen haben zu müssen.
Noch zum Thema Gebühren: Mit meinen Gebühren wird auch zum Großteil nur Sachen finanziert, die mich nicht interessieren. Traumschiff-Folgen. Musikantenstadl. Lindenstraße. Live-Berichterstattung über irgendwelche Olympiaden. Vorabendserien. Tierdokus, Quizshows mit Jörg Pilawa, ...
Von daher bin ich froh, wenn mit meinen Gebühren auch mal was sinnvolles mit Inhalt und Niveau produziert wird. Wem das nicht gefällt (Geschmäcker sind verschieden!), der wird and diesen acht Sende-Stunden im Jahr bestimmt auf einem anderen Kanal etwas sinnvolles finden.
Und wer meint, dass Merkel immer toll ist, Putin böse, Griechen faul und der Euro alternativlos ist, der darf gerne weiterhin die Bildzeitung lesen ...
Wenn das ZDF mal keine Lust mehr auf "Die Anstalt" hat, soll man halt das Format um 20:15 Uhr auf 3Sat ausstrahlen. Dann sind die Quoten kein Thema mehr und die Kritiker können sich dann eine 37-Grad-Dokumentation ansehen, wie sich irgendwelche Leute einen Bauernhof kaufen. Zum Glück sind solche Sendungen dann keine Gebührenverschwenung ...
10.04.2015 20:03 Uhr 3