Kompetent, nicht krass
Wie sollten Nachrichten einem jungen Publikum vermittelt werden? Und wie sehr müssen sie sich den Mediennutzungsgewohnheiten des Smartphone-Zeitalters anpassen? Der WDR beantwortet diese Fragen mit «WDR #3sechzich» auf radikalem Wege: Die YouTube-Nachrichten haben beim Versuch, nicht öffentlich-rechtlich zu wirken, auch glatt ihre Aussagekraft verloren. Dafür hagelte es harsche Kritik. Wenn «heute +» hält, was die ersten Beiträge versprechen, werden die Mainzer deutlich besseres Feedback ernten: «heute +» sieht nicht aus wie semi-professionelle YouTube-Filmchen, sondern ist kompetent gemacht – gleichzeitig aber so fesch und kompakt, dass es in einen modernen, jungen Kontext passt. Keine Jugendsprache, die in wenigen Tagen eh veraltet ist. Sondern eine frische Umsetzung. So geht das.Kurz kommentiert von Sidney Schering
Dieser Bericht wird am Ende der Clips verlinkt sowie via Twitter beworben und ist mit knapp zweieinhalb Minuten Länge deutlich informativer als die Facebook-Trailer mutmaßen lassen: Der Historiker und Jurist Andrej Umansky erklärt darin, wie er und andere 'Nazi-Jäger' in mühseliger Recherchearbeit gegen NS-Verbrecher in der Bundesrepublik ermitteln. Mit stilisierter, aber nicht gezwungen hypermoderner Optik (so wird altes Filmmaterial aus der Nazi-Zeit in einen Raum voller Akten projiziert) buhlt der Beitrag um die Aufmerksamkeit der User und schafft ein Stimmungsbett für diesen knappen, doch aussagekräftigen Beitrag.
Ein weiteres «heute +»-Video von etwas weniger als 105 Sekunden Länge fasst derweil mit raschen Schnitten und äußerst moderner Optik die Hintergründe zum GDL-Streik zusammen. Neues zu dieser in Fernsehnachrichten viel besprochenen Angelegenheit gibt es darin nicht, allerdings wird alles Wissenswerte übersichtlich gebündelt. Aus diesen ersten Clips wird deutlich: «heute +» möchte nicht zwingend die allerneusten Fakten präsentieren, sondern sich aus dem tagesaktuellen Themenfeld bedienen, um kompakt Vorwissen oder weiterführende Informationen zu diesen Ereignissen zu vermitteln. Wie genau dieses Ziel verfolgt wird, ist in den ersten Beiträgen noch nicht ganz einheitlich. Aber im Moment muss ja auch gar nicht alles perfekt sitzen: Bis zum Launch des «heute +»-Magazins im linearen Fernsehen haben die Verantwortlichen noch viel Zeit, ihre eigene, jugendaffine Stimme zu finden und die Bild- und Klangästhetik der Beiträge zu verfeinern.
Dass dieser Probelauf in den sozialen Netzwerken stattfindet und somit vor einem aktiven, Rückmeldungen gebendem Publikum ist im deutschen Fernsehbetrieb noch immer eine ungewohnte Methode – aber eine, die Potential hat. Ersten Einfluss hatten die User schon: Anlässlich des Twitter-Feedbacks wurde innerhalb des ersten Tages, den «heute +» in der Medienwelt verbrachte, der Social-Media-Auftritt des Formats optisch vereinheitlicht. Die «heute +»-Selbstbeschreibung „Nachrichten zum Mitreden“ wird demnach in die Tat umgesetzt. Abschiednehmen heißt es derweil von der ähnlich betitelten ZDFinfo-Sendung «heute plus»: Die 'Nachrichten über Nachrichten' werden am Freitag letztmalig über den Äther geschickt.