Die Kino-Kritiker

«Die abhandene Welt»

von

Die deutsche Regisseurin Margarethe von Trotta widmet sich in ihrem neuen Film dem schwierigen Thema der Familienzusammenführung. Als ähnlich sperrig erweist sich der Film.

Filmfacts: «Die abhandene Welt»

  • Kinostart: 07. Mai 2015
  • Genre: Drama
  • FSK: 0
  • Laufzeit: 100 Min.
  • Kamera: Axel Block
  • Musik: Sven Rossenbach, Florian van Volxem
  • Buch und Regie: Margarethe von Trotta
  • Darsteller: Katja Riemann, Barbara Sukowa, Matthias Habich, Robert Seeliger, Gunnar Möller, Karin Dor, August Zirner
  • OT: Die abhandene Welt (D 2015)
Die Regisseurin und Schauspielerin Margarethe von Trotta ist über 70 – und dennoch legt sie in ungeordneter Regelmäßigkeit immer noch vollkommen unterschiedliche, filmische Werke vor, die seit ihren Projekten «Schwestern oder Die Balance des Glücks», «Die bleiernde Zeit» sowie «Fürchten und Lieben» auch thematisch vielfältiger geworden sind. Vom Ende der Siebziger bis hin zu den späten Achtzigern widmete sie sich mit ebenjenen Dramen dem Thema der Familie sowie deren Zusammenführung; auch noch Jahre später erweist sich diese Thematik für sie als enorm wichtig, wenngleich sich Von Trotta zuletzt einem Portrait über die deutsche Philosophin Hannah Arendt widmete. Ihr gleichnamiges Biopic wurde von Kritikern zwiespältig aufgenommen. Für den Mut, eine umstrittene Frau mit fragiler Nürchternheit zu dokumentieren, wurde sie jedoch auch von Skeptikern gelobt. Ihr neuestes Werk «Die abhandene Welt» lässt Von Trotta nun wieder zu ihren dramaturgischen Wurzeln zurückkehren. Auch thematisch besinnt sich die Filmemacherin ein weiteres Mal auf ihren Ursprungsgedanken des Filmemachens. Beeinflusst von autobiographischen Ereignissen (die Regisseurin erfuhr selbst erst im Erwachsenenalter von der Existenz ihrer Halbschwester) innerhalb von Von Trottas Leben erzählt sie eine Geschichte über die emotionale Bindung zwischen Geschwistern, sie nimmt sich der überforderten, emotionalen Konstrukte innerhalb von Familienbanden an und stellt die Frage nach der Sinnhaftigkeit des bedingungslosen Wissens. Nicht umsonst reißen in «Die abhandene Welt» erst dann die Wunden auf, wenn sich die Familie für das Hinterfragen der eigenen Geschichte entscheidet.

Durch Zufall entdeckt Paul Kromberger (Matthias Habich) im Internet das Foto der US-amerikanischen Operndiva Caterina Fabiani (Barbara Sukowa), die seiner verstorbenen Frau Evelyn zum Verwechseln ähnlich sieht. Er bittet seine Tochter Sophie (Katja Riemann) nach New York zu fliegen und Kontakt zu der vermeintlich Fremden aufzunehmen. Caterina begegnet Sophie abweisend und ohne jede Bereitschaft, Auskunft über sich und ihre Familie zu geben. Ein Besuch bei Caterinas, im Pflegeheim lebender Mutter Rosa (Karin Dor), bestärkt Sophie jedoch in dem Glauben, dass sie der Lösung eines langverborgenen Geheimnissen ein Stück näher gekommen ist. Aber erst als Sophie nach ihrer Rückkehr den Vater zur Rede stellt, kommen die bisher verschwiegenen und verdrängten Familien-Geheimnisse ans Tageslicht, in denen auch Pauls verhasster Bruder Ralf (Gunnar Möller) eine entscheidende Rolle spielt.

«Die abhandene Welt» erzählt ein sperriges Thema – doch die Inszenierung bemüht sich um Leichtfüßigkeit. Margarethe von Trotta, die auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, ist sichtlich daran gelegen, mit ihrem Film kein stures Drama zu erzählen. Gezielt streut sie humoristische Elemente ein, sorgt sich um emotionale Schwenks innerhalb des Skripts und versucht sich im Ansatz daran, ihre Figuren glaubhaft zu karikieren. Die Gegebenheiten für einen faszinierenden Film sind also gegeben. Doch darüber hinaus bietet «Die abhandene Welt» viele Momente der Ratlosigkeit. Dies beginnt bei der technischen Komponente, denn mit der Story-Ansiedelung in der Weltmetropole New York bemüht sich Von Trotta um Internationalität, begnügt sich jedoch zeitgleich mit der ausschließlichen Verpflichtung deutscher Darsteller und scheitert automatisch auf Seiten der Sprachbarriere. Die Kommunikation ihrer Figuren hat mit Authentizität nichts zu tun. Stattdessen wirken die Dialoge gestellt und der deutsche Akzent legt sich wie Ballast auf die Dynamik des Films. Auch der stetige Wechsel der Kulissen, das willkürliche Springen von den USA ins heimelige Düsseldorf, folgt keinerlei Ordnung. Stattdessen scheint es, als lägen beide Städte so nah beieinander, als läge vor Hauptdarstellerin Katja Riemann («Fack ju Göhte») nur eine halbstündige Autofahrt, um sich wieder in den Big Apple zu begeben.

Womit sich sogleich der größte Makel an «Die abhandene Welt» erschließt: Während es der Regisseurin gelingt, das titelgebende Gefühl der Figuren einzufangen und eine aus Zeit und Raum gefallene Atmosphäre zu kreieren, stolpert das Ensemble von Drehbuchschwäche zu Drehbuchschwäche. Eigentlich sind Start- und Zielpunkt genau vorgegeben. Die interessante Grundthematik der potenziellen Doppelgängergeschichte richtet ihren Fokus auf die Erkenntnis von Protagonistin Sophie sowie deren Vater Paul, dass es innerhalb ihrer Familie einen Bereich gibt, der ihnen bislang unverschlossen blieb. Nun gilt es, herauszufinden, was genau dahinter steckt. Anstatt sich auf den Kern der Geschichte zu besinnen und damit das Optimum an Spannung aus dem Plot herauszuholen, besitzt das Skript viele – teils absurde – Wendungen. Eine simpel aufgebaute Lovestory zwischen Sophie und Caterines Agenten Philip ist von solcher Trivialität, dass allein dieser Subplot starke Auswirkungen auf das cineastische Gesamterscheinungsbild hat. Während erkennbar ist, dass die Liebelei dazu dienen soll, der charakteristisch nur seicht umrissenen Sophie einen Hauch von Persönlichkeit zu geben, bleibt der Eindruck der dramaturgischen Notlösung; wann immer die Story zu stocken droht, treibt Robert Seeligers («Der Ghostwriter») Figur die Geschichte wieder an und nimmt dabei nur wenig Rücksicht auf nachvollziehbare Logik.

Auch die Charakterzeichnungen erweisen sich spätestens mit dem Auftauchen von Opernsängerin Caterine als gewöhnungsbedürftig. Angesichts des ungenauen Tonfalls, der sich lange Zeit auf eine dramatische Konzentration beruft, die nur im Einzelnen von humoristischen Elementen durchbrochen wird, sind die Figuren in ihrer Simplizität nah am Rande des Zerrbilds. Wie gewollt das ist, darüber gibt die Story selbst kaum Auskunft. Ob die fast schon enervierenden Attitüde der Operndiva gewollt sind, oder Ausdruck eines mangelnden Verständnisses für glaubwürdige Charakterzeichnung, darüber schweigt sich die Geschichte ebenso aus, wie die Darstellerleistung von Barbara Sukowa («Veronika beschließt zu sterben»). Die spielt, wie ihr vorgegeben. Von einem Verschmelzen mit der Rolle kann allein schon deshalb keine Rede sein, weil sie ihre Doppelrolle der geisterhaften Gestalt der Toten Evelyn mit demselben Gestus verkörpert, wie die von Caterine. Ein mit Absicht inszenierter Wink, der auf die Ähnlichkeit der beiden Frauen anspielen soll oder Skriptdefizite? Vor solchen Fragen lässt «Die abhandene Welt» sein Publikum ähnlich ratlos zurück, wie davor, was Margarethe von Trotta mit ihrer Tragikomödie denn nun auszusagen versucht. Viele der dem künstlerischen Selbstzweck zum Opfer fallenden Szenen, wie die einer wirklich ordentlich singenden Katja Riemann, erwecken den Eindruck, als bestünden sie lediglich, um als Füllmaterial dafür zu sorgen, dass der Film über die obligatorischen 90 Minuten herauskommt.

Fazit: «Die abhandene Welt» verwirrt mehr, als dass das Drama unterhält. Zwar gelingt es Margarethe von Trotta hervorragend, die durch den Filmtitel wegweisenden Emotionen der Figuren greifbar zu machen und eine desorientierte Stimmung auf die Leinwand zu bringen, doch das Drehbuch ist derart voll von merkwürdigen Twists und Entscheidungen, dass die fesselnde Spannung ob des Ausgangs der Geschichte rasch einem durchgehenden Stirnrunzeln weichen muss. Einhergehend mit einer technisch wenig durchdachten Inszenierung und einer Handvoll Anschlussfehlern (das Grab der verstorbenen Evelyn erscheint etwa in zwei komplett unterschiedlichen Ausführungen) erweist sich «Die abhandene Welt» als skurriles Kinoerlebnis, das sich allenfalls als TV-Produktion schlagen könnte, sich in der Vita einer Margarethe von Trotta jedoch als schwarzes Schaf erweist. Auch deshalb, weil das das Finale von einer Überkonstruktion lebt, die fast schon als satirischer Kommentar auf den durchschnittlichen Deutschfilm funktionieren könnte.

«Die abhandene Welt» ist ab dem 7. Mai in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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