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Es kommt bei den «heute+»-Beiträgen darauf an, Nachrichten neu zu erzählen. Da spielt uns die späte Sendezeit in die Hände: Die Meldung hat man vielleicht am Tag schon aufgeschnappt. Die Faktenlage ist den meisten klar. Wir haben die Chance zu erklären, warum wir sie wichtig finden. Was darunter, darüber und daneben stattfindet. [...] Wir diskutieren die Stücke im Newsroom, wir erhalten Feedback darauf in den sozialen Netzwerken – und dabei schärfen wir letztendlich auch unsere Sicht auf die Dinge.
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Moderatorin Eva-Maria Lemke darüber, dass «heute+» nicht einfach neuste Informationen nennen, sondern Hintergründe liefern möchte
Eines der Ziele dieser Vorgehensweise: Die Mainzer möchten durch die zeitnahe Veröffentlichung von Beiträgen über Social-Media-Kanäle junge, webaffine Konsumenten an die «heute»-Familie heranführen. Und wie soll dies erfolgen? Zunächst, ganz webtypisch, durch eine Ansprache des Publikums auf Augenhöhe, so wie sie auch bei «heute plus» erfolgte, der ZDFinfo-Sendung, in der bis Ende April wöchentlich hinter den Nachrichtenbetrieb geblickt wurde. Gemeint ist mit der Ansprache auf Augenhöhe nicht allein die Wortwahl – es soll auch ein Dialog zwischen der Redaktion beziehungsweise den Moderatoren und den Usern respektive Zuschauern einhergehen. Für «heute+»-Moderator Daniel Bröckerhoff ist dies ein wichtiger Schritt nach vorne: „Jahrzehntelang fand Journalismus quasi wie in einem Theater ohne Zuschauer statt. Ab und zu flog ein Brief auf die Bühne, den man in Auszügen abdruckte. Obwohl Journalismus doch eigentlich Kommunikation ist, war es ein abgeschlossenes System, in dem nur wenige Auserwählte sprechen durften. [...] Das geht heute nicht mehr – zum Glück. Auch wenn die Vielzahl und die Art der Wortmeldungen manchmal echt eine große Herausforderung ist, so schätze ich den demokratischen Grundgedanken dahinter.“
Für den Moderator ist diese Entwicklung gerade im aktuellen politischen Klima von Bedeutung: „Demokratie lebt von Beteiligung und Diskussion und die wird nun endlich ein Stück weit mehr möglich. Zum anderen glaube ich, dass Journalismus dabei nur gewinnen kann. Jedes Produkt verbessert sich, wenn man zuhört, wie die Konsumenten es nutzen und was sie daran schätzen und was nicht.“ Nicht nur die Qualität dürfte sich seiner Meinung nach durch diesen verstärkten Dialog mit dem Publikum steigern, sondern auch das Vertrauen in den Journalismus, der aus gewissen politischen Lagern immer häufiger als Lügenpresse bezichtigt wird. „Glaubwürdigkeit muss man sich immer wieder aufs Neue verdienen; sie fällt nicht vom Himmel – auch nicht, wenn man ein etabliertes Medium ist.“ Der Publikumsdialog könnte verdeutlichen, so Bröckerhoff, dass eben nicht hinter jeder redaktionellen Entscheidung eine Verschwörung steckt: „Wir sind auch nur Menschen. Wir machen Fehler, wir haben gute und schlechte Tage, wir haben unterschiedliche Meinungen und Haltungen, aber alle zusammen bilden wir dieses System, das funktioniert, aber nie perfekt sein wird und auch nicht perfekt sein muss. Für Journalisten heißt das: Zuerst müssen die Tatsachen stimmen.“ Darauf könne und solle eine Interpretation der Fakten aufbauen – auch wenn sich deren Bedeutung, je nach Blickwinkel, verändert. „Um glaubwürdig zu sein, müssen Journalisten beweisen, dass sie in der Lage sind, verschiedene Perspektiven einzunehmen, um dem Zuschauer ein möglichst umfassendes Bild zu bieten. Aber auch, dass sie zu Fehlern stehen und sich mit sich selber kritisch auseinandersetzen.“
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Wir wählen einen Blickwinkel, der kritisch ist, die Nachrichten gegen den Strich bürstet und der Lebenswirklichkeit jüngerer Zuschauer entspricht. Nicht nur verstehen, was geschieht, sondern auch, warum etwas geschieht und wieso es in den Mainstream-Medien so dargestellt wird – das ist unser Ansatz, bei dem es auch darum geht, dass sich Zuschauer und User beteiligen können und an der Gestaltung des Formats mitwirken. Insofern schreiben wir die Vernetzung fort – über die verschiedenen Medien hinweg
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Elmar Theveßen, stellvertretender Chefredakteur des ZDF und Leiter der Hauptredaktion Aktuelles, über «heute+»
Eine Trivialisierung der «heute+»-Sendung sei laut Theveßen trotzdem nicht zu befürchten: „Aber deswegen verändert sich der Nachrichtenbegriff nicht. News ist das, was den Unterschied zum bereits Bekannten ausmacht – und da überwiegt meist die negative Nachricht.“ Genauso wenig sei zu erwarten, dass «heute+» Meinungsmache betreibe. Wie Theveßen statuiert, sei Haltung nämlich „nicht mit Meinung zu verwechseln, sondern betrifft allein den Zugriff, den wir für das jeweilige Thema wählen.“ Als Beispiel nennt er einen der ersten «heute+»-Beiträge, die online geteilt wurden – rund um den Bahnstreik und die dazugehörigen Tarifverhandlungen. „Da geht es uns nicht darum, noch einmal die einzelnen Positionen zu schildern – von der Gewerkschaftsforderung über die rituelle Ablehnung der Forderung durch die Arbeitgeber bis zur Schlichtung. Wir schauen da lieber hinter das Ereignis und fragen: Nach welchen Spielregeln läuft dieses Ritual, warum muss es immer dieser Ablauf sein? Und aus dieser Perspektive befragen wir dann auch die handelnden Personen.“
Wie «heute+»-Moderatorin Eva-Maria Lemke fortführt, sind die Beiträge der Sendung darüber hinaus – ganz im Sinne der Onlineaffinität – kürzer und in einem anderen Tonfall formuliert als die «heute»-Clips. Als große Faustregel steht eine Länge von 90 Sekunden im Raum und eine dem angepasste Bild- und Textsprache: „Der Wettbewerb um die Aufmerksamkeit ist in sozialen Netzwerken natürlich härter. Die User sind es gewohnt, dort vor allem unterhalten zu werden. Dem muss man nicht sklavisch folgen. Aber man kann es auch nicht ignorieren.“ Sie ergründet: „Ich fand die strikte Unterscheidung zwischen Unterhaltung und Information schon immer schwierig: Unterhaltung ist nicht per se flach. Und Information nicht von vorneherein spannend. «heute+»-Rezepte, keine Langeweile aufkommen zu lassen, sind schnellere Schnitte, kürzere Erzählstrecken, State-of-The-Art -Grafiken, die richtig animiert werden und nicht wie langweilige Power-Point-Animationen aussehen.“
Mit dieser Bildsprache, die «heute+» anvisiert, gehen auch online-taugliche Einblendngen einher, die vor allem auf eine gute Lesbarkeit auf mobilen Geräten ausgerichtet sind. Dies ist bei den bereits abrufbaren Beiträgen zu sehr zufriedenstellendem Ergebnis gelungen – und auch die Balance zwischen verständlicher, aber kompetenter Sprache wird deutlich konstanter gehalten als bei den YouTube-Nachrichten «WDR #3sechzich». Wie die weiteren Vorhaben des ZDF im Bezug auf «heute+» aufgehen, zeigen wiederum erst die kommenden Wochen.
Es gibt 3 Kommentare zum Artikel
17.05.2015 20:22 Uhr 1
17.05.2015 23:00 Uhr 2
Das war schon immer auch bei "heute nacht" so und liegt wohl in der Natur der Sache, weil das Vorprogramm nun mal nicht jeden Tag gleich (lang) ist.
17.05.2015 23:28 Uhr 3
Ich persönlich frage mich, ob es ein solches Format in dieser Form braucht, im Kern ist es eigentlich nicht neu und wird vermutlich auch die Form der Informationsverbreitung nicht revolutionieren. Das die öffentlich-rechtlichen Anstalten Formate für jüngere Zielgruppen entwickeln ist hingegen schon wichtig. Da müssen die Aktivitäten der Öffentlich-Rechtlichen auch noch ausgebaut werden.