„
Die ZDF-«heute»-Nachrichtenfamilie wird durch «heute +» auf ideale Weise ergänzt. Das neue Format denkt quer, hinterfragt Prozesse und Problemstellungen - und es soll über neue Blickwinkel und Perspektiven neue Publikumssegmente ansprechen.
”
ZDF-Sprecher Thomas Stange
Der Clou, weshalb «heute +» generell funktioniert: Die Anpassungen an die jüngere Zielgruppe kommen behutsam, und nicht mit der Brechstange daher. Das Studio verzichtet auf einen Tisch, tilgt somit eine visuelle Grenze zwischen Moderator und Zuschauer sowie die unterbewusste Assoziation, dass die Nachrichten gerade von der Kanzel heruntergepredigt werden. Dazu passt auch das legere, aber nicht gezwungen jugendliche Auftreten des Moderators Daniel Bröckerhoff im blauen, nicht komplett zugeknöpften Hemd ohne Sakko und Krawatte – sowie mit einer unaufdringlich, flockigen Art, seinen Anmoderationen Haltung zu verleihen.
Der erste Beitrag der mit einer nächtlichen Großstadtimpression statt einer Weltkarte illustrierten Nachrichtensendung dreht sich nämlich um einen innerhalb der EU diskutierten Vorschlag, der Flüchtlingsthematik Herr zu werden: Das Militär soll die Boote zerstören, mit denen die Afrika-Flüchtlinge den Kontinent zu wechseln gedenken. Ein Plan, wie er „von Rambo“ kommen könnte, lässt Bröckerhoff schelmisch in einem Nebensatz fallen, ehe zwei kurze, aber mit Informationen vollgepackte Hintergrundberichte das Thema ohne Tränenzieherei auf emotionaler Ebene weiter ausloten.
Zwei Einzelschicksale, gestützt mit statistischen Fakten, die ohne zu aufdringlichen Zeigefinger verdeutlichen, dass ängst nicht so viele Flüchtlinge in die EU kommen, wie es teils dargestellt wird, und dass es die EU als rettende Zone braucht: Haltung hat «heute +» zweifelsohne und sie wird angemessen vermittelt. Abgesehen von der abwechslungsreicheren, rascheren Art, Texteinblendungen in diese Reportagen einzubinden, unterscheiden sich diese ersten Beiträge jedoch nur in Feinheiten davon, was zuweilen auch andere ZDF-Informationssendungen wie etwa das «morgenmagazin» machen.
Vielleicht stellvertretender für das, was «heute +» vorab als eigenes Ziel angegeben hat, ist ein weiterer Hintergrundbericht, der dieses Mal aber keine Reportage darstellt, sondern als knappes, schnell erzähltes und intensiv illustriertes Infovideo daherkommt. Es geht um die von Wissenschaftlern erwarteten Folgen des Klimawandels für den Konsumenten: In wenigen Sekunden stellt «heute +» dar, ab wann Kaffee und Erdnüsse oder auch Äpfel aus den Läden verschwinden könnten, wenn sich nichts am Umweltdenken der Industrieländer ändert. Ein Video, das durch seine Gestaltung dazu einlädt, geteilt zu werden, ohne selbst darauf aufmerksam zu machen – und das somit sein wichtiges Thema an den Mann und an die Frau bringen dürfte.
Die Abmoderation dieses Beitrages enthält aber auch einen von zwei, drei kleinen Schönheitsfehlern der Premiere. Dass Bröckerhoff das drohende Verschwinden zahlreicher Lebensmittel als „Erste-Welt-Probleme“ bezeichnet, ist eine wagemutige Einschätzung – und schießt obendrein über das hinaus, was die von ihm referenzierte Meme „#firstworldproblems“ eigentlich besagt. Vor dem letzten und positivsten Beitrag, einer weiteren Reportage, dieses Mal aber über einen bunt beleuchteten Fahrradclub, erfolgt zudem eine relativ lieblos in den Studioteil gehebelte Zusammenfassung tagesaktueller Nachrichten - und die sind, wie zuvor ja deutlich wurde, nicht die oberste Priorität der Sendung.
Dass «heute +» aktuelle Themen zum Anlass nehmen will, diese durch Beiträge mit längerer Halbwertszeit zu vertiefen, ist absolut in Ordnung. Fakten in Echtzeit bieten genügend andere Plattformen – am Ende des Tages den Zuschauer darauf hinweisen, dass die GDL einen neuen Streik angekündigt hat, ist daher völlig überflüssig. Erst recht, da es sich mit dem 'Mission statement' der Sendung beißt – und weil es Bröckerhoff zum Kommentar „und alle so … yeah ….“ hinreißen lässt. Eine in Internetjahren gerechnet klar veraltete Referenz, die sich klassische ZDF-Sendungen leisten können. «heute +» aber sollte bei seinen gelegentlichen Jugendkulturanspielungen sein Ohr etwas näher am Puls der Zeit halten – aber das ist nur ein kleiner Kritikpunkt an einem Format, das sehr vielversprechend ist. Und da die Macher bereits über Social Media bewiesen haben, dass sie auf Feedback hören, könnte die Zukunft von «heute +» rosig sein. Und die Leute in Mainz so … yeah …
Es gibt 0 Kommentare zum Artikel