Filmfacts «Die Augen des Engels»
- Regie: Michael Winterbottom
- Produktion: Melissa Parmenter
- Drehbuch: Paul Viragh, frei nach 'Angel Face' von Barbie Latza Nadeau
- Darsteller: Kate Beckinsale, Daniel Brühl, Cara Delevingne, Genevieve Gaunt, Ava Acres, John Hopkins
- Musik: Harry Escott
- Kamera: Hubert Taczanowski
- Schnitt: Marc Richardson
- Laufzeit: 101 Minuten
- FSK: ab 12 Jahren
Auch der unkonzentriert abgespulte Plot lässt den Betrachter immer wieder verdutzt mit der Frage zurück: Wie viel ist nun reine Erfindung – und wie viel nährt sich aus wahren Begebenheiten? Im Mittelpunkt der Filmereignisse steht nämlich eine Figur, die gefühlt gleich viele Parallelen zu Michael Winterbottom aufweist wie Unterschiede zum Arthouse-Filmer. Der von Daniel Brühl gespielte Protagonist namens Thomas Lang ist ebenfalls als Independent-Regisseur tätig und wird eingangs durch das sie selbst als handelnde Person ins Zentrum rückende Sachbuch der Journalistin Simone Ford (verschenkt: Kate Beckinsale) nach Italien gelockt. Je mehr sich Lang, dessen Ehe zu Grunde ging und nun eine Affäre mit Ford beginnt, jedoch mit dem Buch und den darin dargelegten Fakten beschäftigt, desto mehr gewinnt er Interesse daran, einen ganz eigenen Schwerpunkt zu setzen. Während seitens der Finanziers der Druck auf Lang immer größer wird, einfach einen strikten Krimi über die Tätersuche abzuliefern, wächst in ihm der Drang, einen Kunstfilm über Verbrechen, Versuchung, Verlust und Vergebung auf die Beine zu stellen. Nach und nach verliert sich Lang im Subkosmos Siena, mit seiner eingespielten Clique an Journalisten, dubiosen Bloggern, der lebensfrohen Austauschstudentin Melanie (Cara Delevingne) und der Assoziationen mit Dantes Arbeiten weckenden Architektur …
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Doch sobald Winterbottoms Darstellung der Journalisten vermehrt interessante Ecken und Kanten gewinnt, wendet sich «Die Augen des Engels» einem anderen Subthema zu. Etwa kurzzeitig der von Lang harsch als oberflächlich kritisierten Tätersuche. Oder den Eheproblemen des deutschstämmigen Regisseurs. Oder seinem Versuch, das Gefühl wiederzuerlangen, jung, optimistisch und ungebunden zu sein. Oder seinem durch Drogen induzierten Abstieg in den Wahnsinn – den Winterbottom wenige Minuten nach Beginn dieses Aspekts wieder über Bord wirft. Nicht ohne zuvor eine tonal deplatzierte Fantasysequenz einzuarbeiten.
Mit diesem unfokussierten Mischmasch an Ansätzen, mit denen man sich einer filmischen Grundidee nähern kann, hätte «Die Augen des Engels» das Potential dazu, ein Film darüber zu werden, dass es keine objektive Wahrheit gibt, und dass alles nur konstruierte Geschichten sind – und sich bestenfalls die Frage stellt, wie schlüssig diese Erzählungen aufgebaut werden. Allerdings wächst «Die Augen des Engels» nie darüber hinaus, sein Subjektivität gegen Objektivität ausspielendes Unterthema darin zu äußern, dass Lang immer wieder seine Meinung ändert, wer der Protagonist oder die Protagonistin seines Films sein sollte. Mit diesem Wechsel geht auch stets eine neue Theorie über den Tathergang einher – und das war es auch schon. Da Langs Überlegungen, wie sein Film ablaufen sollte, nur wenige Minuten der «Die Augen des Engels»-Laufzeit einnehmen, geht selbst dieser zurückhaltende Ansatz schnell verloren.
- Concorde
Daniel Brühl entwickelt in der Rolle des abgewrackten Regisseurs Thomas Lang eine enge Bindung zur jungen Optimistin Melanie (Cara Delevingne).
Alternativ hätte «Die Augen des Engels» auch ein Film darüber werden können, wie schwierig es ist, einen Film zu erschaffen. Aber selbst in dieser Hinsicht ist Winterbottom bloß ein äußerst müder Vertreter dieser Gattung gelungen. Die Cleverness eines «Adaption» und die Poetik eines «8 ½» bleiben für diese sperrige Erzählung stets außer Reichweite. Selbst die Dopplung, «Die Augen des Engels» wie auch den Film-im-Film nach dem Vorbild von Dantes «Göttliche Komödie» zu strukturieren, bleibt wenig ergiebig und mutet eher wie eine formale Fingerübung an, denn wie eine aussagekräftige künstlerische Entscheidung. Angesichts dessen, dass zudem Kameramann Hubert Taczanowski den reizvollen Schauplatz nur selten auf inspirierende Weise einfängt und die Dialoge den sichtbar engagierten Daniel Brühl dazu drängen, die Lektionen seiner Figur wortwörtlich auszusprechen, bleibt «Die Augen des Engels» eine intellektuelle Luftblase: Durch die mäandernde Erzählweise ist Winterbottoms Werk zwar zäh, die hinter dem anstrengenden Storytelling liegenden Erkenntnisse sind derweil erschreckend banal.
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Fazit: «Die Augen des Engels» nimmt diverse reizvolle Ideen, denkt sie nicht zu Ende und hakt sie alle in einer unfokussierten, spröden Geschichte ab, die nichts aus ihrem metafiktionalen Potential macht. Vielfilmer Michael Winterbottom kann besseres als das!
«Die Augen des Engels» ist ab sofort in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.