Um die Genialität der Serie «Louie» zu verstehen, muss man die Geschichte ihres Erfinders kennen: die Geschichte von Louis C.K., der sich ab den 90er Jahren als Stand-Up-Comedian in New York einen Namen machte. 2006 folgte sein erstes Engagement im Fernsehen, mit der eigenen Sitcom «Lucky Louie» beim Pay-TV-Kanal HBO, aufgezeichnet vor Publikum. Das Format floppte, wurde nach nur 13 Folgen abgesetzt. Zwar konnte Louis C.K. sich bei seiner Sitcom vergleichsweise kreativ ausleben, dennoch war die Produktion an typische Gegebenheiten gebunden: „HBO ist ein sehr liberales Network, aber wir durchliefen trotzdem einen klassischen Entwicklungsprozess, wir filmten im Studio mit den traditionellen Durchläufen, einem Publikum und all dem“, sagte der Comedian über «Lucky Louie». Man muss die narrativen Grenzen dieser Serie verstehen, um zu erkennen, warum «Louie» später so entstand, wie es entstand. Kurz: «Lucky Louie» war für Sitcom-Verhältnisse zwar kreativ und freizügig – aber es blieb immer noch eine Sitcom, vor Publikum aufgezeichnet. Es war verortet in demjenigen Seriengenre, das über Routinen und Running Gags funktioniert und dem die engsten inhaltlichen Grenzen gesetzt sind.
Es ist nicht müßig zu behaupten, dass es «Louie» ohne C.K.s Erfahrungen mit «Luckie Louie» so nie gegeben hätte. Seine zweite Fernsehserie, gestartet 2011 bei FX, ist genau das Gegenteil jener Sitcom: Es gibt kein anderes TV-Format, das so unvorhersehbar ist, in dem jeden Moment alles passieren kann – ob es belanglose, peinliche Dinge sind oder tiefenpsychologische Diskussionen über zehn Minuten. Ob es Rückblenden in Louis' Kindheit sind, verstörende Drogenerlebnisse mit dem Nachbarn, Gespräche über die New Yorker Gay-Szene oder Masturbation während der Abendnachrichten. Alles ist möglich. Die Kreativität erstreckt sich nicht nur auf einzelne Folgen, sondern auch auf ganze Staffeln: Jede besitzt einen anderen Tonus, einen anderen Schwerpunkt. Die ersten Folgen sind sehr komödiantisch gehalten, sie behandeln Louis' neues Leben nach der Scheidung und seine Midlife-Crisis auf humorvolle Art. Staffel zwei spielt im Winter, sie wird surrealer und melancholisch, oft enden die jeweiligen Story-Schnipsel tragisch. Anders als in der ersten Season erzählt Louis C.K. manche Ideen über eine gesamte Folge hinweg, zuvor waren es zwei Geschichten pro Episode. Staffel drei geht diesen Weg konsequent weiter, besitzt Story-Arcs über mehrere Episoden. Man wird selbstreferentieller, einige Geschichten spielen im Medienbusiness. Die Entwicklung zum längeren Erzählen führt dazu, dass «Louie» noch relevanter erscheint. Es geht um die großen Themen: um Vaterschaft, um die Lebenskrise, um die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, um Erziehung und Zurechtkommen, um die gescheiterte Karriere. Es geht um das Leben.
Die vierte Staffel setzte diesen Trend noch radikaler fort, erzählte im besten Stile Woody Allens (siehe «Manhattan» oder «Der Stadtneurotiker») eine romantisch-neurotische New Yorker Liebesgeschichte über den Großteil der Staffel. Die Stand-Up-Einlagen fielen weg, auch das Intro, dadurch wirkte das Format insgesamt sehr filmisch. Louis C.K. reflektierte diesmal seine persönlichsten Gefühle, es ging um Liebe, Scheidung und die Sehnsucht nach dem Miteinander in der eindrucksvollsten aller Metropolen. Eine melancholische Sinnsuche war es, die viele langjährige Fans von «Louie» verschreckte und der vierten Staffel vergleichsweise verhaltene Kritiken einbrachte. Man kann es aber auch umdrehen: Mit dieser Season zementierte das Format seine Stellung als kreativer Krösus unter allen Comedyserien – wobei die vierte Staffel kaum noch als solche bezeichnet werden kann. Die wohldosierte Alltagskomik, die dennoch entfaltet wird, trifft dann umso besser ins Lachzentrum. Mit den Folgen von 2014 sprengte man endgültig alle Genregrenzen.
Im April ist die fünfte Staffel gestartet, sie ist im Tonus der frühen «Louie»-Tage verortet: Das großartige Intro ist zurück, auch gibt es – «Seinfeld» lässt grüßen – wieder die Stand-Up-Einlagen als Rahmen der eigentlichen Narrative. In den ersten Minuten der ersten Folge sitzt Louis beim Psychologen. Sein Monolog über sein aktuelles Leben lässt sich auch verstehen als augenzwinkernde Reaktion auf die mäßigen Kritiken der vierten «Louie»-Staffel: „Ich habe das Gefühl, dass ich nicht mehr so gut bin wie früher. Als würde ich zwischen guten und schlechten Zeiten pendeln. Ich finde keinen so richtigen Grund mehr, um weiterzumachen. Und ich beginne etwas zu entwickeln, das sich wie eine Depression anfühlt.“ Dass der Psychologe während Louis' Offenbarung auf seinem Sessel einschläft, verdeutlicht die für den Comedian so typische Tragikomik der Situation. In Folge zwei der neuen Staffel geht es schon wieder um das große Ganze: Die Bindungsängste von Freundin Pamela füllen in einem grandiosen Monolog ganze Sendeminuten. Nicht ein Lacher ist dabei. Aber man schaut gebannt zu. «Louie» erzählt hier realistischer, besser als so manches hochgelobte Drama.
Aber es geht – natürlich, wie in jeder einzelnen «Louie»-Folge – auch wieder um die vergebliche Sinnsuche in einer sinnlosen Welt: An einem Abend tritt ein neuer Stand-Up-Comedian im Comedy-Club auf und bittet Louis später um eine ehrliche Kritik. Die Performance war grausam, niemand lachte. Und Louis erklärt ihm später ehrlich, dass der Newcomer sich den Traum einer Comedy-Karriere abschminken muss. Als dieser nicht locker lässt und um Rat bittet, was er besser machen könne, sagt Louis desinteressiert: „Vielleicht hilft eine verstellte Stimme.“ Es ist der denkbar schlechteste Rat, den man geben kann. Louis weiß das – er will einfach der Situation entfliehen. Ein paar Wochen später liegt er mit Freundin Pamela im Bett, schaut die «Tonight Show» – und der Newcomer tritt auf, mit verstellter Stimme, von Jimmy Fallon angepriesen als Internet-Phänomen und großes Talent. Der Gesichtsausdruck von Louie: überrascht, gleichgültig? Es ist nicht ganz klar. Froh scheint er, dass Pamela in seinen Armen liegt. Aber auch wenig entgeistert, dass die Comedy-Nullnummer nun in der größten Late-Night-Show Amerikas auftritt. So ist sie eben, diese sinnlose Welt. Louie nimmt es hin, wie immer.
Die besten Serien sind jene, die zum Nachdenken anregen. Die es schaffen, nur wenig zu erklären, um viel zu sagen. Die nichts aussprechen, damit der Zuschauer erst recht versteht. «Louie» schafft dieses Kunststück permanent.
Es gibt 0 Kommentare zum Artikel