Liebe Fernsehgemeinde, heute gedenken wir der Reihe, in der die „Edelhure Roberta“ offen ausplauderte, dass ihre Kunden hauptsächlich „die normale Samstagnachmittagsnummer, meistens in der Missionarstellung“ bevorzugen würden.
«Ich bekenne» wurde am 03. Januar 1993 in Sat.1 geboren und entstand zu einer Zeit, als das deutsche Privatfernsehen auf der Suche nach immer neuen Ansätzen und Themen war, um sich gezielt von den als bieder geltenden öffentlich-rechtlichen Anstalten abzuheben. Im Rahmen dieser Taktik brachten sie beispielsweise Talkshows hervor, in denen sich die Menschen anschrieen, beleidigten und fast prügelten – wie etwa bei «Explosiv – Der heiße Stuhl», «Einspruch! Ulrich Meyer» oder «A.T. - Die andere Talkshow». Daneben gab es Erotikprogramme, in denen viel nackte Haut und sexuelle Spielarten dargeboten wurden – geschehen bei «Tutti Frutti», «Eine Chance für die Liebe» oder «Schloss Pompon Rouge». Zuletzt präsentierten Reality-Shows wie «Notruf», «Retter», «Augenzeugen-Videos» und «K - Verbrechen im Fadenkreuz» Aufnahmen von echten Unfällen und Katastrophen, die unterhaltsam zusammengeschnitten und teilweise von Einsatzkräften selbst aufgenommen wurden. Sogar vor dem Zeigen eines Selbstmordes war man nicht zurückgeschreckt. Die kommerziellen Fernsehanbieter sorgten mit diesen Inhalten zwar regelmäßig für Aufmerksamkeit, was erheblich zu ihrer Bekanntheit und letztlichen Etablierung beitrug, doch verknüpfte sich damit fast zwangsläufig ein Versprechen auf immer neue Tabubrüche. Die Zuschauer schienen solche Grenzüberschreitungen förmlich zu erwarten. Aber wie konnte all dies noch gesteigert werden?
„Wir haben den Eindruck, dass im Fernsehen das große Gefühl im Kommen ist“, kündigte Dieter Zurstraßen, der Sat.1-Pressesprecher für Unterhaltung, den nächsten Schritt an. Hinter diesem Ansatz verbarg sich allerdings keine Abkehr vom Extremen oder gar eine Rückbesinnung auf dezenteres Heile-Welt-Entertainment. Vielmehr sollten die (vermeintlichen) Gefühle durch die Zurschaustellung besonders tragischer Schicksale ausgelöst werden. Der Journalist Frank Gerbert stellte daher fest, dass die privaten Sender mit der Seele nun das „neue Schmuddel-Terrain“ gefunden hätten und brachte diese Entwicklung auf den Punkt, indem er behauptete: „Nach den Titten jetzt die Tränen.“
So führte RTL in «Verzeih mir» langjährige Feinde zusammen, in der Hoffnung, dass sich diese vor laufenden Kameras tränenreich in die Arme fallen würden. Natürlich nicht, ohne vorher den ewigen Streit erneut in aller Ausführlichkeit auszuwalzen. Als „Rührshow“ oder „Taschentuch-TV“ wurde dieses Theater zuweilen belächelt, was verkannte, dass die Versöhnung nur derart emotional wirken konnte, weil sich die Protagonisten zuvor öffentlich seelisch entblößt hatten.
Sat.1 ging zeitgleich noch einen Schritt weiter und brachte mit «Ich bekenne» eine Adaption der italienischen Produktion „Lo Confesso“ auf den Schirm. Darin traten Menschen auf, die sich schuldig gemacht hatten und dies eingestehen wollten. Damit sie das möglichst angstfrei, also offenherzig, ausführlich und detailreich tun konnten, sollten sie anonym bleiben. Dazu saßen die Personen während der gesamten Laufzeit hinter einer Milchglasscheibe, die an einem Glastisch in der blau-violetten Kulisse aufgebaut war. Lediglich im Bereich der Hände gab es eine Aussparung, sodass man wenigstens die Gesten erkennen konnte. Das erinnerte zuweilen an die Gefängniszelle von Hannibal Lecter in «Das Schweigen der Lämmer», was sicherlich kein Zufall gewesen sein wird. In dieser befremdlichen Anordnung sollten die Gäste dann ihre extremen Taten gestehen. Darunter waren Exhibitionisten, Masochisten, Alkoholiker, Prostituierte und ein flüchtiger Todesfahrer. Zudem schilderte ein Söldner, wie er über 1.000 Vietnamesen ermordet hätte. Spektakulär verlief schon die Premierenausgabe, in der hinter dem Sichtschutz ein Produzent von Kinderpornographie Platz nahm.
Befragt wurden die Geständigen von der Journalisten Sibylle Storkebaum (Foto), die ihre Fragen fortwährend in Richtung der weißen Scheibe stellte. Dabei bemühte sie sich um eine neutral-distanzierte Haltung, versuchte aber ihren Gesprächspartnern gleichzeitig möglichst schmutzige Einzelheiten zu entlocken. Etwa fragte sie den Kinderporno-Produzenten auch unverblümt, was man in seinen Filmen sehen würde und was er mit den Mädchen gemacht hätte. Trotz des bemüht-sachlichen Tons knüpfte das Format nahtlos an all die Vorgänger an, die den natürlichen Voyeurismus zu bedienen glaubten. Entsprechend resümierte der Autor Hans-Friedrich Foltin, dass es in solchen Konzepten „nur vorgeblich um ein Verständnis für Suchtabhängige oder Handlungen unter extremen Bedingungen geht, in Wirklichkeit jedoch um den bereits in der Trivialliteratur und der Sensationspresse häufig strapazierten Einblick in die Abgründe des Lasters“.
Das zugehörige Echo in der Presse fiel erwartungsgemäß negativ aus. Die WELT bezeichnete sie schlicht als „unerträgliche Sendung“, derweil Susanne Mayer in der ZEIT bemerkte: „Die Zeiten des Interviews sind vorbei, was kommt, ist die Inquisition.“ Dieses Gleichnis mit der kirchlichen Vergangenheit ist treffend gewählt. Viele andere Autoren bezeichneten das Programm nämlich als „Beicht-TV“, denn die Gäste waren angehalten, stets Reue für ihre Taten zu demonstrieren und baten dadurch mal direkt, mal indirekt um Absolution. Der Kinderporno-Produzent gab zum Beispiel an: „Ich bin hier, um alle Eltern zu warnen, dass sie auf ihre Kinder gut aufpassen sollen.“
Für den Medienpädagogen Heinz Moser ist diese Entwicklung nicht verwunderlich und „in einer Zeit, wo traditionelle Werte sich gesellschaftlich immer stärker aufzulösen beginnen“ bloß der nächste logische Schritt. Er schrieb weiter: „In einer Zeit der religiösen Säkularisierung wird der Fernsehbildschirm zum öffentlichen Beichtstuhl. Das medienvermittelte Spektakel, das ungeniert und in Nahaufnahmen die Gefühle in den Vordergrund rückt, erschafft damit die Wiedergeburt von Ritualen, deren Sinn sich gerade zu entleeren schien.“
Passenderweise entschied sich der Kanal Sat.1 für eine Ausstrahlung der Reihe am (heiligen) Sonntag – aufgrund der Inhalte allerdings erst gegen kurz vor Mitternacht. Schalteten anfänglich noch insgesamt 2,01 Millionen Menschen ein und generierten einen Marktanteil von 14,4 Prozent in der werberelevanten Zielgruppe, sank das Interesse im Laufe der Wochen deutlich auf - auf schlussendlich 1,17 Millionen Zuschauer und einen Marktanteil von 9,0 Prozent. Der zur Gewohnheit degradierte, allzu geplant wirkende Tabubruch verlor offenbar schnell seinen Reiz. Ein langes Leben blieb der 25minütigen Sendung deswegen verwehrt.
«Ich bekenne» wurde am 14. März 1993 beerdigt und erreichte ein Alter von elf Folgen. Die Show hinterließ die Moderatorin Sibylle Storkebaum, die dem Fernsehen später den Rücken kehrte und ein Studium der Psychologie begann. Heute ist sie als Psychotherapeutin tätig und betreut vorrangig Empfänger von Organtransplantationen. Als einziger Überrest ihrer TV-Karriere verblieb eine Autogrammkarte aus dem Jahr 1993, die derzeit bei Ebay zu ersteigern ist. Der aktuelle Preis beträgt 1,99 Euro plus Versand.
Möge die Show in Frieden ruhen!
Die nächste Ausgabe des Fernsehfriedhofs erscheint am Donnerstag, den 25. Juni 2015.