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Direkt zu Beginn von «Schorsch Aigner - der Mann, der Franz Beckenbauer war» deklariert eine Einblendung im Vorspann: „Olli Dittrich ist Schorsch Aigner“, womit der Westdeutsche Rundfunk und beckground tv GmbH ihre Produktion mit einem überdeutlichen „Achtung, Satire!“-Warnhinweis versehen. Das ist in etwa so, als eröffnete jeder Postillon-Artikel mit einem Paragrafen, der darüber aufklärt, dass das Nachfolgende keine Ansammlung an Fakten, sondern spitzfindige Fiktion ist. Von dieser bedauerlichen Vorsichtsmaßnahme abgesehen ist Dittrich mit «Schorsch Aigner - der Mann, der Franz Beckenbauer war» allerdings das Glanzstück seines parodistischen TV-Zyklus gelungen!
Dass Dittrich eine herausragende Beckenbauer-Imitation beherrscht, sollte mittlerweile bekannt sein, und daran ändert sich auch in dieser Mockumentary nichts, selbst wenn sie „enthüllt“, dass Dittrich ja gar nicht Beckenbauer nachmacht. Im Zentrum steht ja, wie die „Journalisten“ aufzeigen, der gemütliche, genügsame Schorsch Aigner, der mehr oder minder so spricht wie er selbst – doch aufgrund seiner Ähnlichkeit zu Beckenbauer als Double angeheuert wurde. So oder so, ob nun Beckenbauer oder Aigner – Dittrich spielt seine Rolle längst nicht so aufdringlich wie Kollege Matze Knop, dessen Fußballparodien ihre Opfer auf sehr wenige Merkmale runterbrechen und eben jene Kennzeichen extrem überbetonen. Bei Knop fällt es schwer, je zu vergessen, dass man ein Zerrbild vor sich sieht, während Dittrichs Beckenbauer respektive Aigner auch ein Original sein könnte.
Und dennoch geht das parodistische Element nicht verloren – ganz im Gegenteil! Denn wo sich Knops einseitige Beckenbauer-Karikatur schnell abnutzt, da sie sich auf eine kleine Handvoll humoristischer Bausteine verlässt, ist Dittrichs Aigner beziehungsweise Beckenbauer vielseitig und vermag es deswegen häufiger zu überraschen. Dies trifft nicht nur auf die schauspielerische Komponente zu, sondern vor allem auch auf das Drehbuch. Die fiktive Doppelbiografie, die «Schorsch Aigner - der Mann, der Franz Beckenbauer war» erzählt, ist voller amüsanter kleiner Einfälle. Sei es, dass Aigner an Beckenbauers Stelle die Platte „Gute Freunde kann niemand trennen“ aufnehmen musste, da sein gebrochener Gesang als glaubwürdiger aufgefasst wurde. Oder dass der echte Beckenbauer die WM-Siegesfeier 1990 in Rom weitestgehend in der Kabine verbracht hat – während Aigner auf einen ikonischen Einfall kam …
Darüber hinaus sagt «Schorsch Aigner - der Mann, der Franz Beckenbauer war» viel mehr über sein persifliertes Genre aus als «Frühstücksfernsehen» und «Das TalkGespräch», ohne aber mühselig auf diesen Umstand hinzuweisen. Ganz beiläufig, aber dafür umso spitzfindiger, nimmt die Mockumentary die üblichen Doku-Bausteine aufs Korn. Von Informationsdopplungen – einmal im Off-Kommentar und dann direkt danach aus dem Mund der Interviewpartner – bis hin zu den malerischen Bergpanoramen, die dazu dienen, auf die emotionalen, heimeligen Passagen des Aigner-Porträts einzustimmen. Hinzu kommen diverse sehenswerte Promigastauftritte und ein perfektes, die Grenzen zwischen Fakt und Fiktion verwaschenes Spiel mit Archivmaterial und neuen Aufnahmen. Und schon empfiehlt sich «Schorsch Aigner - der Mann, der Franz Beckenbauer war» als eines der Highlights des TV-Jahres 2015!
«Schorsch Aigner - der Mann, der Franz Beckenbauer war» ist am 4. Juni ab 18 Uhr in der ARD-Mediathek zu sehen sowie ab 23.30 Uhr im Ersten.