Die Kino-Kritiker

«Die Lügen der Sieger»

von

Florian David Fitz in seiner vielleicht stärksten Darbietung: «Die Lügen der Sieger» erzählt von den Missständen im deutschen Journalismus und begibt sich an die Schaltzentralen politischer Entscheidungen. Sehenswert!

Filmfacts: «Die Lügen der Sieger»

  • Genre: Thriller / Drama
  • FSK: 12
  • Laufzeit: 112 Min.
  • Kamera: Reinhold Vorschneider
  • Musik: Benedikt Schiefer
  • Buch: Ulrich Peltzer, Christoph Hochhäusler
  • Regie: Christoph Hochhäusler
  • Darsteller: Florian David Fitz, Lilith Stangenberg, Horst Kotterba, Ursina Lardi, Arved Birnbaum, Jakob Diehl
  • OT: Die Lügen der Sieger (D 2014)
Der politisch-wirtschaftlichen Journaille in Deutschland geht es momentan nicht gut. Es sind Schlagwörter wie „Lügenpresse“, Abhörskandale und Schmiergeldaffären, die in den Augen mancher die hiesigen Nachrichtenredaktionen auf eine Ebene mit der britischen Yellow Press abstürzen lassen. Dass sich das nationale Politkino bislang nicht an dieser angespannten Lage innerhalb des Journalismus versucht hat, wundert wenig; immerhin ziehen derartige Themen nicht ansatzweise solche Massen in die Lichtspielhäuser, wie es leichte Komödienkost zu schaffen vermag. Regisseur Christoph Hochhäusler («Dreileben») ist der Erste, dem diese kinematografische Lücke auffällt – und füllt sie gleich selbst. Sein beklemmendes Thrillerdrama «Die Lügen der Sieger» umspannt thematisch sämtliche Missstände der modernen News-Aufklärung. Doch Hochhäusler hat einen Plan: Sein durch und durch mutiges Projekt soll sich nicht an einer üblichen schwarz-weißen Täter- und Opferzeichnung festbeißen, sondern diese aufbrechen und das Thema aus so vielen Perspektiven wie möglich beleuchten. Dazu gehört zum einen, dass der ungewohnt seriös aufspielende Florian David Fitz («Vincent will Meer») nicht zum alleinigen Dreh- und Angelpunkt der Geschichte wird und schon gar nicht als ausschließlicher Sympathieträger fungiert. Sondern auch, dass sich Hochhäusler immer wieder an die Tische politischer Schaltzentralen begibt. Er schaut Lobbyisten über die Schulter und versucht sich an einem Blick auf die Beweggründe wirtschaftlicher Entscheider, bis Gut und Böse irgendwann verschwimmen. Wenn sich gen Ende schließlich die Bedeutungslosigkeit objektiver Berichterstattung abzeichnet, lässt «Die Lügen der Sieger» sein Publikum ob der Erkenntnis unser aller Ahnungslosigkeit ganz schön fassungslos zurück.

Fabian Groys (Florian David Fitz) arbeitet als Enthüllungsjournalist beim politischen Nachrichtenmagazin „Die Woche“. Seine Arbeiten haben Einfluss auf höchste Regierungskreise und seine investigative Herangehensweise an komplexe Themen hat ihm auch über die „Woche“-Kreise hinaus einen angesehenen Ruf als Reporter beschert. Privat läuft es bei ihm hingegen nicht gut: Fabian hat Spielschulden und haut sein mühsam verdientes Geld Woche für Woche auf den Kopf. Eine Story über den fragwürdigen Umgang mit ausrangierten Bundeswehrsoldaten kommt ihm da gerade recht, um seine zwielichtigen Freizeitaktivitäten zu überdenken. Als dem Redakteur die neue Volontärin Nadja (Lilith Stangenberg) zur Seite gestellt wird, ist der Eigenbrötler Fabian zunächst skeptisch. Doch die sich unsympathischen Kollegen kommen mit ihrer Enthüllungsstory gut voran. Die schwierigen Recherchearbeiten offenbaren mit der Zeit, dass ihre Geschichte viel größere Dimensionen hat, als zunächst angenommen, sodass es nicht lange dauert, bis sich ihnen erste Widersacher in den Weg stellen.

Drehbuchautor und Regisseur Hochhäusler suchte sich für «Die Lügen der Sieger» wohlweislich einen fiktiven Fall aus, um diesen im Rahmen seines Films von Hauptfigur Fabian aufklären zu lassen. Trotzdem wurde die Story um die systematische Beseitigung von bereits im Krieg gewesenen Bundeswehr-Soldaten von reellen Ereignissen inspiriert, was dem Drehbuch nicht nur zusätzliche Brisanz verleiht, sondern ihm zudem zu einer starken Erdung zum aktuellen Weltgeschehen verhilft. Dass Groys diese Story überhaupt verfolgen kann, ist anfangs auch Zufällen geschuldet, denn das Skript ist an vielen Stellen nicht nur arg konstruiert, sondern zeichnet darüber hinaus lediglich ein stark überzeichnetes Abbild echter, journalistischer Arbeit. Mit einer Satire hat «Die Lügen der Sieger» zwar nichts zu tun, mit herkömmlichem Rechercheverlauf allerdings ebenso wenig. Trotzdem unterstreicht die Handlung den Zweck des Projekts: Manchmal braucht es eben hochstilisierte Nachempfindungen der Realität, um im Kern auf die wichtigen Aspekte eines Themas hinzuweisen. Um diesen überhöhten Inszenierungscharakter auszugleichen, konzentrieren sich Hochhäusler und seine Akteure verstärkt auf ein seriöses Erscheinungsbild ihres Films, dessen Thrillerherkunft aus Deutschland nicht unbedingt erkennbar ist. «Die Lügen der Sieger» hat auf visueller Ebene internationales Niveau. Kameramann Reinhold Vorschneider («Über-Ich und du») kreiert mit dunklen Farben und schwachen Kontrasten eine wabernde Atmosphäre. Auch die Zuhilfenahme von Spiegelbildern, eingeschobenen Szenenmontagen sowie in der Position eines Voyeurs verharrenden Aufnahmen erhalten die paranoide Atmosphäre aufrecht.

Hätte sich Hochhäusler auf das sukzessive Zustandekommen einer waschechten Skandalstory konzentriert, hätte «Die Lügen der Sieger» vermutlich sämtliche Chancen auf nationale Kritikerpreise. Doch leider versucht sich der Filmemacher an verschiedenen Ansätzen und nutzt Einschübe ob Fabians Spielsucht, um den dynamischen Filmverlauf noch weiter voranzutreiben. Leider ist genau das Gegenteil der Fall: Szenen, in welchem Groys‘ nächtliche Zockereskapaden zu einer besseren Einordnung von Fabians Seelenleben genutzt werden, hemmen das ansonsten schnörkellose Treiben und erfüllen darüber hinaus nicht einmal ihren Zweck. So verheddert sich das Drehbuch nicht nur im Rahmen dieses Ansatzes, sondern auch dann, wenn Fabian Groys und seine ihm zur Seite gestellte Volontärin ein vorhersagbares Techtelmechtel beginnen. Der Fokus von der Ernsthaftigkeit der Plotaussage weicht emotionalen Verwicklungen, die in einem Film, dessen Kernaussage sich mit dem Unvermögen zwischenmenschlicher Interaktion auseinandersetzt, nichts zu suchen haben. Trotzdem funktioniert «Die Lügen der Sieger» insbesondere aufgrund der thematischen Komplexität. Dabei muss der Zuschauer nicht einmal Politik-Kenner sein. Die einzelnen Etappen innerhalb der Recherchearbeit von Fabian und Nadja bereitet Hochhäusler nachvollziehbar auf. Auch Plottwists kommen nicht plötzlich, sondern werden sinnig vorbereitet. Ob ein solcher Film jedoch das zahlende Kinopublikum in die Lichtspielhäuser locken wird, ist allerdings fraglich. Wenngleich sich Qualität – besonders im deutschen Kino – unbedingt durchsetzen darf und muss, so ist «Die Lügen der Sieger» schlussendlich zu speziell für den Mainstream.

So bleibt zu guter Letzt noch ein Blick auf die Darsteller, mit deren Verpflichtung Hochhäusler dem obligatorischen Fernbleiben der Kinobesucher vorab entgegenzuwirken versucht. Der mittlerweile zum Charaktermimen aufgestiegene «Doctor’s Diary»-Star und Teilzeit-Regisseur Florian David Fitz bewegt sich mit «Die Lügen der Sieger» erstmals vollends weg vom bislang bevorzugten Komödien- und Tragikomödienkino. Mit Mut zur Unnahbarkeit und vollkommen entgegen seines Images als Schönwetterschauspieler erweist er sich in der Rolle des Fabian Groys als ideale Besetzung, der mit der Nachwuchsaktrice Lilith Stangenberg («Lügen und andere Wahrheiten») hervorragend funktioniert. Wenngleich Stangenberg ab und an noch hinter ihren Möglichkeiten zurückzubleiben scheint, funktioniert ihr vorsichtiges Spiel gut in der Rolle einer Jung-Journalistin. Abseits dieses Duos bleiben die Nebenfiguren so unauffällig, wie es das Skript von ihnen erwartet. Denn in der heutigen Zeit zählt nicht mehr der Mensch – es zählen die Entscheidungen, die ebenjener trifft. Und die haben nunmal keinerlei körperliche Präsenz.

Fazit: Trotz Längen und einer zeitweilig unkontrollierten Erzählstruktur hievt Regisseur Christoph Hochhäusler den Politthriller der Achtzigerjahre ins Hier und Jetzt und bietet mit «Die Lügen der Sieger» brisantes, anspruchsvolles Polit-Kino auf visuell internationalem Niveau. Einen besseren Zeitpunkt für die Veröffentlichung hätte sich der Filmemacher ob der hierzulande journalistisch angespannten Lage nicht wünschen können – schade, dass derartige Produktionen in den hiesigen Lichtspielhäusern ein Nischendasein fristen.

«Die Lügen der Sieger» ist ab dem 18. Juni in ausgewählten Kinos Deutschlands zu sehen.

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