Die Kritiker

«Polizeiruf 110 – Kreise»

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Der letzte «Polizeiruf 110» vor der Sommerpause ist ein Muss: Autorenfilmer Christian Petzold bringt Anspruch, Originalität und prägnante Popkulturverweise mit.

Cast und Crew

  • Regie und Drehbuch: Christian Petzold
  • Produktion: Jakob Claussen, Uli Putz
  • Darsteller: Matthias Brandt, Barbara Auer, Justus von Dohnányi, Daniel Sträßer, Luise Heyer, Jan Messutat
  • Kamera: Hans Fromm
  • Szenenbild: K.D. Gruber
  • Kostümbild: Katharina Ost
  • Schnitt: Bettina Böhler
Es gibt zwei Möglichkeiten, wie Regisseure und Autoren mit einer so übermächtigen Dachmarke wie dem «Tatort» oder «Polizeiruf 110» umgehen können. Option A: Man ergebe sich dem Wiedererkennungswert und strebe einen Neunzigminüter an, der exakt den Zuschauererwartungen entspricht. Oder Option B: Man nutze es aus, dass allein schon aufgrund des Namens ein großes Publikum reinschaut und konfrontiere die zahlreichen Zuschauer damit, dass man ungewöhnliche, kreative Wege beschreitet. Prominentestes Beispiel beim «Tatort» dürfte wohl die Ausgabe 'Im Schmerz geboren' sein, die mittlerweile wohl legendär sein dürfte.

Für «Polizeiruf 110» gibt es mit 'Kreise' nun ein ganz frisches Beispiel, wie Option B in Aktion aussehen kann. Zwar ist der Fall in Sachen Gier, Glückssucht und Gefühlschaos nicht ganz so exzentrisch, nicht ganz so geistreich wie Murots außergewöhnlicher Einsatz. Dennoch merkt man diesem letzten «Polizeiruf 110» vor der Sommerpause deutlich die Handschrift seines Machers an: Autorenfilmer Christian Petzold, der mehrfach preisgekrönte Kopf hinter Filmen wie dem Holocaust-Drama «Phoenix», dem Thriller-Drama «Yella» und dem ersten Part der gefeierten, Genregrenzen übergreifenden Fernsehfilm-Trilogie «Dreileben». Petzold nimmt den obligatorischen Mordfall als Sprungbrett, um eine bewusst verkorkste Charakter- und Beziehungsstudie zu erzählen, die ganz nebenher die Hoffnungslosigkeit des deutschen Mittelstands vorführt.

Es beginnt mit den Klängen, die vergangenes Jahr schon «Guardians of the Galaxy» eröffnet haben: 10CCs 'I'm not in Love'. Doch was dieses Mal nach einer hier wie dort dramatischen Introsequenz folgt, ist kein bunter, spaßiger Weltraum-Trip. Sondern eine gemächliche, nachdenkliche, unterschwellig schräge Tätersuche. Eine Frau wurde in einer Waldlichtung erwürgt und ihrem Hund kam dasselbe Schicksal zuteil. Bei den Opfern handelt es sich um die Inhaberin einer Möbelmanufaktur und um den Namenspaten dieser Firma, die sich kurz davor befand, durch ein ausländisches Unternehmen übernommen zu werden. Kommissar von Meuffels und seine neue Kollegin Constanze Hermann sind ratlos, und auch die Aussage einer vermeintliche Augenzeugin überzeugt sie nicht völlig. Dennoch gehen sie der Spur nach und verhören den Mann der Toten. Peter Brauer, der für seine Gattin in der Möbelfabrik gearbeitet und stets größere Ambitionen hatte als seine Frau sie zu verfolgen gewillt war …

Die Figur Peter Brauer ist das prägendste Element dieses Fernsehkrimis. Justus von Dohnányi legt den kultivierten Schöngeist sanft und verletzlich an, mit ruhiger Stimme und verlorenen Augen. Ob diese nun verloren sind in der Trauer um seine Frau, verloren in der Wut darüber, dass seine Existenz nach eigenen Aussagen katastrophal gescheitert ist oder ob sie verloren sind im Frust über all den Zwang, den er in der ganzen Welt zu verorten gedenkt? Tja, das bleibt lange unklar, denn von Dohnányi balanciert den Emporkömmling zielgenau auf einer Grenze zwischen aufgewühltem Sympathen und sich distanzierendem Geheimniskrämer. Womit von Dohnányi nicht nur für eine komplexe Atmosphäre sorgt und für Spannung, da die Frage nach Brauers Schuld lange unklar bleibt.

Aber nicht nur von Dohnányis Spiel gilt es hervorzuheben, sondern auch das Skript Petzolds, das mit faszinierenden, langen Dialogpassagen ohne die üblichen Krimifloskeln überzeugt. Dialoge, wie sie aus dem Alltag gegriffen sein könnten, nur dass sie in Petzolds Drehbuch im Zusammenspiel zu clever sind, zu pointiert ineinandergreifen, als dass sie einfach so im echten Leben passieren würden. Geistreich verweist Petzold auch darauf, dass hundertprozentige Originalität in einer deutschen Fernsehkrimireihe nicht zu erwarten steht. So lässt er Brauer den Plot von «Ganz so schlimm ist er auch nicht» umschreiben, einer französischen Krimisatire mit Gérard Depardieu, in der rund um eine Möbelfabrik Dinge geschehen, die gewisse Parallelen zu diesem Werk aufweisen.

Ein anderes Mal darf in 'Kreise' in unprätentiösen Worten darüber sinniert werden, wie die meisten Leute mit ihrer Modelleisenbahn umgehen – sie bauen sie stets in den ewig langweiligen Kreisen auf. So wie viele Krimiautoren die unvermeidlichen Wendepunkte einer Genregeschichte ähnlich platzieren. So aber nicht Petzold, der etwa offene Exposition vermeidet, und stattdessen Nebensächlichkeiten Bände sprechen lässt. Und hier kommt der Filmtitel nochmal zur Geltung: Denn 'Kreise' zieht Kreise, wiederholt mehrere Stationen. Seien es Verhöre mit Brauer oder Situationen im eingangs gezeigten Wald. Petzold variiert diese sich so ähnelnden Momente allerdings in entscheidenden Punkten und zieht den geneigten Betrachter durch diese schleichenden Abwandlungen in seinen Bann.

Und so verabschiedet sich «Polizeiruf 110» mit einem Höhepunkt in die Sommerpause. Unterhaltsam, dank kurzweiliger und inhaltlich bedeutsamer Popkulturreferenzen. Spannend, weil die Figuren aussagekräftig sind und daher zu fesseln wissen. Und geistreich, weil Drehbuch und Inszenierung einfallsreich und bedeutsam sind. Gerne mehr davon!

«Polizeiruf 110 – Kreise» ist am 28. Juni 2015 ab 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.

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