Filmfacts «Ich seh Ich seh»
- Regie und Drehbuch: Veronika Franz und Severin Fiala
- Darsteller: Susanne Wuest, Elias und Lukas Schwarz
- Produktion: Ulrich Seidl
- Musik: Olga Neuwirth
- Kamera: Martin Gschlacht
- Schnitt: Michael Palm
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Was niemand «Ich seh Ich seh» nehmen kann: Franz und Fialas sowie deren Kameramann Martin Gschlacht («Immer nie am Meer») haben ein Auge für starke Bilder. Wenn die Zwillinge im Prolog durch die Natur rennen, auf einem wabbeligen Weg entlang hüpfen und ein schwarz-grüner Waldsee mit seiner spiegelglatten, dreckigen Oberfläche die Leinwand erfüllt, trieft «Ich seh Ich seh» vor Atmosphäre. Und das Haus, in dem sich der Großteil dieses rapide zerbröckelnden Idylls abspielt, ist wie geschaffen für solch eine Geschichte. Bei Sonnenlicht offenbart sich, wie leer und klinisch es ist, bei Nacht verschluckt die Dunkelheit alles um die handelnden Figuren herum. Die Einrichtung, die so prägnant in Szene gesetzt wird, zeugt derweil von einem versierten Auge für ausdrucksstarke Bilder – für all zu ausdrucksstarke Bilder, um genau zu sein.
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Überhaupt lässt sich daran ein wiederkehrender, kritischer Aspekt dieser Seidl-Produktion erkennen: Franz und Fiala beherrschen es offensichtlich, bei großen Meistern haargenau abzugucken. Die Kamera schwebt wiederholt durch die Villa, wie es in Stanley Kubricks «Shining» vorgemacht wurde. Gute-Nacht-Lieder offenbaren einen schauderhaften Beiklang, wie in Wes Cravens «Nightmare – Mörderische Träume». Die gebotenen Einblicke ins österreichische Gemüt könnten aus einem 'echten' Ulrich-Seidl-Film stammen, würden sie sich nicht auf ein simples „Traue nicht dem Anschein!“ beschränken. Der Schoß der Familie ist kein sicherer Hort – wie uns seit Jahrzehnten endlose Filme bescheinigen. Und dass Insekten und surreale Traumsequenzen (inklusive unverzichtbarer Arthouse-Nacktszene, denn ungeschminkte Frauenkörper im Mondlicht sind bedeutungsvoll!) genutzt werden, um die Nerven des angespannten Publikums zu malträtieren ist auch längst Standard. «Ich seh Ich seh» verbindet all dies, versäumt es aber, diesem Abhaken von Stilmitteln und Motiven eine profunde, eigene Note zu verleihen.
Der Trumpf im Ärmel der angestrengten Regisseure ist Susanne Wuest als bittere, entnervte und herrische Mutter. Die Mimin muss für weite Teile der Laufzeit allein mit ihrer Stimmlage und ihren Augen arbeiten, und sie versteht es formidabel, trotz dieser Einschränkung Wut, Erschöpfung und eine emotionale Distanz zu ihren Leinwandkindern zu vermitteln. Letzteres absolviert Wuest, ohne sich zu sehr von den Zwillingen abzuwenden, so dass die Frage „Ist sie die echte Mutter?“ zumindest auf darstellerischer Ebene lange im Raum zu hallen vermag. Auch Elias und Lukas Schwarz agieren so gut, wie es das Drehbuch ihnen erlaubt – ganz frei von den Unsicherheiten oder der Affektiertheit vieler gleichaltriger Schauspieler.
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Wenn «Ich seh Ich seh» dann im Finale mit dramatischer Pause (aber glücklicherweise ohne panisch hallender Musikuntermalung) das offene Geheimnis lüftet, darf sich der Zuschauer durchaus fragen, wie ein so altes Klischee nur so selbstgefällig neu verpackt werden konnte. Zumal die Plausibilität des Films bis zur überreizten Wendung arg davon abhängig ist, wie sehr das Publikum willens ist, das Verhalten wahlweise der Mutter oder der Kinder blind abzukaufen. Da «Ich seh Ich seh» sich nicht völlig einem Fokus verschreibt, bleiben nämlich beide Seiten zu ausführlich, als dass sie mittels eines gezielten Informationsmangels befremden könnten, aber gleichwohl zu undefiniert, als dass sie sich aus der Klischeekiste befreien könnten. Einzig wenn es um körperliche Folter geht, reißt «Ich seh Ich seh» seinen schmerzlichen inhaltlichen Schwächen zum Trotz mit. Zu dokumentarisch und echt sieht das Leid auf der Leinwand aus, um als Betrachter nicht wenigstens einmal mitschreien zu wollen. Ansonsten provoziert «Ich seh Ich seh» aber eher folgenden Aufschrei: Wieso?
Fazit: Auch wenn «Ich seh Ich seh» wie Kunst aussieht, ist es doch nur eine C-Horrorgeschichte wie sie schon zigfach erzählt wurde.
«Ich seh Ich seh» ist ab dem 2. Juli 2015 in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.