Sonntagsfragen

'Fernsehen kann nicht erklären, Fernsehen kann nur unterhalten.'

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Vor dem Start von RTL IIs neuer Doku-Reihe «Echtzeit» sprachen wir mit dem Bilderfest-Produzenten Dietmar Lyssy über die Lage deutscher Dokus und seinen besonderen Beitrag.

Über «Echtzeit» bei RTL II & Dietmar Lyssy

Die Sendereihe «Echtzeit» zeigt am Sonntagvorabend wöchentlich Dokumentationen über Themen unterschiedlichster Art. Die Beiträge stammen von insgesamt 15 unterschiedlichen Produzenten und zielen darauf ab, die Themen für eine junge Zielgruppe möglichst packend darzustellen.
Dietmar Lyssy ist Geschäftsführer der Produktionsfirma Bilderfest, die ein breites Portfolio im öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehen hat. Sein Team produzierte den Beitrag "Der Darm - dein unbekannter Freund."
Herr Lyssy, die Doku-Reihe «Echtzeit» macht es sich explizit zur Aufgabe, mutigere Dokumentationen für ein jüngeres Publikum darzustellen. Dabei will man sich von der herkömmlichen Doku-Ware im deutschen Fernsehen abgrenzen. Ihre Produktionsfirma Bilderfest hat einen Beitrag zum menschlichen Darm produziert. Worin hebt sich dieser explizit vom Rest der deutschen Doku-Landschaft ab?
Es ist der erste 45-Minüter in Deutschland, vielleicht weltweit, der sich ausschließlich um den Darm und seine Produkte dreht – eigentlich ein Tabu-Thema. Das ist ein Kennzeichen von «Echtzeit» bei RTL II: Der Mut, auch solche Themen anzugehen.

Und abgesehen vom Thema: Was lassen die deutschen Standard-Dokus Ihrer Meinung nach vermissen?
Wo wir gerade beim Mut waren: Mut sowohl bei der Themenwahl als auch beim Zugang zum Thema ist etwas, woran es beiden Seiten, Produzenten und Sendern, in Deutschland mangelt. Da sind uns unsere angelsächsischen Kollegen voraus. In Deutschland kopiert man gerne, wenn der Mut woanders aufgebracht wurde: Wenn es im Ausland geklappt hat, macht man es hier gerne nach.
Als Produzent traut man sich teilweise gar nicht, bestimmte Vorschläge zu machen. Deshalb kann «Echtzeit» auch eine Chance für uns Produzenten sei: eine Plattform, in deren Rahmen man ein Thema jung aufbereiten und auch mal anders angehen kann. „Der Darm – dein unbekannter Freund“ ist ein Beispiel dafür.

Sie wollten sich mit dem Beitrag, wie gesagt, auch auf ein Thema fokussieren, das sonst in deutschen Medien, vor allem im Fernsehen, kaum stattfindet. Warum sind der Darm und seine Erzeugnisse noch immer ein Tabu-Thema im Fernsehen und wieso muss sich das ändern?
Genau das war letztendlich unser Ziel – den Ekel zu durchbrechen. Wir haben unter anderem mit der Felix Burda Stiftung zusammengearbeitet, der es darum geht, ein Bewusstsein für den Darm und mögliche Erkrankungen zu schaffen, ihn aus seiner Tabu-Ecke herauszuholen.
Dietmar Lyssy über das Tabu-Thema Darm
Es ist eine große Herausforderung, dieses Thema visuell darzustellen – und Visualität ist nun mal das, um was es beim Fernsehen geht. Wir arbeiten auch für Wissenschaftssendungen der Öffentlich-Rechtlichen, wie beispielsweise «Quarks & Co.». Die hatten den Darm natürlich auch schon als Thema – aber eher in kurzen Filmen von wenigen Minuten Länge. In diesem Umfang traut man sich ran, aber dann wird es schwierig. Man fragt sich: ‚Was soll ich denn zeigen? Ist doch alles eklig‘.
Genau das war letztendlich unser Ziel – den Ekel zu durchbrechen. Wir haben unter anderem mit der Felix Burda Stiftung zusammengearbeitet, der es darum geht, ein Bewusstsein für den Darm und mögliche Erkrankungen zu schaffen, ihn aus seiner Tabu-Ecke herauszuholen. Deswegen ist es wichtig, eine breite Masse zu erreichen und zu zeigen, dass es gar nicht so schlimm ist, beispielsweise eine Darmspiegelung machen zu lassen.

Hat Sie „Der Darm – dein unbekannter Freund“ von der produktionstechnischen Seite vor neue Herausforderungen gestellt? Es hieß, dass Personen im Rahmen der Dokumentation im Deutschen Museum durch ein riesiges Darmmodell durchgeführt wurden.
Im Rahmen der Dreharbeiten gab es ein richtiges Wissens-Event im Deutschen Museum, an dessen Umsetzung alle Beteiligten wochenlang gearbeitet haben. Zum einen haben wir im Innenhof des Deutschen Museums das größte begehbare Darmmodell Europas aufgebaut, das uns die Felix Burda Stiftung zur Verfügung gestellt hat.
Die zweite Stufe war die öffentliche Übertragung einer Darmspiegelung im Museum. So konnten die Museumsbesucher den Eingriff unter den Kommentaren eines Internisten, der die ganze Untersuchung Schritt für Schritt erklärt hat, quasi-live erleben.

Einige Personen würden das Thema Darm sicher als unsexy bezeichnen. Denken Sie bei solchen Themen schalten Zuschauer eher ab? «Echtzeit» untersteht ja auch einem gewissen Quotendruck.
Natürlich hat jeder Zuschauer eine andere Ekelschwelle. Wir haben zum Beispiel aus Lebensmitteln verschiedene „Kotformen“ hergestellt. Hintergrund ist eine britische Studie, die zwischen sieben unterschiedlichen Konsistenzen differenziert, um daraus Rückschlüsse auf mögliche Erkrankungen zu ziehen. Neun von Zehn gucken sich das an, rollen sich weg, lachen und sind dabei – es gibt aber auch den Einen, der das gar nicht sehen will. Die Gefahr hat man immer. Das ist das Schöne an «Echtzeit»: Dass man einfach sagt, „das Thema ist uns wichtig, wir machen das trotzdem!“

Fallen Ihnen spontan andere Themen ein, die in Dokumentationen gar nicht oder kaum behandelt werden oder sogar regelrecht verklärt werden?
Das sind in der Regel alle körperbetonten Themen, die mit Peinlichkeit zu tun haben. Natürlich auch Sex, da gibt es ja mittlerweile auch in der öffentlich-rechtlichen Ecke einiges. Darüber kann man viel Mist erzählen, aber eben auch viel Gutes und Tabus auf eine positive Art und Weise brechen.r.
Dietmar Lyssy über tabuisierte Themen im deutschen Fernsehen
Das sind in der Regel alle körperbetonten Themen, die mit Peinlichkeit zu tun haben. Natürlich auch Sex, da gibt es ja mittlerweile auch in der öffentlich-rechtlichen Ecke einiges. Darüber kann man viel Mist erzählen, aber eben auch viel Gutes und Tabus auf eine positive Art und Weise brechen. Oder auch psychologische Themen, wie beispielsweise ADS: In so vielen Familien gibt es diese Diagnose – aber kaum jemand spricht darüber. Das sind die Themen, die die Leute da draußen bewegen.
Wir sitzen gerade an einer weiteren Produktion für «Echtzeit», die sich mit einem Tabu-Thema befasst. Ich kann noch nicht viel darüber sagen, aber es geht im weitesten Sinne um das Internet. Um Dinge, die im sogenannten „virtuellen Leben“ jeder macht. Und wir fragen uns, warum - wenn man doch im „wirklichen Leben“ nie so handeln würde.

Bilderfest hat ein großes Portfolio an Dokumentationen, die bereits bei ganz unterschiedlichen deutschen Sendern liefen. Sie sind also durchaus ein alter Hase, wenn es um Dokumentationen geht. Nun ist es so, dass „Echtzeit“ Beiträge von 15 unterschiedlichen Produzenten zeigt. Wodurch zeichnet sich ihre besondere Handschrift als Produzent aus?
Wir arbeiten seit Jahren mit privaten und mit öffentlich-rechtlichen Sendern zusammen. Der Kern der Mannschaft hat Erfahrungen im privaten und Öffentlich-Rechtlichen Wissensfernsehen bis in die 90er Jahre hinein. Wir haben schon immer jung und verspielt mit den Themen experimentiert und sie innovativ umgesetzt. Wir arbeiten kreativ und modern, weil das unserer Leidenschaft und unserem Spieltrieb entspricht. Gleichzeitig hat alles, was wir produzieren eine tiefe Seriosität. Ich denke, Fernsehen kann nicht erklären. Fernsehen kann nur unterhalten. Wenn wir die Unterhaltung nutzen, um Wissen an die Leute zu bringen, dann ist das das Größte, das Fernsehen erreichen kann.

Denken Sie es ist eher ein Vorteil oder eher ein Nachteil, dass die Beiträge so unterschiedlich aussehen werden? Zum einen sorgt dieser Umstand für Abwechslung, andererseits könnten die Zuschauer eine gewisse Kontinuität vermissen und die Beiträge werden wohl auch in ihrer Qualität schwanken.

Meiner Meinung nach gibt es zu viel Wissens-Fernsehen in Deutschland, das überformatiert ist. Es ist eine große Chance, den Inhalten genau den Zugang zu lassen, der für sie angemessen ist.
Dietmar Lyssy über die Regeln in deutschen Doku-Formaten
Ich glaube, es ist ein Vorteil. Über viele Fernsehjahre waren alle Sender immer bemüht, Inhalte zu formatieren. Das hat sein Gutes: Der Kunde sieht etwas, worauf er sich einstellen kann und das er immer wieder bekommt. So wird ein Format berechenbar, nutzt sich aber auch schnell ab.
Vor allem die Öffentlich-Rechtlichen betonen immer wieder, dass Formate klare Regeln haben müssen. Das hat seine Richtigkeit bei gewissen Formaten, aber meiner Meinung nach gibt es zu viel Wissens-Fernsehen in Deutschland, das überformatiert ist. Es ist eine große Chance, den Inhalten genau den Zugang zu lassen, der für sie angemessen ist. Das kann für das Thema „Drohnen“ beispielsweise ein anderer Zugang sein als für das Thema „Darm“. Das sind komplett unterschiedliche Ansätze, die auch verschiedene filmische Herangehensweisen erfordern. Diese Freiheit gibt uns «Echtzeit». Ich glaube, in diesem Wald der formatierten Formate ist es eine Überraschung und ein Vorteil, dass verschiedene Zuschauer angesprochen werden und jeder ein Thema findet, dass er so noch nie gesehen hat.


Vielen Dank für das Interview!

«Echtzeit» läuft erstmals am 12. Juli ab 19 Uhr bei RTL II.

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