Zu Studio71
- Multi-Channel-Netzwerk von ProSiebenSat.1
- bekannteste Köpfe: Gronkh, Sarazar, LeFloid, MissesVlog
- nicht nur bei YouTube aktiv, auch bei Plattformen wie MyVideo
- internationale Ausrichtung durch Übernahme am amerikanischen MCN Collective Digital Studio
- fast 300 Millionen Views pro Monat in Deutschland, 2 Milliarden weltweit
- eigene Formate wie Let's Play Poker, Let's Play Together und The Mansion
Ganz nüchtern betrachtet haben wir es bei YouTube mit einem neuen Medium zu tun, das eigene, neue Gesetzmäßigkeiten und Spielregeln mit sich bringt: Formate und Videos, die dort funktionieren, können nicht im klassischen Fernsehen laufen – und umgekehrt. Ob die Konzepte des Fernsehens hier weiterhelfen, ist fraglich. Christoph Krachten, in der Szene YouTube-Daddy genannt, sagt: „Den Profis steht ihr ganzes Know-how eher im Wege. Online-Video ist anders und zu erkennen, an welchen Punkten sich das wirklich diametral unterscheidet, das ist unglaublich schwer.“ Als Beispiel für den fehlenden Erfolg nennt er die Original Channels: von YouTube mitfinanzierte Kanäle, die 2012 von professionellen (TV-)Produktionsfirmen hergestellt wurden. Keiner war erfolgreich, das Programm wurde schnell eingestellt. Auch YouTube selbst erkannte, dass die Stärke des Mediums weniger in einer forcierten Professionalität liegt, eher in der Authentizität und Leidenschaft seiner Macher.

Was Christoph Krachten meint, wenn er über Fernsehen und YouTube redet, ist eher die inhaltliche Komponente: TV-Produzenten gehen, möglicherweise unterbewusst, voreingenommen an dieses neue Medium. Es ist schwierig, dann wirklich innovative Inhalte zu erstellen. Um es mit einem Beispiel zu sagen: Lets Plays konnten nur entstehen durch neue Köpfe, die mit frischen Ideen an das innovative Medium YouTube herangetreten sind und die nicht die Spielregeln des klassischen TV im Kopf hatten. Fernsehmacher hätten ein solches Konzept mit seinen Erfolgsfaktoren nicht erfinden können – geschweige denn an seine Popularität überhaupt geglaubt. Das neue Medium verlangt, quer zu denken.

Auch die bereits bestehende Internet-Reichweite ist eine solche Ressource: Über die Websites und Social-Media-Accounts der Sendergruppe werden Millionen Menschen angesprochen. Und damit Millionen potenzieller Abonnenten. Erfolgreich ist Studio71 vor allem auch als Produzent von Events: 2014 schickte man mehrere YouTube-Stars nach Los Angeles, im Format «The Mansion». Das Vlog-Event wurde zum großen Erfolg, hat den Teilnehmern neue Abonnenten zugespült. Auch sollen diese Produktionen – darunter auch Poker- und Gaming-Formate mit verschiedenen YouTubern – weniger bekannte Channels zu mehr Aufmerksamkeit verhelfen. Konkret: Wer mit Gronkh und Sarazar in die L.A.-Villa einziehen durfte, hat sich in der Szene spätestens dann einen Namen gemacht. Ende des Jahres folgt das erste Fiction-Format namens «Das Netzwerk».

Gerade in den vergangenen zwölf Monaten wurde der Mikrokosmos der Multi-Channel-Netzwerke durcheinandergewirbelt, auch Studio71 hat davon profitiert. Viele populäre YouTuber wendeten sich zuletzt von Mediakraft ab, dem Netzwerk, das eine Zeitlang fast die Alleinherrschaft über die deutschsprachige Szene hatte. Dann kam der Oktober 2014 und LeFloid beendete die Zusammenarbeit aufmerksamkeitswirksam. Noch öffentlicher verabschiedete sich Simon Unge danach von Mediakraft – inklusive Hashtag #freiheit und einem millionenfach angeklickten Video, in dem er seinen Ausstieg erklärt. Es war das erste Mal, dass ein Ereignis in der YouTube-Szene in der breiten Öffentlichkeit Schlagzeilen machte. Selbst die «Tagesthemen» berichteten. Weitere YouTuber folgten 2015: ApeCrime, die SpaceFrogs, zuletzt daaruum kehrten dem Netzwerk den Rücken. Weit über acht Millionen Abonnenten verlor Mediakraft allein durch diese YouTuber.
Für Studio71 sind genau diese zugkräftigen Stars attraktiv. Man führt Gespräche über eine Zusammenarbeit, im Juni konnte LeFloid unter Vertrag genommen werden. Weitere Ex-Mediakraft-Tuber wie daaruum oder die SpaceFrogs wirken an den hauseigenen Events mit, beispielsweise «Let's Play Poker». Es wäre nicht überraschend, würden auch sie letztlich exklusiv bei Studio71 anheuern. Aus der Branche ist zu hören, dass das Netzwerk sehr viele kreative Freiheiten gewährt, eher beratend bei der Entwicklung einer inhaltlichen Strategie zur Seite steht und redaktionell keine Vorschriften macht.
Das Angebot scheint zu stimmen bei diesem Netzwerk, das eine der größten Senderfamilien Europas hinter sich hat. Allein die Ressourcen, auf die Studio71 zurückgreifen kann, sind mit der Konkurrenz nicht vergleichbar. Auch dadurch konzentriert man sich auf die großen Stars der Szene, auf YouTuber, die bereits ein riesiges Publikum mitbringen. Viele gehören zur ersten und zweiten Generation erfolgreicher YouTuber, also zu denen, die seit langer Zeit Videos produzieren und die Branche kennen, darunter LeFloid und Gronkh. Andere Netzwerke – auch Mediakraft – konzentrieren sich auf die dritte, nun nachkommende Generation.
Dies vielleicht ist das Erfolgsgeheimnis von Studio71: Man ist erfolgreich trotz und gerade wegen des TV-Hintergrundes. Trotz des TV-Hintergrundes, weil man weniger darauf fokussiert ist, YouTuber zu entwickeln oder neue Kanäle zu pushen, sondern etablierte Stars zu managen. Man vertraut auf deren Fähigkeiten, mischt sich inhaltlich und kreativ wenig ein und weiß um die eigenen Stärken als Vermarkter, als Channel Manager, als Rechtsbeistand, als Anbieter von Ressourcen wie Studios und Produktionsmaterial. Produzent ist man vor allem im Event-Bereich – bei Formaten also, die viele der eigenen YouTuber vereinen. Erfolgreich ist man also auch genau wegen des TV-Hintergrundes: Kein anderes Netzwerk bietet so viele Möglichkeiten, die eigene Person und den eigenen Kanal zu vermarkten.
Auf dem Erfolg ausruhen darf sich Studio71 dennoch nicht. Wenn die vergangenen Jahre eines gezeigt haben, dann wie fragil die Branche und ihre Netzwerke sind, wie schnell sich stabil geglaubte Verhältnisse neu sortieren. Niemand kann genau abschätzen, wohin der Klick der kommenden jungen Zielgruppen als nächstes führen wird. Diese Unberechenbarkeit hat aber auch etwas Spannendes. Wie der Weg des Online-Videomarktes aussehen wird, und ob er in fünf Jahren überhaupt noch an das, was wir heute kennen, erinnert, ist eine dieser Fragen. Fest steht nur, um es mit Christoph Krachtens Worten zu sagen: „Wir sind noch ganz am Anfang.“
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