Die Kritiker

Das Leben, die Liebe und der Nahe Osten

von

Die Kritiker: Der deutsch-israelische Film «Die Unvergessenen» erzählt von Liebe und Verlust im Nahen Osten. Eine sehenswerte Produktion zu später Stunde...

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Vahina Giocante als Dora
Oz Zehavi als Yossi
Eli Altonyo als Binder
Oded Leopoled als Kobi
Jony Arbid als Omar
Kajes Neshef als Haled
Salim Daw als Abu Haled

Hinter der Kamera:
Produktion: Tatfilm, Pimpa Film und ZDF - Das kleine Fernsehspiel
Drehbuch und Regie: Matan Guggenheim
Kamera: Florian Schilling
Produzent: Rafael Katz
Die französische Photographin Dora fährt mit ihrem Auto durch Israel. Sie ist besessen davon, den israelischen Soldaten zu finden, der ihren Lebenspartner erschossen hat. Nicht ganz zurechnungsfähig klappert sie Beerdigungen von Soldaten und Nachtclubs ab, in der Hoffnung, Hinweise oder gar den möglichen Täter zu finden und endlich Rache nehmen zu können.

Irgendwann trifft sie auf Yossi, einen Straßenarbeiter, der sich an seine Zeit in der israelischen Armee nicht mehr erinnern kann. Hin und wieder flackern vor seinem inneren Auge einzelne seltsame Bilder auf, aber nichts, dass irgendeinen tieferen Zusammenhang liefern würde.

Obwohl Dora und Yossi zwei sehr unterschiedliche Menschen sind, einen sie ihre unverarbeiteten Traumata, über die sie mit Joints, Alkohol, Arbeit und ihrer intensiven zwischenmenschlichen Beziehung hinwegzukommen versuchen, ihre erbärmliche Einsamkeit und die Unmöglichkeit, von anderen Menschen wirklich verstanden zu werden. Sie verlieben sich ineinander, obwohl sie sich in vielen Punkten fremd bleiben. Die Katastrophe ist nur eine Frage der Zeit.

Es wird nicht verwundern: Ein Film, der in Israel spielt, ist nahezu zwangsläufig auch ein Film über den Nahostkonflikt. Spannend an «Die Unvergessenen» ist, wie Autor und Regisseur Matan Guggenheim sich bemüht hat, diesen Konflikt zu entpolitisieren, ihn gewissermaßen als gegebenen Faktor vorauszusetzen und vor ihm das damit verbundene Drama zu inszenieren. Beeindruckend ist, dass ihm das gelungen ist, ohne in seinem Erzählduktus fahrig, geschichtsvergessen oder allzu weltfremd zu werden.

«Die Unvergessenen» ist gleichsam kein Selbstfindungsfilm, kein pathetisches Stück über das Suchen und unweigerliche Finden von Glück nach dem Unglück, sondern vielmehr: ein nahezu fatalistischer Film über eine alles erdrückende Schwere, aus der trotz aller Momente der Euphorie, es endlich aus dem Loch der Depression geschafft zu haben, doch kein Entkommen mehr möglich ist. Die Figuren bleiben sich fremd, obwohl sie eine innige Beziehung zueinander haben oder aufzubauen versuchen. Sie haben Geheimnisse, Lebenslügen und Abgründe, sie haben eine schwammige Identität, weil sie erkannt haben, dass Identität allein kein sinnstiftendes Attribut ist, und verstehen sich – je nach dem Blickwinkel des Betrachters – so gut oder so schlecht, dass sie in drei Sprachen miteinander kommunizieren müssen: Englisch, Französisch und Hebräisch. Bei der Ausstrahlung im ZDF liefert der Film für seine nicht-polyglotten Zuschauer freundlicherweise Untertitel mit.

Ins Auge sticht vor allem die riesige Spielfreude der beiden Hauptdarsteller, der Französin Vahina Giocante und des Israelis Oz Zehavi, die auch in den exzentrischeren, fast schon philosophischen Momenten des Films eine große Nahbarkeit finden.

Stellenweise mag die zu überladene Symbolik stören, wenn die Motive zu penetrant gesetzt werden und man dadurch Gefahr läuft, den zumeist sehr intelligenten Stoff zu sehr zu banalisieren, indem man ihn zu sehr auf das reduziert, was man offensichtlich für das Wesentliche hält: Eine fatalistische Weltsicht, in der eine Liebesbeziehung zweier in ihrer Gegensätzlichkeit und Entrücktheit geeinter Figuren von dem friktionellen regionalen Konflikt unmöglich gemacht wird, nicht indem er beide Charaktere auf unterschiedliche Seiten stellt, sondern indem der Film die Beobachtung ins Feld führt, dass der, den man liebt, die Ursache des größten Unglücks gewesen sein kann. Eine valide und sicherlich auch intelligente Beobachtung; aber ihre stellenweise Überbetonung verstellt manchmal den Blick auf die anderen Untersuchungsfelder: Das Leben in einer Gesellschaft, die einer permanenten existentiellen Bedrohung von innen und außen ausgesetzt ist. Die (Un-)Möglichkeit, sich von der Zerrüttung des Lebensglücks zu erholen. Die wechselseitigen Amalgamierungen und Verzahnungen der beiden Seiten des Konflikts, die eine saubere Trennung in Täter und Opfer auf der persönlichen Ebene schwer oder unmöglich machen können (!).

Nichts, was den positiven Eindruck nennenswert schmälern würde. Denn «Die Unvergessenen» funktioniert als mitreißender Film über zwei intelligente, vielschichtige und nahbare Figuren – und hat viel zu sagen über das Leben, die Liebe und den Nahen Osten.

Das ZDF zeigt «Die Unvergessenen» (OT: «The Unforgettables»), das im Rahmen des Kleinen Fernsehspiels entstand, am Montag, den 10. August um 00.25 Uhr.

Kurz-URL: qmde.de/79981
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