Hingeschaut

Überfordert und lustlos

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Heute Abend zeigt der WDR die «Politiker-WG». Die Sendungs-Idee war durchaus löblich, das Endprodukt bleibt eine Enttäuschung. Das ist in erster Linie aber nicht dem WDR zuzuschreiben…

Über Marxloh

  • Über 18.900 Menschen leben in Marxloh
  • Marxloh umfasst eine Fläche von 7,58 km²
  • 46 % der Fläche wird durch Industrie und Gewerbe genutzt
  • 15 % der Fläche werden für Grünfläche genutzt
  • 9 % der Fläche fallen für Wohnsiedlungen an
  • Der Stadtteil hat mit die höchste Arbeitslosendichte in Nordrhein-Westfalen, Anfang 2014 lag sie bei rund 16%
Was bringt einem die beste Show-Idee, wenn die Besetzung die falsche ist? Was hat man von einem noch so guten Sendungskonzept, wenn die Teilnehmer einfach keine Lust haben? RTL kennt diesen Umstand aus dem Januar. Das für gewöhnlich hochgelobte Dschungelcamp zeichnete sich über weite Strecken durch Langeweile aus. Der Grund: Nicht etwa die Produktion, nicht die Moderation. Nein, die Kandidaten. Die Kandidaten, die keine Lust hatten, der Show ein wenig Schwung zu verleihen. Sondern zwei Wochen einfach nur vor sich vegetierten.

Eine gewissermaßen ähnliche Erfahrung musste jetzt der WDR mit seiner «Politiker-WG» machen. Die Idee, sieben Frauen und Männer aus dem Politik-Betrieb eine Woche lang in eine WG zu verfrachten, versprach durchaus Potenzial zu haben. Schließlich gäbe es in Duisburg-Marxloh, dem Problembezirk, in dem die Politiker eine Woche lebten, genug zu tun. Zum Beispiel die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Oder der Kriminalität. Geschweige denn das Problem von Menschen ohne Krankenversicherung, von dessen Ausmaß sich selbst die Linken-Politikern Kathrin Vogler im Quotenmeter.de-Interview erschüttert zeigte.

Es wäre so viel zutun gewesen. Wäre. Hätte. Könnte. Passiert ist im Endeffekt irgendwie nichts.

Keiner tritt an die Produktion mit dem Anspruch heran, dass sieben Politiker aus Marxloh von heute auf morgen ein Elite-Viertel machen sollen. Es ist klar, dass das nicht innerhalb von einer Woche zu leisten ist. Es ist klar, dass das nicht von sieben Menschen zu schaffen ist. Traurig ist aber, dass man als Zuschauer zu vielen Zeitpunkten das Gefühl hatte, die Politiker hätten gar keine Lust darauf, die Probleme ernsthaft und nachhaltig anzugehen. Oder, dass sie mit ihnen schlichtweg überfordert waren.

Da wäre zum Beispiel Lisa-Marie Friede. 22 Jahre jung und Sprecherin bei der Grünen Jugend NRW. Sie unterhält sich in einer Situation mit einer Frau ohne Krankenversicherung. Der Frau geht es schlecht, sie hat Schmerzen. Und kann trotzdem nur einmal pro Woche zum Arzt. Friede ist im Gespräch sichtlich überfordert. Weiß nicht, wie sie helfen kann. Weil sie es nicht kann. Weil sie nicht Angela Merkel heißt oder mit ihrem Status den Einfluss hätte, etwas Grundlegendes zu ändern. Man mag der jungen Frau angesichts des schwierigen Gesprächs ja gar keinen Vorwurf machen. Und trotzdem ist die Hilflosigkeit, die in dieser Situation vermittelt wird, ernüchternd.

Da wäre aber auch Manuel Dröhne. Ein durchaus sympathisch wirkender Politiker der Jusos. Wirklich Lust, etwas zu verändern, hat er aber nicht. Oft sieht man, wie er mit den gestellten Aufgaben überfordert ist. Oder sie mit lockeren, womöglich der Situation nicht immer angemessenen Sprüchen, abhandelt. Am liebsten aber tut er – gar nichts. Dabei versprach der WDR doch, dass die Politiker in der WG ihre Macher-Qualitäten zeigen sollten. Dröhne zeigt davon nichts.

Die Einzige, die den Eindruck vermittelt, wirklich etwas bewegen zu wollen, ist die Bundestagsabgeordnete Kathrin Vogler. Sie ist es, die während der sieben Tage auf die Leute zugeht und sich Sachen zeigen lässt. Sie ist es, die ihre bequemen WG-Kollegen nervös zum Handeln auffordert. Die will. Nur reicht eine Pragmatikerin eben nicht, um die Produktion als Erfolg durchgehen zu lassen. Dass am Ende kaum etwas erreicht wurde (Vogler: „Auf politischer Ebene hat sich in Marxloh nichts verändert“) ist das eine. Dass ab Minute fünf zu keinem Zeitpunkt die Hoffnung besteht, dass die Politiker wirklich etwas bewegen wollten, das andere.

Die Teilnehmer der Politiker-WG im Überblick

  • Kathrin Vogler (Die Linke, MdB)
  • Manuel Dröhne (Jusos, Stadtrat in Oberhausen)
  • Klaus Franz (CDU-Bürgermeisterkandidat für Bochum)
  • Lisa-Marie Friede (Sprecherin Grüne Jugend NRW)
  • Luisa-Maximiliane Pischel (Junge Liberale, Kreisvorsitzende Ruhrgebiet)
  • Paula Marie Purps (CDU)
  • Ulrich Scholten (SPD-Bürgermeisterkandidat für Mülheim/Ruhr)
Die «Politiker-WG» wäre mit Sicherheit eine gute Möglichkeit gewesen, in der breiten Bevölkerung um Verständnis für die Arbeit von Politikern zu werben. Dieses sehr lobenswerte Ziel, das in einer politikverdrossenen Gesellschaft nur wünschenswert zu erreichen ist, haben die Akteure aber leider ad absurdum geführt. Vielmehr dürfte sich bei dem einen oder anderen das Klischee des Politikers als unfähigem Theoretiker noch verfestigt haben.

Pluspunkt für die Reportage: An der Produktion an sich gibt es bei alledem wenig auszusetzen. Vorfälle, wie eine gewalttätige Auseinandersetzung während den Dreharbeiten, werden zu keinem Zeitpunkt unnötig gepusht. Das ist sehr wohltuend. Die Kommentare aus dem Off sind gut, manchmal ein wenig ironisch und abzielend auf den mangelnden Pragmatismus der WG-Politiker. Es ist durchaus davon auszugehen, dass der WDR bei einer stärkeren Leistung der Akteure eine starke Reportage zusammengebastelt hätte.

Das lässt sich gut an den ersten Minuten, am Einstieg der Produktion, festmachen. Sie ist mit dramatischer Musikuntermalung und provokanten Passanten-Aussagen durchaus bombastischer aufgezogen als es hätte sein müssen. Aber es macht Lust auf mehr. Umso trauriger, dass der Zuschauer schon bald erkennen muss, wie wenig in den 35 übrigen Minuten passieren wird.

Die Reportage zur «Politiker-WG» ist heute Abend ab 21.05 Uhr im WDR zu sehen.

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