Die Kritiker

Wenn Demenz auf Perspektive trifft

von

Die Kritiker: Der ZDF-Fernsehfilm «Mein vergessenes Leben» wählt zwar eine außergewöhnliche Perspektive, trifft aber in der Emotionalität lange nicht den richtigen Ton.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Robert Atzorn («Der Fall Jakob Metzler») als Alexander, Natalia Belitski («About:Kate») als Belinda, Katharina Marie Schubert («Ein Geschenk der Götter») als Birte, Shenja Lacher als Markus, Ingrid Resch als Frau Frisch, Katharina Welser als Gudrun, Michael Lerchenberg als Barny, Luca Sasse als Leon und Matthias Löw als Sebastian


Hinter den Kulissen:
Regie und Buch: Gernot Krää, Musik: Dieter Schleip, Kamera: Kaspar Kaven, Schnitt: Ueli Christen, Produktion: if…Productions

60 Sekunden. Ein längeres Gedächtnis haben Goldfische nicht, erklärt der Enkel seinem Opa Alexander. Das kann sich Alexander auch behalten, vieles andere allerdings nicht mehr. Viele seiner Erinnerungen sind verloren, an Momente und Personen erinnert er sich oftmals nicht. Mit der etwas mühseligen Goldfisch-Metapher vergleicht der ZDF-Fernsehfilm «Mein vergessenes Leben» die Geschichte des alten Herrn.

Bei Altersdemenz handelt es sich um ein Thema, das in der Bevölkerung in den vergangenen Jahren an Brisanz gewonnen hat, zugleich aber auch mehr in den Fokus gerückt ist. Filmproduktion hinken dabei nicht hinterher, sondern haben sogar einen hohen Anteil an dieser Entwicklung, jüngst beispielsweise mit Til Schweigers «Honig im Kopf». Zwar behandelt «Mein vergessenes Leben» das gleiche Grundthema, also Demenz und Altern, wählt dabei aber eine völlig andere Perspektive: Schemenhaft sieht der Zuschauer das Geschehen aus der Sicht des Erkrankten. Mit ihm zusammen muss er dessen Welt neu entdecken und lernt gemeinsam mit Alexander auch seine Familie „neu“ kennen. Als er sich nicht an seine Verwandten erinnert, findet so auch gleich für den Zuschauer eine Vorstellung statt. Was zunächst danach klingt, als sei es für die Autoren vor allem eine Hilfestellung zur Figurenetablierung, erweist sich als starker inszenatorischer Kniff.

Die klaren Momente bleiben


Glaubhaft gespielt von Robert Atzorn, muss Alexander erkennen, dass er immer und immer mehr an Erinnerungen verliert. Doch es gibt sie eben auch: Die Momente, in welchen nicht alles vergessen ist, sondern der Protagonist noch Bescheid weiß: Über die in seinem Beruf als Architekt gebaute Bahn-Brücke oder die Nährwerte von Austern zum Beispiel. An dieser Stelle wirkt er oft fast unrealistisch klar, vor allem wenn man in Betracht zieht, welche Aspekte aus seinem Familienleben Alexander alle vergessen hat.

Die Bildsprache kontrastiert dabei immer wieder ruhige Bilder mit hektischer Bewegung, die Weitläufigkeit kontrastiert die Enge. Beides spiegelt das Bewusstsein Alexanders wider. So begibt sich der Protagonist mit seiner dutzende Jahre jüngeren Freundin in Urlaub nach Italien oder in die Berge, nur um wenige Sekunden später in der brechend vollen Bahn zu sitzen.

Mit seinen spießigen Ex-Kollegen, den „lackierten Oberflächen“, will er nichts mehr zu tun haben, den Sex mit seiner Freundin hingegen genießt Alexander weiter, auch wenn er an der echten Liebe mindestens phasenweise Zweifel hat.

Interessant wird «Mein vergessenes Leben» auch, weil die negativen Seiten des Erkrankten nicht ausgeblendet werden. Zwar erinnert sich der Protagonist oft nicht an das, was er seinem Umfeld angetan hat (genauso wenig wie er seine guten Taten im Gedächtnis behalten hat). Doch konfrontiert wird er damit zweifelsohne immer wieder. Mit der fast romantisierenden Dramatik, die vergleichbare Filme oft aufweisen, wird hier deutlich gebrochen.

Probleme in der Emotionalität


Was dem ZDF-Film hingegen ein Stück weit fehlt, ist die emotionale Ansprache, die thematisch ähnliche Filme oft ausmacht. Als Zuschauer tut man sich schwer damit, emotional so richtig mitzugehen. Das liegt mitunter an der gewählten Perspektive, die Gefühle grundsätzlich wenig greifbar macht. Aber es liegt auch an der Umsetzung, die einem lange nicht das Gefühl gibt, dass hier etwas Dramatisches passiert und erst gen Ende langsam (wenn auch zu langsam) aus den Puschen kommt. Das aber macht es den Schauspielern zusätzlich sichtlich schwer, die durchaus bestehende Emotionalität der Situation auf die Bildschirme zu bringen. Man mag hier argumentieren, dass genau dieses Gefühl gewollt ist, vielleicht um den Krankheitsverlauf, der erst schleichend Einzug in das Leben eines Erkrankten erhält, widerzuspiegeln. Dennoch nimmt die Darstellung so ein Stück der Brisanz und lässt die Produktion merklich verlieren.

Interessant und vor allem relevant ist die gewählte Sichtweise aber zweifelsohne. Zu oft wird nicht genügend Rücksicht darauf genommen, wie sich demente Menschen fühlen und mag es auch nur an mangelnder Zeit liegen. Auch an Geduld und Verständnis mangelt es jedenfalls der Familie von Alexander. Dass er für seine Situation an vielen Stellen wenig kann lässt der Film dabei genauso wenig außen vor wie die Tatsache, dass der Protagonist an vielen Dingen in seinem Leben selbst Schuld hat – und zugleich auch vieles richtig gemacht hat. Eine emotionalere Darstellung, die den Zuschauer stärker mitgerissen hätte, wäre an dieser Stelle sicherlich ein deutlich positiver Verstärker gewesen. Leider blieb das aus. Die eigentliche Message verliert dadurch vielleicht an Nachdruck in der filmischen Darstellung, aber keinesfalls an gesellschaftlicher Bedeutung.

Das ZDF zeigt «Mein vergessenes Leben» am Montag, 31. August um 20.15 Uhr.

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