Single-Camera vs. Multi-Camera
- Single: Eine Kamera kommt zum Einsatz, jede Szene und jeder Blickwinkel wird individuell gefilmt. Szenen werden mehrfach gedreht und zusammengeschnitten. Single-Camera-Comedys sind teuer, haben meist einen filmischen Look, sind flexibler im Setting und können Effekte einfacher einsetzen.
- Multi: Meist vor einem Studiopublikum auf mehreren feststehenden Sets gefilmt. Mehrere Kameras zeichnen die Szenen gleichzeitig auf, so entstehen weniger Unterbrechungen, es entsteht eine Art Theater-Performance. Multi-Camera-Sitcoms sind günstiger zu produzieren, können ein besonderes Tempo entfalten, sind aber unflexibler und traditioneller bezogen auf den komödiantischen Stil und die Settings.
Eigentlich alles super? Im Gegenteil: Das Genre ist fast dort wieder angekommen, wo es in den Frühzeiten der «Two and a Half Men»-Ära Mitte der 2000er war: Viele Flops, wenige erfolgreiche Ausnahmen und ein geringes Vertrauen in die Zukunft der Multi-Camera-Comedy. Die Glanzzeiten sind vorbei, dies ist vor allem ablesbar an den Neustarts: Noch 2011 lag der Anteil der neuen Multi-Camera-Sitcoms bei 36 Prozent, in den vergangenen Jahren ist die Zahl stark zurückgegangen. Zur kommenden Season 2015/16 wird sie bei 20 Prozent liegen, die restlichen 80 Prozent belegen die moderneren Single-Camera-Comedys.
Noch dramatischer ist der Abstieg des Genres im US-Kabelfernsehen: Vor rund fünf Jahren begannen Sender wie TBS und TVLand eigene Multi-Camera-Sitcoms zu produzieren und betraten damit Neuland, erster populärer Vertreter war «Hot in Cleveland». Bekannte Sitcom-Gesichter machten neue Shows, darunter Kelsey Grammer («Partners»), Fran Drescher («Happily Divorced»), Kirstie Alley und Michael Richards («Kirstie») und selbstverständlich Charlie Sheen («Anger Management»). Alle diese Multi-Camera-Formate wurden mittlerweile eingestellt, die letzten Verbleibenden – «The Exes» und «Soul Man» – werden nach der aktuellen Staffel beendet. Das US-Kabelfernsehen ist dann nahezu wieder sitcom-frei.
Eigentlich basiert der große Erfolg der klassischen Sitcom in den vergangenen Jahren nur auf einem Mann: Chuck Lorre. Er initiierte die Renaissance des Genres mit «Two and a Half Men» – vor allem auch international wie in Deutschland – und er selber war es, der letztlich von dieser Renaissance am meisten profitierte: Sein «The Big Bang Theory» wurde noch erfolgreicher als die Sheen-Sitcom, mit «Mom» sowie «Mike & Molly» kamen weitere mehr oder weniger populäre Formate. Die einzigen ähnlich langlebigen Sitcoms im US-TV, die nicht von Lorre produziert werden und derzeit noch ausgestrahlt werden, sind «2 Broke Girls» und «Last Man Standing».
„Die Abkehr von den Multi-Camera-Sitcoms ist eine solche Überreaktion“, sagt Serienautor Ken Levine, der für viele Sitcoms gearbeitet hat. „Es ist so, als würden Theaterbetreiber plötzlich keine Stücke mehr spielen, nur weil Filme populärer geworden sind.“ Das Beispiel dient durchaus als Analogie, denn Multi-Camera-Sitcoms sind eigentlich Theaterstücke. Sie spielen auf Bühnen und verschiedenen Sets, vor Publikum. Single-Camera-Comedys sind dagegen eher filmisch, nicht auf bestimmte Schauplätze oder Settings begrenzt und grundsätzlich flexibler mit Inhalten zu füllen. Außerdem können sie einfacher mit Spezialeffekten hantieren. Dass sie aber dadurch automatisch witziger sind, ist ein Irrglaube.
Gegenbeispiele gibt es genügende: «Seinfeld» ist ein Meilenstein der Fernsehgeschichte und hob das Genre auf ein neues Niveau, «Frasier» repräsentiert die sophisticated comedy wie kaum eine andere. «The Big Bang Theory» lebt auch und vor allem von der Chemie zwischen den Figuren, von ihren nerdigen Dialogen, dem Gemeinschaftsgefühl, der Schlagfertigkeit, dem perfekten Timing. Als Single-Camera-Comedy hätte eine solche Atmosphäre nicht ähnlich harmonisch hergestellt werden können.
Das Schattendasein der Multi-Camera-Sitcom hat verschiedene Gründe. Man ist das Epizentrum einer umfassenderen, allgemeinen Comedy-Krise. Neue Formate funktionieren nicht, die Anzahl der Absetzungen war in der vergangenen Season rekordverdächtig. Von 18 Neustarts wurden 14 eingestellt, unter den Verlängerungen befand sich lediglich eine Multi-Camera-Serie («The Odd Couple», Foto). Networks sind vorsichtig geworden bei der Bestellung neuer Formate, auf das Multi-Camera-Setup setzen sie auch wegen des Imageproblems immer weniger. Das Genre ist in Verruf geraten, weil so viele Neustarts nicht nur bei den Zuschauerzahlen, sondern auch in puncto Qualität versagten.
Als Super-GAU kann hier «The Millers» gelten, eine platt-stereotype Sitcom billigster Machart von CBS. Anfangs ein Mega-Quotenhit, verlor die Serie rapide an Zuschauern und wurde kurz nach Beginn der zweiten Staffel abgesetzt. Ähnliche Beispiele: das als «Seinfeld»-Nachfolger angedachte «Mulaney», das kaum Zuschauer fand, «The McCarthys» und das groß angekündigte «Shit My Dad Says» mit William Shatner. Diese Flops haben dem Multi-Camera-Genre nachhaltig geschadet – sowohl beim Publikum als auch bei den Fernsehmachern. Die Zeiten, in denen das Genre durch intelligente Hits wie «Seinfeld» und «Frasier» höchste Anerkennung fand, haben sich ins Gegenteil verkehrt. Die Entwicklung ist parallel an zwei Sendern festzumachen: Die legendären Multi-Camera-Hits der 90er liefen bei NBC, das in den 2000ern CBS das Feld überließ. Mit der neuen CBS-Ära wurde ein neuer Tonus im Genre gesetzt, der zwar erfolgreich ist, aber auf Kosten des Ansehens.
Die Single-Camera-Comedy ist dagegen oft Prestigeprojekt, sie kann Preise gewinnen und ist meist von hoher Qualität. Sie sorgt auch für ein gutes Image – beste Beispiele sind «Brooklyn Nine-Nine», «The Mindy Project» und zuletzt «Last Man On Earth». Wegen des Images werden diese Formate eher verlängert, auch wenn sie schlechte Zuschauerzahlen haben. Zweitens ist es die Single-Camera-Comedy, die bei den neueren Playern an Bedeutung gewinnt, bei Netflix, Amazon und Co.: «Unbreakable Kimmy Schmidt» von Tina Fey wurde zu einem kleinen Überraschungshit, «Grace and Frankie» wurde schnell für eine zweite Staffel verlängert, die Neuauflage von «Wet Hot American Summer» (Foto) feierten die Kritiker. Gleiches gilt für die Amazon-Halbstünder.
Multi-Camera-Sitcoms haben es schwer in diesem Geschäft, erst 2016 startet der erste Versuch: Dann veröffentlicht Netflix eine neue Staffel von «Full House», mit dem damaligen Cast, 21 Jahre nach dem Ende der Serie. Außerdem geht 2016 «The Ranch» an den Start, ebenfalls ein Multi-Camera-Projekt von den «Two and a Half Men»-Showrunnern. Ashton Kutcher soll eine Hauptrolle übernehmen. Netflix ist bislang der einzige Streaming-Anbieter, der sich an diese klassischen Comedys wagt.
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Ein Plädoyer von Sitcom-Autor Ken Levine für das Genre: In defense of multi-camera-sitcoms„Das Comedy-Geschäft wird nicht verschwinden“, sagte Patrick Moran von den ABC Studios im vergangenen Herbst. „Und derjenige, der eine Idee hat, wie man die Multi-Camera-Sitcom neu erfinden kann, hätte eine sehr gute Position.“ In den Monaten danach kam diese Idee jedenfalls nicht. Sie wird mit großer Wahrscheinlichkeit auch im Herbst nicht kommen. Ein neuer Chuck Lorre wird noch lange auf sich warten lassen.
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