Die Kritiker

«Leberkäseland»

von

Im Rahmen der ARD-Themenwoche Heimat erzählt der Film «Leberkäseland» von einer türkischen Einwandererfamilie und dem Deutschsein.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Neda Rahmanian als Latife, Murathan Muslu («Risse im Beton») als Burhan, Sascha Ö. Soydan als Semra, Mansur Ajang als Onkel Ismail, Katja Studt («Die Stein») als Frau Breuer, Felix Klare («Bis nichts mehr bleibt») als Herr Breuer, Peter Jordan («Die Schimmelreiter») als Herr Dober, Johannes Zirner («Konrad Adenauer – Stunden der Entscheidung») als Professor Martin, Helen Woigk («Das Leben ist nichts für Feiglinge») als Lale, Derman Deniz als Nihal und Kristin Hunold als Peyda


Hinter den Kulissen:
Regie und Buch: Nils Willbrandt, Musik: Jens Langbein und Robert Schulte Hemming, Kamera: Peter Nix, Produktion: Ziegler Film

Heimat lautet das Thema der ARD-Themenwoche. Ein Begriff der in Zeiten von zunehmenden Migrationsbewegungen immer schwieriger zu definieren ist. Denn wo Menschen in unserem Land oft den Luxus haben, Heimat in einem engen Rahmen genau umreißen zu können, gestaltet sich die Beantwortung der Frage nach Heimat in anderen Zeiten oder an anderen Orten ungleich schwieriger. Das zeigt sich aktuell immer dann, wenn Flüchtlinge in ein Spannungsfeld von brennenden Asylheimen auf der einen und neuer Willkommenskultur auf der anderen Seite flüchten. Das zeigte sich aber auch seit den 1960er-Jahren, als Gastarbeiter zum wirtschaftsstarken Deutschland der Nachkriegszeit beitrugen – und es mit Sicherheit nicht immer einfach hatten.

Dass der Film «Leberkäseland» im Rahmen dieser Themenwoche von einer türkischen Familie aus der Oberschicht erzählt, wäre daher nicht unbedingt zu erwarten gewesen. Denn das ist glücklicherweise mal so gar nicht klischeehaft und die türkische Familie ist in vielen Momenten ganz anders, als sie der „Kein Nazi, aber“-Deutsche es sich vorstellt. Eigentlich sind die Protagonisten sehr deutsch. So deutsch, dass eine Tochter der Familie von ihrem Freund verlassen wird, weil sie so gar nicht spontan oder verrückt ist.

Als die Eltern der Familie, Zahnarzt Burhan und seine Frau Latife, gemeinsam mit ihren (natürlich deutschen) Kunden zu Abend essen, muss sich das Ehepaar dennoch anhören, dass Deutschland für sie ja sicher sehr gewöhnungsbedürftig sei. Schließlich, so die Aussage, sei die Türkei ja noch ein Entwicklungsland. Wenig geduldig regiert darauf Latife, die meint ihr Heimatland sei Dank Kemal Atatürk zivilisatorisch schon zu den Zeiten sehr weit gewesen, als hierzulande noch „der kleine Österreicher“ die Hosen anhatte. Diesen Atatürk aber kennen die Deutschen nicht einmal. Doch auch im eigenen Haushalt tut sich Feministin Latife schwer. Eigentlich nämlich hätte sie in der Heimat die Möglichkeit gehabt, Mathematik zu studieren. Anstatt dessen fristet sie nun ein so gar nicht feministisches Dasein als Hausfrau und Mutter, damit ihr Mann arbeiten und die Familie versorgen kann.

Wer die Hosen anhat


Dass Latife jedoch eigentlich die ist, die die Hosen anhat, zeigt sie deutlich, beispielsweise als sie den von Burhans Vater geerbten Mercedes zum ersten Mal erblickt. „Was für eine Angeberkiste. Den verkaufen wir“, sagt sie dann und ehe Burhan in der Lage ist seine Meinung kundzutun, ist die Entscheidung schon gefallen. Klar also, dass sich die Protagonistin nicht einfach mit der unglücklichen Situation zufrieden geben will. Das Studium behält sie fest im Auge, auch Promotion und Habilitation sollen folgen, sobald die Zeit es zulässt.

Schade ist vor allem, dass man sich dann gelegentlich in kleinteiligen Klischees verliert, wo die nicht stereotyp-türkische Familie doch eigentlich damit brechen sollte: Natürlich ist fast alles in Deutschland gewöhnungsbedürftig, doch bei Würstchen und Leberkäse brechen die Kinder gleich in begeisterte Schweinefleischstürme aus. Als bekennende Muslima will Latife natürlich auch auf Alkohol verzichten. Als sie jedoch Frauengold entdeckt kippt sie sich den ganzen Tag lang die Flüssigkeit mit mehr als 20 Prozent Alkoholgehalt in die Kehle. Dass Sie von diesem Alkohol noch nicht einmal etwas merkt, ist dabei nur die unglaubwürdige Randnotiz.

Einmal Spaghetti mit Verantwortung


Wenn Latife ihre Kinder jedoch nicht gerade mit deutschen Fleischspezialitäten füttert, lässt sie die Mädchen weitgehend alleine. Immer und immer wieder sind sie auf sich allein gestellt. So antwortet eines der Mädchen ihrer jüngeren Schwester auf die Frage nach dem Abendessen nur „Spaghetti mit Verantwortung – Was denn sonst?“ So wird sehr deutlich, dass Latife auf dem schmalen Grat zwischen Selbstverwirklichung und Egoismus nicht immer auf die richtige Stelle tritt – vielleicht wird es sogar zu deutlich gemacht.

Musikalisch bietet «Leberkäseland» eine dezente aber gelungene Mischung aus klassisch türkischer und deutscher Musik und macht das Aufeinanderprallen der Kulturen damit deutlicher, als es der Film als solcher schafft. Ordentliche aber nicht überragende Schauspieler finden die Zuschauer außerdem vor. Schwerer tut sich die Maske, gerade die gealterten Charaktere gelingen kaum und sehen phasenweise eher aus wie Karnevalsmasken. Im sonstigen Look gelingt es jedoch authentisch zu wirken, tatsächlich fühlt man sich zwischen Gastarbeitern, entwicklungsgehemmten Deutschen und gelegentlichen Alt-Nazis zumindest optisch sehr nah an der Realität.


Die Story schafft es damit vor allem zum Ende hin nicht mitzuziehen. Zwar ist die fast beiläufige Darstellung eines Unfalls, der tatsächlich eine bedeutende Wende im Plot darstellt, äußerst überraschend und fast beeindruckend gut gelungen. Der Rest aber trudelt eher aus. Der Handlungsarm um die Töchter von Latife wird nur kurz angerissen und nicht wirklich ausgeführt. Ähnlich seltsam ist auch das Ende von Latifes persönlicher Story. Nicht nur, dass der Tod einer wichtigen Figur mit gerade Mal einem Halbsatz ausgeführt wird, auch die Moral erscheint irgendwie fragwürdig. Diese nämlich könnte man ebenfalls in wenigen Worten zusammenfassen: Als Feministin kann man auch in der Fremde und unter der Hand eines Patriarchen glücklich werden. Vom Thema Heimat allerdings bleibt dann nicht mehr viel über. Bis auf einige Momente des Alltagsrassismus, die so leider auch heute noch zu finden sind, deckt «Leberkäseland» nicht viel auf. Außerhalb der Themenwoche wäre das kein Drama gewesen, so aber hätte der thematische Background genauer getroffen werden müssen. Ein gelungener Beitrag zur Integration sieht in jedem Fall anders aus. Darauf ein Stück Leberkäse.

«Leberkäseland» ist am Montag, 5.Oktober um 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.

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