Die Kino-Kritiker

«Pan»

von

Hugh Jackman als Barock-Punk-Pirat, viele bunte Farben und einige gute Ideen, aber eine unausgereifte Dramaturgie: «Pan» ist interessant, aber nicht durchweg mitreißend.

Filmfacts «Pan»

  • Regie: Joe Wright
  • Produktion: Greg Berlanti, Sarah Schechter, Paul Webster
  • Drehbuch: Jason Fuchs
  • Darsteller: Levi Miller, Hugh Jackman, Garrett Hedlund, Rooney Mara, Amanda Seyfried, Adeel Akhtar
  • Musik: John Powell
  • Kamera: John Mathieson, Seamus McGarvey
  • Schnitt: William Hoy, Paul Tothill
  • Laufzeit: 111 Minuten
Es gibt Geschichten, die einfach nicht alt werden. Geschichten, die immer und immer wieder erzählt werden wollen. Und dabei gerne auch ihre Gestalt ändern dürfen. Die Erzählung von den drei Musketieren ist solch eine. Auch die edlen Raubzüge von Robin Hood werden stets neu interpretiert. Und J. M. Barries Schöpfung namens Peter Pan darf sich selbstredend ebenfalls in diese Riege einreihen. Der Junge, der niemals erwachsen werden wollte, beflügelt seit mehr als hundert Jahren die Fantasie von Kindern und Erwachsenen. Seit Barrie den bevorzugt grün gekleideten, fliegenden Flegel erdacht hat, kam er in unzähligen Bühnenaufführungen vor, diversen offiziellen Kinderbüchern und ebenso in inoffiziellen Spin-Offs. Die Theatervorlage wurde möglichst originalgetreu auf Zelluloid gebannt, 1953 von Walt Disney und dessen Zeichentrickkünstlern neu gedeutet und 50 Jahre später als verspieltes Fantasyabenteuer für ein modernes Publikum verpackt.

Darüber hinaus brachte Steven Spielberg mit «Hook» eine Fortsetzung in die Kinos, in der Peter Pan letztlich doch erwachsen wurde, aber dann als gereifter Mann ins Nimmerland zurückkehren muss. Jetzt geht der auf filmische Augenweiden spezialisierte Regisseur Joe Wright (u.a. bekannt durch die «Stolz und Vorurteil»-Adaption mit Keira Knightley) den umgekehrten Weg: In «Pan» skizziert er die Vorgeschichte eines neuen Peter Pan. Eines Peter Pan, der als Waise in London aufgewachsen ist und während eines Fliegerangriffs auf dem Höhepunkt des Zweiten Weltkriegs ins Nimmerland, respektive Neverland, entführt wurde. Dieser Peter Pan wird von der bösartigen Piratencrew des diabolischen Kapitäns Blackbeard versklavt und muss als Minenarbeiter nach kristallisiertem Feenstaub graben.

Während dieser harten Arbeit lernt der von Drehbuchautor Jason Fuchs («Ice Age 4 – Voll verschoben») erdachte Peter-Pan-Neuentwurf den sarkastischen James Hook kennen, der ebenfalls ein Gefangener ist und sich nur eins wünscht: Endlich wieder heimzukehren … Als Peter in Neverland nach und nach erfährt, wer er wirklich ist, und wozu er alles imstande ist, sieht Hook seine Chance gekommen und schließt einen Pakt mit dem 12-Jährigen. Aber Blackbeard lässt niemanden einfach so davonziehen. Es beginnt ein Abenteuer, das für Peter schockierende Erkenntnisse bereit hält, ihn Bekanntschaft mit einem kunterbunten Stamm Eingeborener schließen lässt und Hook vor schwere Entscheidungen stellt …

Wright war Ideenvielfalt nie ein Fremdwort, und das zeigt er in «Pan» mehr denn je. Allerdings ist die 150 Millionen Dollar teure Produktion, im Gegensatz zu Wrights vorhergegangener Regiearbeit «Anna Karenina», bloß vollgestopft mit Ideen. Die ordnende Hand indes, die aus der Vielfalt an Einfällen der Tolstoi-Adaption ein faszinierendes sowie in sich kohärentes Ganzes gemacht hat, bleibt dieses Mal aus. So kommt es, dass der unter anderem von Greg Berlanti («Arrow») mitgetragene Neverland-Ausflug zwar stets eigensinnig ist und szenenweise mitreißt, als Gesamtwerk aber auf sehr wackligen Beinen steht. Zu den ganz großen Highlights zählt die theatrale Einführung Blackbeards, die von einem rhythmischen Schnitt profitiert sowie von Superstar Hugh Jackman, dessen Spaß an dieser übertriebenen Rolle ansteckt. In dieser Sequenz sprühen zudem deshalb die Funken, weil Wright in feinster «Moulin Rouge»-Manier den Nirvana-Klassiker „Smells Like Teen Spirit“ rezitiert. Dieser Anachronismus wird mit derartiger Chuzpe umgesetzt, dass sich die Szene möglichen Logikfragen gar nicht erst stellen muss. Sie will „Style over Substance“ sein, und hat einen derart fetzenden Style, dass sie funktioniert.

Umso bedauerlicher, dass dieses Stilmittel alsbald aufgegeben wird. Der „Blitzkrieg Bop“ der Ramones darf noch geschmettert werden, das war es dann mit moderner Musik im fiebrigen Neverland-Gewand. Ähnlich berückend wie die Anachronismen sind die visuellen Stilwechsel, in denen der Regisseur Rückblenden beziehungsweise Nacherzählungen präsentiert, jedoch wird deren Stilistik ebenfalls irgendwann begraben. Es ist fast so, als mangle es diesem Leinwand-Neverland an Durchhaltevermögen: Ob surreale oder anachronistische Elemente, ob gesellschaftliche Zwischentöne oder cool-grimmer Steampunk-Chic – alles wird ein-, zweimal ausprobiert und dann aufgegeben. Allein die für den Film geschriebene Instrumentalmusik von John Powell («Drachenzähmen leicht gemacht») bleibt sich durchweg treu und gibt dem teils fahrigen Geschehen mit magisch-folkloristischen Kompositionen angemessenen Drive.

Dessen ungeachtet verliert «Pan» in seinem Verlauf enorm an Potential, da sich bei seiner „Alles auf die Leinwand schmeißen und mal abwarten, was zusammen kleben bleibt“-Herangehensweise kein einprägsamer Gesamteindruck einstellt. Wenigstens wird «Pan» selbst in seinen verwunderlichen Momenten nicht langweilig. Denn dank Jackmans Engagement und einer magnetisierenden Performance des Newcomers Levi Miller in der Titelrolle gelingt es diesem möglichen Franchise-Eröffnungsfilm, die Story mit genügend Anreizen zu versehen, um nicht zu kollabieren. Jedenfalls, wenn man vom hektisch choreografierten Finale absieht, dessen schmale Dramaturgie die ausgedehnte Laufzeit nicht tragen kann.

Hinzu kommt, dass dieses Abenteuer, typisch für eine Wright-Regiearbeit, mit farbenprächtigem und ideenreichem Produktionsdesign aufwartet. Konsequenterweise sind auch die von Jacqueline Durran erdachten Kostüme eine Wucht – allen voran die Kluft des Barock-Punks Blackbeard und die kunterbunte Tracht der Stammesprinzessin Tiger Lily. Jene wird von einer unterforderten, aber Schwung mitbringenden Rooney Mara verkörpert, die im Mittelpunkt der besten Kampfsequenz von «Pan» steht: Ein Angriff auf sie und ihre Stammesmitglieder entwickelt sich – wortwörtlich – zu einer Explosion von Pastelltönen, während die Kamera frei herumwirbelt. Generell leisten die Kameraleute John Mathieson und Seamus McGarvey hervorragende Arbeit, indem sie durch versierte Lichtsetzung Neverland zu einem sich ständig bewegenden Gemälde erheben und so die Zeitlosigkeit der Vorlage ehren. Gleichzeitig erlauben es die losgelösten Kamerafahrten dem Film – vor allem in 3D – seinem Anspruch gerecht werden, Blockbuster-Pomp darzustellen.

Der Prunk dieses rund zweistündigen Spektakels, das sich auf den überreizten Plotmotor einer Prophezeiung verlässt, weist jedoch Risse auf: Während die Flugsequenzen überzeugen und an wichtigen Schauplätzen wie Blackbeards Mine die Übergänge zwischen real und digital nahtlos sind, zerren grelle Geschöpfe wie der inhaltlich unbedeutende Neverland-Vogel oder ein Krokodil in Walgröße den Betrachter aus der Illusion heraus. Eine vergleichbare Wirkung erzielen die zahlreichen Versuche, den kühnen Mix aus träumerischem Kinderabenteuer und harscher Megalomanie mit kecken Dialogwechseln aufzupeppen: Fuchs' Skript landet mit seinen Wortgefechten weitaus seltener einen Treffer als Wright und die Kampfchoreografen mit den nonverbalen Scharmützeln. Darunter hat am meisten «Tron: Legacy»-Beau Garrett Hedlund zu leiden, dessen Interpretation des zukünftigen Käpt'n Hook zwar schroffen Charme aufweist, in Sachen Wortwitz jedoch so manchen Rohrkrepierer von sich zu geben hat.

Fazit: Viel Schall und Farbpulver, einige gute Ideen und manch schale Sequenz: Diese Peter-Pan-Neuinterpretation ist zwar interessant, aber nicht so magisch, wie sie sein könnte.

«Pan» ist ab dem 8. Oktober 2015 in zahlreichen deutschen Kinos zu sehen – in 2D und 3D.

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