Sonntagsfragen

‚Flüchtlinge werden keine Zielgruppe für deutsche Medien‘

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Für viel Aufsehen sorgte Constantin Schreiber mit einem n-tv-Webformat «Marhaba» - weil es in arabischer Sprache im Netz auftaucht. Der Shitstorm war den Machern somit sicher. Ein Interview.

Zur Sendung: «Marhaba»

Die rund fünf Minuten langen Webclips erscheinen immer freitags auf der Homepage von n-tv, Schreiber moderiert auf Arabisch, nur die Untertitel sind Deutsch. Folge drei dreht sich zum Beispiel um die Rolle von Frauen in Deutschland. Schreiber erklärt darin, dass sich Frauen noch in den 60ern bei uns hauptsächlich um Familie und Haushalt kümmerten, heute aber - vor allem auch im Beruf - Gleichstellung herrscht und mehr Frauen als Männer als in Deutschland studieren.
Herr Schreiber, wer sich aktuell öffentlich für Flüchtlinge einsetzt, der erntet schon ganz automatisch Entrüstung. Wie fielen die Reaktionen auf Ihr Internet-Magazin «Marhaba» aus?
Die Reaktionen waren wirklich ganz extrem. Es ist ein richtig großer Shitstorm entstanden, den wir dann auch für einen Artikel zusammengefasst haben. Wir mussten da aber einige Kommentare weglassen, die wirklich strafrechtlich relevant waren. Da standen dann Sätze drin wie „Ich knall dich ab.“ Ich wurde als Vaterlandsverräter beschimpft. Es wurde gesagt, mir solle die Staatsbürgerschaft entzogen werden. Es wurde zum n-tv-Boykott aufgerufen. Die Reaktionen waren unter dem Strich mehr und heftiger als wir im Vorfeld gedacht hatten. Dass Feedback kommen würde, war uns klar. Aber angesichts von fünf Minuten langen Internet-Clips hätte ich mit so viel Rückmeldung nicht gerechnet.

«Marhaba» beschert Ihnen somit aber eine gewisse Bekanntheit. Ist also etwas Positives, oder?
Ist das so? Wenn man ein solches Projekt zusammenschraubt, dann hat man nicht den Blick von außen drauf. Entsprechend kann ich das nicht beurteilen. Schön war zum Beispiel, dass es auch Feedback von ARD und ZDF gab.

Gehen wir bei all dem negativen Feedback mal ins Detail. Wer schreibt da? Sind das Leute, die sich wirklich ernsthaft und aus deren Sicht begründet Sorgen um Deutschland machen oder sind das extreme Internet-Prolls, die sich hinter der Anonymität des Netzes verstecken?
Nur, weil ich dieses Format mache, bin ich ja kein Vorzeige-Linker, der alles total unkritisch sieht. Die Meinung der besorgten Bürger ist oft verständlich und da ist es gut, wenn man darüber diskutiert.
n-tv Reporter Constantin Schreiber
Das ist recht unterschiedlich. Man kann ja teilweise sehen, wie sich solche Nutzer sonst zu anderen Themen äußern – bei Twitter etwa. Ich habe festgestellt, dass das teilweise Leute sind, die ohnehin eine extrem hohe Frustration gegenüber der allgemeinen Politik haben. Die betreiben dann im Netz nur noch Bashing. Es gibt aber auch welche, die in der früheren Zeit stehen geblieben sind, zum Beispiel als Österreich noch größer war. Die leben dann ihre Fantasien von damals im Netz aus. Und dann gibt es aber auch Rückmeldungen von Leuten, die sich sonst nicht mehr so repräsentiert fühlen. Wir haben wirklich viele Briefe und Mails bekommen von älteren Menschen, die wirkliche Identitätssorgen haben. Das kann ich auch ehrlich verstehen. Nur, weil ich dieses Format mache, bin ich ja kein Vorzeige-Linker, der alles total unkritisch sieht. Die Meinung der besorgten Bürger ist oft verständlich und da ist es gut, wenn man darüber diskutiert.

Gab es denn auch Feedback von Flüchtlingen?
Ja – und zwar zu 99,9 Prozent positiv. Ich habe binnen zehn Tagen rund 2.000 neue Facebook-Freunde, überwiegend aus der arabischen Welt. Wir sind auf einigen arabischen Plattformen verlinkt worden und auch Medien von dort haben darüber berichtet – etwa Al Jazeera plus oder Sky News Arabia, die haben unsere Sendung sogar zum Thema in ihren Hauptnachrichten gemacht. Die arabische Huffington Post hat berichtet. Es gab – allerdings ganz wenige – kritische Rückmeldungen. Da waren Araber der Meinung wir würden die Flüchtlinge „umerziehen“ wollen. Also eigentlich das genaue Gegenteil von dem, was die Deutschen meinten. Und wir haben Feedback von einem 17 Jahre alten Mädchen bekommen. Das ist seit einem Jahr in Deutschland und würde gerne bei uns mitarbeiten. Da schauen wir gerade, ob das möglich ist.

Unter dem Strich also eine sehr positive Bilanz?
Die Bilanz ist deshalb schon positiv, weil die Diskussionen zeigen, dass wir einen Nerv getroffen haben. Die erste Folge wurde inzwischen mehr als eine Million Mal angeklickt. Ich muss aber auch sagen: Klickzahlen sind keine Motivation für mich. «Marhaba» macht ja nur einen kleinen Teil des n-tv-Webangebots aus. Wir haben auch mit Absicht keine Pressemitteilung zum Start verfasst. Wir wollten uns nicht mit dem Format brüsten.

Aber mal allgemein gesagt: Die Flüchtlinge, oft ja Männer und Frauen im eigentlich werberelevanten Alter, wären doch eine spannende Zielgruppe für Fernsehsender, wenn sie dann mal unsere Sprache sprechen…
Die jungen Männer, die zu uns kommen, konsumieren auch weiterhin ihre arabischen Medien. Die, die sie von daheim kennen. Die Integration von Türken war ja in Bezug auf den Konsum klassischer deutscher Medien auch nicht unbedingt ein Erfolg. Ein Großteil der Türken ist medial immer noch nicht hier angekommen. So etwas ist einfach eine Aufgabe von Jahrzehnten.
n-tv Reporter Constantin Schreiber
Das waren auch einige Kommentare im Netz. Dass sich RTL da seine nächste Zielgruppe heranzieht. Um ehrlich zu sein: Die Idee dafür hatte ich bei mir am Küchentisch und an Zielgruppen habe ich dabei überhaupt nicht gedacht. Ich habe einfach meine Chefin gefragt, ob wir das mal machen wollen und sie hat "Ja" gesagt. Ich glaube auch nicht daran, dass Flüchtlinge allzu bald eine echte Zielgruppe für deutsche Medien werden. Die jungen Männer, die zu uns kommen, konsumieren auch weiterhin ihre arabischen Medien. Die, die sie von daheim kennen. Die Integration von Türken war ja in Bezug auf den Konsum klassischer deutscher Medien auch nicht unbedingt ein Erfolg. Ein Großteil der Türken ist medial immer noch nicht hier angekommen. So etwas ist einfach eine Aufgabe von Jahrzehnten.

Aber es wäre doch schon eine Aufgabe, übrigens auch vom Radio, solchen Leuten hierzulande Inhalte aus Deutschland anzubieten?
Das ist eine Gratwanderung. Ich kann Leute nachvollziehen, die es nicht verstehen, dass wir jetzt ein Programm auf Arabisch machen. Weil es natürlich das Hauptziel sein muss, dass die Syrer als Beispiel schnell Deutsch lernen, um sich hier zu integrieren. Und wenn sie unsere Sprache sprechen, dann sollen sie eigentlich auch unsere Medien konsumieren. Die Flüchtlinge müssen sich in diesem Punkt öffnen. Ich sehe das nicht als Pflicht deutscher Medien. Wir können nur in der Anfangsphase eine Art Hilfestellung leisten.

Wie viele Folgen von «Marhaba» sind nun geplant?
Das Projekt war zunächst auf zehn Stück angelegt, die immer freitags – meistens mittags – erscheinen. Aber da die Erwartungen derart übertroffen wurden, kann es gut sein, dass nach Folge zehn noch nicht Schluss ist.

Hat sich Ihr Blick auf die Flüchtlingskrise eigentlich verändert oder eher bestätigt, seitdem Sie sich so intensiv mit diesem Themenfeld auseinandersetzen?
Das kommt ein bisschen darauf an, aus welchem Blickwinkel man das sieht. Als Journalist nicht unbedingt. Das, was den Menschen dort passiert, ist einfach tragisch. Für Journalisten ist die arabische Welt momentan aber ein sehr spannendes Betätigungsfeld. Und meine Befürchtungen sagen mir, dass die Lage dort in den kommenden Monaten immer schlimmer wird. Meine persönliche Meinung ist, dass die europäische und deutsche Außenpolitik einfach versagt hat. Sie hat zum Beispiel den arabischen Frühling falsch eingeschätzt. Es war früh klar, dass dadurch keine stabileren Verhältnisse einkehren und schon gar keine Demokratie.

Vielen Dank für das Gespräch.

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