Die Kritiker

«Tatort - Kollaps»

von

Der neue Dortmunder «Tatort», "Kollaps", erhält von uns wie von anderen eine verdient positive Besprechung. Trotzdem ist Kritiker Julian Miller ein wenig enttäuscht:

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Jörg Hartmann als Peter Faber
Anna Schudt als Martina Bönisch
Stefan Konarske als Daniel Kossik
Aylin Tezel als Nora Dalay
Sybille J. Schedwill als Greta Leitner
Adrian Can als Tarim Abakay
Warsama Guled als Jamal

Hinter der Kamera:
Produktion: Bavaria Fernsehproduktion
Drehbuch: Jürgen Werner
Regie: Dror Zahavi
Kamera: Gero Steffen
Produzentin: Sonja Goslicki
Wir beginnen am besten mit einer Entwarnung: Nein, der neue Dortmunder «Tatort» ist kein beliebiger Whodunnit wie in der letzten Folge, der seine tollen Figuren in für sie ganz unwürdigen und unstimmigen Plots auftreten ließ. „Kollaps“ ist kein weiterer Schritt in die Dutzendware und auch keine Wiederholung des unambitionierten Regelfernsehens, sondern ein kluger Krimi.

Blöd nur, dass der Dortmunder «Tatort» schon einmal mehr war. Dann würde die vollkommen übertriebene, viel zu theatralisch inszenierte Eröffnung in dieser Woche nicht so stören: Ein sechsjähriges Mädchen findet auf einem Spielplatz ein Kokainpäckchen. Es verschluckt den Inhalt und stirbt. Das ist furchtbar tragisch – nur leider ergreift die Inszenierung dieses «Tatorts» hier schon die erste Möglichkeit, diese Tragik ganz unnötig (aber vielleicht tatsächlich so gewollt), zu verwässern. Close-ups. Slowmotions. Pathos.

Das Kokain war dort von einem senegalesischen Geschwisterpaar verbuddelt worden. Die beiden waren über Lampedusa nach Europa eingereist. Er hat ein Jahr in Schweizer Abschiebehaft zugebracht, bevor es ihn nach Dortmund verschlagen hat, sie sich die meiste Zeit in Auffanglagern aufgehalten. Die Perspektivlosigkeit hat sie zu Drogenhändlern gemacht, die ihren Stoff auf Spielplätzen verticken.

Wenig später findet man die Leiche der Senegalesin in einer abgerockten Lagerhalle. Für Faber, Bönisch, Kossik und Dalay kommen drei Täter in Frage: der Vater des am Kokain gestorbenen Mädchens und zwei seiner Freunde, Dieter Lahnstein und sein Sohn Oliver. Die haben schon länger die Schnauze voll von den (größtenteils ausländischen) Dealern in ihrer Nachbarschaft. Gut möglich, dass sie anfangen, „das Viertel aufzuräumen“.

Die missglückt inszenierte Eröffnung ist glücklicherweise nicht repräsentativ für die ganze Folge. Oder zumindest weite Teile von ihr. Denn obwohl „Kollaps“ beliebiger daherkommt als die hervorragend erzählten ersten fünf Ausgaben, finden sich doch wieder die zentralen Merkmale, die man an ihnen so geschätzt hatte. Die Relevanz. Den Willen, dahin zu gehen, wo’s (wirklich) wehtut. Die starken Figurenzeichnungen. Den rauen, fast rabiaten Duktus.

Doch es gibt auch völlig unnötige Ausreißer ins Negative in „Kollaps“. Klischeehafte Allgemeinplätze und zu möchtegern-cool geschrieben Szenen. Zum Beispiel, wenn der emotional gerade nicht so sortierte Kossik morgens von seinem One-Night-Stand vor die Tür gesetzt wird. Das klingt so: „Seh’n wir uns?“ – „Wozu?“ – „Fick dich!“ Man hat in Dortmund schon von größerem Einfallsreichtum geprägte Glanzstunden dichter Narrative gesehen.

„Kollaps“ bietet kein filigranes Katz-und-Maus-Spiel wie jene Folgen, die die Reihe bei Kritikern zum Non-plus-Ultra der «Tatort»-Schiene gemacht haben. Und doch kann man inhaltlich, wenn auch auf niedrigerem Niveau, doch die meiste Zeit überzeugen. Dafür sorgen die nun wieder gelungenere, weil stimmigere Figurenführung und das nach wie vor erstklassige Spiel der vier Hauptdarsteller, neben einem handwerklich größtenteils soliden und nicht unspannenden Drehbuch.

Letztlich dürfte es auch eine Frage des Anspruchs sein. Reicht es dem WDR, mit seinem Dortmunder «Tatort» besser zu erzählen als in zwei Dritteln der anderen «Tatort»-Städte? Oder hat man den Anspruch, durch Relevanz und vielleicht schwerer zugänglich erzählte Krimis wieder in der allerersten Liga, weit vor den allermeisten anderen zu spielen?

Mit ersterem kann man sich als Zuschauer (und vielleicht auch Kritiker) wohl zufrieden geben. Aber wirklich wünschen würde man sich freilich letzteres.

Das Erste zeigt «Tatort – Kollaps» am Sonntag, den 18. Oktober um 20.15 Uhr.

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