Das Kinogeschäft zeigt sich dagegen extrem robust gegenüber der Internet-Revolution. Kein Wunder: Als analoger Ausgeh-Spaß behält es auch im digitalen Zeitalter seine Berechtigung – trotz des Heimkino-Trends, trotz Beamern und HDTV-Innovationen in den vergangenen Jahren. Die Besucherzahlen haben sich seit 2005 nur unwesentlich verändert. Dennoch, so darf man sagen, haben die Verleiher – also Studios wie Disney, Warner oder Fox – durch das Internet und das veränderte Entertainment-Angebot mehr Macht über die Kinobetreiber gewonnen. Sie können mehr Regeln diktieren:
1. Aufgrund des immer größeren Angebots, das Filme weiterverwertet, sinkt der Stellenwert des Kinos. Die Filme werden später nicht mehr nur im Fernsehen gezeigt, sondern erscheinen auch auf BluRay in bester Heimkino-Qualität, sie können digital gekauft oder gemietet werden, vielleicht sind sie nach einigen Monaten bei Netflix oder Amazon Prime Video im Angebot. Durch die zahlreichen Verwertungsmöglichkeiten sinkt auch die Abhängigkeit der Verleiher vom Kino, das nur noch einen Faktor in einer vielschichtigen Verwertungskette darstellt.
2. Das Kinogeschäft funktioniert in den vergangenen Jahren über die großen Marken und vor allem über Fortsetzungen. Nur selten schafft es eine neue Idee, die nicht auf irgendeiner Vorlage basiert, in die Listen der größten Box-Office-Hits. Der Erfolg wird berechenbarer, damit aber auch die Abhängigkeit der Kinos von diesen großen Namen. Kinos und Verleiher teilen sich die Gewinne untereinander auf, die besten Gewinne macht das Kino dann, wenn es einen Überraschungshit gibt. Denn den können die Betreiber meist günstiger anmieten als den kommenden Blockbuster. Doch diese Überraschungshits werden immer seltener.
Für den kommenden «Star Wars»-Film soll Disney beispielsweise 55 bis 60 Prozent der Kinoeinnahmen in den USA verlangen – ein hoher Satz, der sonst bei rund 50 Prozent liegt. «Star Wars» ist allerdings das Kinoereignis des Jahrzehnts, kein Betreiber kann es sich erlauben, den Film nicht im Angebot zu haben. Protest hinter den Kulissen gibt es jedoch angesichts dieser Geschäftspolitik, Werbung für «Star Wars VII» ist in einigen Kinoketten derzeit sehr spärlich gesät. Die Macht der Verleiher kann man auch daran ablesen: Der Zeitraum der Kino-Exklusivität ist in den vergangenen Jahren geschrumpft, von sechs Monaten auf mittlerweile 90 Tage. Danach darf der Film weiterverwertet werden, vor allem im Pay-TV, als Digitalkauf oder über Streaming-Flatrates.
Genau an dieser Stelle setzt Netflix nun an – mit dem großspurigen Ziel, auch das Kinogeschäft zu revolutionieren. Mit der Eigenproduktion «Beasts of No Nation» zeigt man ein hochqualitatives Drama, das sich Hoffnungen auf zahlreiche Preise machen darf, darunter auch den Oscar. Netflix zeigt den Film im US-Kino – aber eben auch zeitgleich auf seiner eigenen Plattform. Die Exklusivität der Lichtspielhäuser reduziert sich von 90 Tagen auf: null.
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Dadurch, dass «Beasts of No Nation» Unschönes nicht auch noch abstoßend einfängt, sondern durch sein lyrisches Handwerk den Wegschau-Impuls des Betrachters austrickst, wird dieses Kriegsdrama bewegender, aufwühlender und immersiver.
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Netflix-Chef Reed Hastings plant im Kinogeschäft zunächst klein: „Wir versuchen nicht, den nächsten «Avatar» oder «Spider-Man» zu produzieren, wir beschränken uns eher auf künstlerisch interessante Filme und Komödien“, sagte er gegenüber dem Magazin Wired. Die aktuelle Strategie der Eigenproduktionen spricht eine etwas andere Sprache: Zwar sind die hauseigenen Serien gut bis qualitativ hoch wertvoll, aber man will durchaus auch den Mainstream bedienen – siehe die «Marvel»-Serien, siehe die angekündigten Filme des US-Comedians Adam Sandler, siehe «Marco Polo», eine Serie mit der richtigen Portion Action, Sex, Krieg und Intrige für das große Publikum. Dass es mit dem Filmgeschäft, sollte es sich als zentrales Standbein etablieren, anders sein soll, ist unwahrscheinlich.
Wie weit es Netflix treiben will, ist zunächst offen. Gerade einmal zweieinhalb (!) Jahre ist es her, dass man seine erste Eigenproduktion «House of Cards» online schickte. Heute ist diese Zahl auf 14 angewachsen, Kinderserien, Dokus und Serienfortsetzungen (wie «The Killing» und «Arrested Development») nicht mitgezählt. Zwölf Filmprojekte befinden sich derzeit in der Pipeline, das nächste soll schon im Dezember erscheinen: ein Weihnachts-Musical mit Bill Murray.
Ein ureigenes Interesse daran, das Kino zu zerstören, hat Netflix selbstverständlich nicht. Natürlich will man auch hier die Verwertungskette ändern, so wie man es bereits im Fernsehgeschäft erreicht hat. Doch letztlich geht es um Kundengewinnung, und die erreicht man eben nicht nur mit Serien, sondern auch mit guten Filmen. Das Kino kann dabei als Multiplikator fungieren: um Oscar-Nominierungen zu erreichen, um einen Film ins Gespräch zu bringen, für die Mund-zu-Mund-Propaganda oder als Service für Cineasten. Klar ist aber auch: Von der parallelen Veröffentlichung im Kino und online wird man nicht abrücken, jeglichem Boykott der Kinoketten zum Trotz.
Kritische Kino-Zielgruppen
Link zur Studie der FFADie Zahlen sagen aber auch aus: Das Kino wird diese mögliche Netflix-Revolution überleben, es wird keinesfalls aussterben oder überflüssig werden. Auch Netflix-Chef Reed Hastings sieht das so: „Auch wenn man einen Film zu Hause gucken kann, werden Leute immer noch ins Kino gehen, um ein tolles Erlebnis dort zu haben.“ Das Popcorn schmeckt dort sowieso besser.