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Kriminal-Doku-Trend: Darf’s noch ein bisschen Crime sein?

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Crime-Fiction scheint den Fernsehzuschauern nicht mehr zu genügen. Kriminal-Dokus, in denen reale Fälle aufgearbeitet werden, erfreuen sich nun auch immer größerer Beliebtheit. Die Formate im Überblick.

Deutschland, Krimi-Land. Seit Jahren hält sich hartnäckig die Diskussion darüber, dass im deutschen Fernsehen zu viele Krimis zur Ausstrahlung kämen. Besonders das ZDF zeigt sich mit deutschen Genrevertretern sehr umtriebig, Das Erste setzt beispielsweise regelmäßig an Werktag-Vorabenden und natürlich in der Sonntagsprimetime auf spannende neue Verbrechen. Unterdessen vertrauen die Privatsender vor allem auf US-amerikanische Ware, Sat.1 und kabel eins beispielsweise mit «Navy CIS», «Criminal Minds», «Castle» oder «The Mentalist», VOX mit «Law & Order: SVU» und RTL mit «Bones» oder «Person of Interest». Zwar beklagen sich Fans anderer Programmfarben schon über ein Überangebot, der Crime-Hunger der Zuschauer scheint jedoch noch immer nicht gestillt zu sein. Langsam, still und heimlich bahnt sich ein weiteres Crime-Genre immer öfter seinen Weg in deutsche Wohnzimmer, das sich jedoch mit realen statt fiktionalen Fällen beschäftigt.

Die Rede ist von Kriminal-Dokus, die echte Verbrechen und Ermittlungen aufarbeiten. Natürlich ist das Genre selbst alles andere als neu, in den vergangenen Jahren befasste sich etwa Das Erste mit dieser Thematik in «Die großen Kriminalfälle», während sich Sat.1 beispielsweise 2013 an «ErmittlungsAKTE» versuchte. Beide Formate waren beim Publikum jedoch nicht gerade gefragt.

Dass reale Fälle aber sehr wohl das Potenzial haben, den Zuschauer für sich einzunehmen, zeigt besonders eine Sendung, die nun schon seit 1967 ihre Zuschauer in Atem hält: «Aktenzeichen XY…ungelöst» generiert beim Gesamtpublikum auch heute noch Werte nahe der 20 Prozent und schneidet obendrein beim jungen Publikum stets ausgezeichnet ab. Der besondere Reiz der ZDF-Reihe: Anders als viele andere Crime-Dokus beschäftigt sich «Aktenzeichen XY… ungelöst», wie der Titel schon verrät, ausschließlich mit ungelösten Fällen und ruft explizit zur Mithilfe der Zuschauer auf. Mit diesem Konzept schafft es die Sendung auch noch nach knapp 50 Jahren die Marktführerschaft an Mittwochabenden zu ergattern.

Und dennoch scheint sich der neuerlich sehr positive Quotentrend von Kriminal-Dokus unabhängig vom deutschen Genre-Primus entwickelt zu haben. Besonders bemerkenswert performte «Die spektakulärsten Kriminalfälle – Dem Verbrechen auf der Spur» im Sommer am kabel eins-Sonntag. Das Programm legt seinen Fokus auf deutsche und internationale Verbrechen, die die Öffentlichkeit aufwühlten. Gezeigt werden, wie so häufig, Archivmaterial sowie Interviews mit Ermittlern und Experten, unterfüttert mit Originalaufnahmen. Auf dem Papier eine recht konventionelle Herangehensweise, die allerdings bei den Zusehern scheinbar Eindruck hinterlassen hat.

«Die spektakulärsten Kriminalfälle» startete nämlich zu einer Zeit, als der kabel eins-Sonntag quotentechnisch am Boden lag. Das «K1 Magazin» und Spielfilmausstrahlungen hatten in den Monaten zuvor stets schwache Werte eingefahren. Zwar riss in der Gesamtbetrachtung auch die Crime-Doku verglichen mit dem kabel eins-Senderschnitt keine Bäume aus, dennoch sanierte sie den kriselnden Sonntagabend beim Münchner Sender mit Episoden, die drei Mal sogar mit über sieben Prozent beim jungen Publikum abschnitten.

Dem jungen kabel eins-Format stehen auf den Privatsendern auch alteingesessene Formate gegenüber. VOX versieht seine späten Mittwoch- und Samstagabende auch heute oft noch mit dem in den USA lange abgesetzten «Medical Detectives – Geheimnisse der Gerichtsmedizin», das jenseits des Atlantiks zwischen 1996 und 2011 in über 400 Folgen unter dem Namen «Forensic Files» lief. Im September 2002 nahm VOX bereits die Ausstrahlungen auf, seitdem lief «Medical Detectives» auch auf RTL Crime und RTL Nitro. Obwohl das Format eindeutig zu den betagteren Kriminal-Dokus zählt, feiert VOX heutzutage noch teilweise bemerkenswerte Quotenerfolge mit der Sendung, die sich zwar auch wechselhaft zeigt, zuletzt aber immer mehr an Zuspruch gewann. Anfang 2015 standen mit Ausstrahlungen am späten Samstagabend noch meist maue Werte um die fünf Prozent beim jungen Publikum zu Buche. Seit Sommer 2015 erzielte «Medical Detectives» schließlich bereits meist Werte über dem Senderschnitt und überbot teilweise sogar acht Prozent in der Zielgruppe.

Bei «Medical Detectives» liegt der Fokus vor allem auf wissenschaftlichen Methoden zur Verbrechensaufklärung, darunter Ballistik, forensische Psychologie, Toxikologie, Odontologie oder Serologie. Experten klären die Zuschauer dann über die teilweise sehr komplexen Vorgänge auf. Die Fälle, die in «Autopsie – Mysteriöse Todesfälle» behandelt werden, fanden meist vor größeren Entwicklungen im Bereich der Forensik statt, können nun aber dank neuer wissenschaftlicher Errungenschaften gelöst werden. Die in Deutschland produzierte Serie, welche sich vor allem Verbrechen aus den USA und Kanada widmet, konzentriert sich mitunter darauf, Originalmaterial von früher mit nachgestellten und im Nachhinein kommentierten Szenen zu verknüpfen, um so einen nahtloseren Spannungsbogen zu schaffen.

Die glorreichen Zeiten liegen hinter «Autopsie», das bereits 2001 auf RTL II erstausgestrahlt wurde. Besonders zwischen 2009 und 2011 generierte die Sendung hohe Marktanteile, die bei den Werberelevanten zumindest teilweise die Einstelligkeit erreichten. Noch immer hält RTL II jedoch am Format fest, das zuletzt am späten Mittwochabend versendet wurde und bald mit einem dreiteiligen «Autopsie Spezial» fortgeführt wird. Ab dem 24. Oktober beschäftigt sich jeweils eine Ausgabe mit den letzten Stunden im Leben großer Stars wie Michael Jackson, Whitney Houston und Anna-Nicole Smith.

Die jüngeren Erfolge der Crime-Dokus haben das Interesse deutscher Sender wieder etwas geweckt. Noch übt man sich allerdings in Vorsicht. Zuletzt kündigte kabel eins «Das Böse im Blick – Augenzeuge Kamera» an - eine kanadische Krimi-Doku-Reihe, die mit Originalaufnahmen von Überwachungskameras sowie mit nachgestellten Szenen arbeitet. Der ursprüngliche Premierentermin am 23. Oktober wurde zwar vom Sender mittlerweile wieder abgesagt, was jedoch nicht bedeutet, dass das Format nicht an anderer Stelle zur Ausstrahlung kommt.

RTL wurde schnell aufmerksam auf die Erfolge von Crime-Dokus innerhalb der Sendergruppe und bestellte im Juli 2015 acht neue Folgen von «Anwälte der Toten». Die Sendung, deren Fälle anhand der damaligen Fallakten, der daran ermittelnden Polizeibeamten, Gerichtsmedizinern und Angehörigen der Opfer vorgestellt werden, liefen bereits seit 1999 auf RTL, VOX, RTL Nitro und RTL Crime. Aktuell wiederholt RTL alte Episoden am Donnerstagabend in Doppelfolgen. Nur eine der bislang im Jahr 2015 gezeigten 16 Ausgaben erreichte den RTL-Senderschnitt.

Unsere Meinung zu «stern Crime»

"Wodurch sich das Format von den ebenfalls bei der RTL-Gruppe ausgestrahlten etablierten Kriminal-Dokus unterscheidet, ist wohl am ehesten mit dem Wort "Themenvielfalt" zu benennen. Statt des recht statischen Aufbaus, mehrere spektakuläre Kriminalfälle aneinanderzureihen, versucht man sich daran, übergeordnete Themenschwerpunkte zu finden - und überdies nicht starr an der Aufklärung eines bestimmten Falles zu kleben."
Zur gesamten TV-Kritik geht es hier.
Manuel Nunez Sanchez , Quotenmeter.de
Eine größer angelegte, neue und gleichzeitig deutsche Produktion installierte RTL zuletzt mit «stern Crime», das den noch recht jungen und gleichnamigen ‚Stern‘-Printableger ins Fernsehen übersetzt. Die i&u TV-Produktion beschäftigt sich in einer Stunde etwa mit drei bis vier Fällen, gelöst oder ungelöst, die auch heute noch Relevanz besitzen. «stern crime» ist in seinem Spektrum deutlich breiter als die Genre-Kollegen, übergeordnete Themenschwerpunkte geben hier den Verlauf der Sendung vor. Wie man die einzelnen Fälle dann erzählt, gestaltet sich ganz unterschiedlich. Beispielsweise steht eine Phantombild-Zeichnerin im Fokus, an anderer Stelle werden politische und moralische Fragen gestellt – man hält sich nicht an einen routinierten und immer gleichen Ablauf, setzt auf Informationen und weniger Unterhaltung. Ausgabe eins erfüllte die Erwartungen mit 9,8 Prozent in der klassischen Zielgruppe nicht, musste sich jedoch auch gegen den Fußball-Europapokal behaupten.

Nach diesen zaghaften neuen Vorstößen sieht das Fazit neuer Genre-Ableger also nicht gerade rosig aus. Insbesondere «stern crime» zeigt aber, wie man Crime-Dokus auf ansprechende Art und Weise in die Gegenwart übersetzen kann, während Sendungen wie «Medical Detectives» und «Autopsie» mittlerweile schon deutlich Staub angesetzt haben. Diese sehr informative Herangehensweise verzichtet auf reißerische Bilder, kam allerdings zuletzt auch beim Publikum schlechter an als die alteingesessenen Formate. Ist der Crime-Doku-Hype also schon wieder vorbei, bevor er richtig angefangen hat?

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