Die Kritiker

«Silvia S. – Blinde Wut»

von

Das ZDF präsentiert ein Ausnahmedrama: Eine Frau steuert unaufhaltsam auf den emotionalen Abgrund zu. Und wir als Zuschauer sind hautnah mit dabei.

Cast und Crew

  • Regie: Friedemann Fromm
  • Darsteller: Maria Simon, Florian Lukas, Sophie von Kessel, Paula Hartmann, Ulrike Kriener, Cornelia Gröschel, Ulrike Bliefert, Günter Junghans, Tim Wilde
  • Kamera: Michael Wiesweg
  • Drehbuch: Katrin Bühlig
  • Schnitt: Eva Schnare
  • Musik: Stefan Mertin, Martin Hornung
Silvia ist studierte Architektin, um die 40 Jahre alt und derzeit an den heimischen Herd gefesselt. Die Hausfrau und Mutter ist davon so frustriert, dass sie sich zurück in ihren alten Beruf wagt – und dabei erhält sie tatkräftige Unterstützung von ihrem liebevollen Ehemann Andreas. Doch die Umgewöhnung fällt Silvia schwerer als gedacht. Ständig im Gefühl lebend, dass sie von ihrer Mutter geringgeschätzt wird und sich ihre erfolgreichere Schwester Uta stets in den Vordergrund stellt, leistet sich die gestresste Silvia Patzer.

So entsteht eine Abwärtsspirale: Silvia will ihrer Familie immer verbissener beweisen, was sie drauf hat, woraufhin sie immer häufiger an ihren eigenen Erwartungen zerbricht. Dies führt dazu, dass sie sich abschottet, weshalb es Andreas immer schwerer fällt, für seine Frau Verständnis zu zeigen. So bleibt der isolierten Silvia nur noch Tochter Laura als Ventil, an dem sie ihre Zuneigung ausleben kann – aber die Pubertierende fühlt sich von der Liebe ihrer Mutter erdrückt. Es ist unvermeidlich: Allmählich bricht Silvias gesamtes Leben auseinander …

Regisseur Friedemann Fromm («Weißensee») und Drehbuchautorin Katrin Bühlig («Bella Block: Weiße Nächte») schüren in «Silvia S. – Blinde Wut» von den ersten Momenten an eine beklemmende Atmosphäre: Sie schöpfen in diesem grimmen Drama immense Spannung daraus, dass sie ein übergroßes Damoklesschwert über die Figuren schweben lassen. Früh zeichnet sich ab, wo der Weg der titelgebenden Silvia führen könnte, die einst deutsche Biathlonmeisterin war und nun nichts mehr auf meisterliche Weise zustande bringt. Die Frage, die «Silvia S. – Blinde Wut» antreibt, ist also weniger „Was könnte nur passieren?“, sondern „Es wird doch nicht das passieren, was ich denke?“. Dass Bühlig in der Vorbereitungsphase intensive Gespräche mit Psychologen geführt hat, macht sich bemerkbar und bezahlt. Denn besagte, die straffe Spannungskurve stützende Frage bringt nur deshalb so eine große Eindringlichkeit mit sich, weil Silvias Innenleben so glaubwürdig und bestürzend ist, wie man es selten in Fernsehdramen zum Thema Nervenzusammenbruch und Gewalttaten erlebt.

Die von Maria Simon mit schockierender Intensität gespielte Titelfigur rutscht zunächst sehr langsam in ihre psychische Störung, doch dort erst einmal angekommen, verschlechtert sich ihr Zustand rapide. Immer stärker und häufiger malt sie sich aus, was passieren müsste, damit sie sich endlich beruhigt. Und sie reagiert immer verbitterter, dass ihre Wünsche nicht erfüllt werden. Simon lässt von Szene zu Szene den Blick ihrer Figur glasiger werden, ohne dass sie den Absturz zu übertrieben skizziert. Besonders stark wirken aber die Szenen nach, in denen Bühlig und der mit vortrefflich gewählter, kühler Prägnanz arbeitende Regisseur Fromm das Sexleben Silvias Nutzen, um ihre Charakterisierung voranzutreiben.

Grafisch sind diese Szenen zwar nicht, aber umso drastischer ist das Spiel von Simon und ihrem Film-Ehemann Florian Lukas: Liegen sie zunächst noch auf derselben sinnlichen Wellenlänge, entfernen sie sich immer mehr, bis Lukas' Rolle letztlich gänzlich abschaltet und Simons Silvia es mit Aggression, Dominanz und Bemühung überkompensiert. Ähnlich stark geht die Interaktion zwischen Silvia und ihrer von Paula Hartmann gespielten Tochter unter die Haut: Rasch werden die Bemühungen Silvias befremdlich, doch wie sie sich in immer verstörendere Manierismen hineinsteigert, ist zugleich unerklärlich und auf unwohle Art plausibel. Soll heißen: Mit gesundem Menschenverstand lässt sich Silvias Handeln nicht erläutern, doch tief im Inneren erkennt man als Betrachter, dass es so weit kommen kann.

Auch die handwerklich-künstlerische Seite überzeugt: Untermalt von sterilen, einschneidenden Klängen aus der Feder der Komponisten Stefan Mertin sowie Martin Hornung und eingefangen in präzisen Bildern des Kameramanns Michael Wiesweg, der mit semantisch vielsagenden Farbkontrasten arbeitet, ist «Silvia S. – Blinde Wut» ein absolutes Ausnahmedrama. Bei den Fernsehpreisen 2016 wird dieser Titel sicherlich wiederholt genannt!

Fazit: Starke Performances, ein unter die Haut gehendes Drehbuch und eine Inszenierung, die auf den Punkt ist: Das Psychodrama «Silvia S. – Blinde Wut» gehört zu den eindrucksvollsten TV-Filmen des Jahres!

«Silvia S. – Blinde Wut» ist am 2. November 2015 ab 20.15 Uhr im ZDF zu sehen.

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