Bei VOX sind die segensreichen Monate der kontinuierlichen Quotenerfolge am Dienstagabend zunächst einmal wieder vorbei, womit für den Privatsender die Herausforderung einhergeht, weitere Konzepte zu entwickeln, die zumindest im Ansatz die Zugkraft der immer stärkeren Formate «Sing meinen Song» und «Die Höhle der Löwen» aufweisen. Abgesehen vom Dauerbrenner «Goodbye Deutschland!» scheiterte dieses Vorhaben in der Vergangenheit nicht minder grandios, als die Erfolge der beiden genannten Sendungen waren. Sechs Wochen lang soll sich nun zunächst einmal Guido Maria Kretschmer in «Geschickt eingefädelt» beweisen - einer Art Nähcasting, das keineswegs als Selbstläufer gilt, auf der anderen Seite aber wieder eine Art Vorreiterstellung einnehmen kann. Die Auftaktfolge konnte sich inhaltlich durchaus sehen lassen, definierte ihre Zielgruppe jedoch von Anfang an (vielleicht etwas zu) eng.
Unter acht Kandidaten suchen Kretschmer und der Sender, der dem Modedesigner erst zu seinem Star-Status verholfen hat, nach dem talentiertesten Hobbyschneider des Landes. Um diesen ausfindig zu machen, müssen sich die Bewerber wöchentlich in jeweils zwei unterschiedlichen Challenges beweisen, in denen einerseits die technische Exaktheit bewertet wird, andererseits aber auch das kreative Vermögen eine zentrale Rolle spielen soll. Diese Ambivalenz trägt das Format recht offen zur Schau und signalisiert auch durch die Wahl der Jurorinnen an Kretschmers Seite, dass beiden Facetten möglichst gleichberechtigt Rechnung getragen werden soll. Auf der einen Seite ist mit Anke Müller eine Mode- und Stoffdesignerin in das Format involviert, die schon bei ihrer Vorstellung betont, welch elementare Bedeutung Kreativität für ihr Urteil hat. Den Gegenpol dazu stellt Inge Szoltysik-Sparrer, ihres Zeichens Bundesvorsitzende des Schneiderhandwerks mit einem Adlerauge auf technische Genauigkeit.
Die Zusammenstellung der Jury ist insofern gelungen, dass zumindest zwei der drei Protagonisten gleich ihre eigene Identität entwickeln können und damit Reibungspunkte setzen. Vor allem die zuvor der breiten Öffentlichkeit unbekannte Szoltysik-Sparrer bringt mit ihren strengen und auf gnadenlose Perfektion ausgerichteten Urteilen eine spezielle Note in die Sendung ein, die gewiss nicht jeder sympathisch finden wird, aber sich von dem inhaltsleeren Verbalbrei abhebt, der in vielen anderen Casting-Formaten von jenen Jury-Mitgliedern kommt, die im Schatten der großen Aushängeschilder (Bohlen, Klum etc.) stehen. Bei ihr dürften sich einige Zuschauer an ihre Schulzeit zurückerinnert fühlen, als sie mit einer Mischung aus Angst, Respekt und latenter Bewunderung vor dem fachlich besten Lehrer ihrer Schule standen.
Der eigentliche Star und Sympathieträger ist jedoch zweifelsfrei Guido Maria Kretschmer, der mit seiner einzigartigen Mischung aus Bissigkeit und Charme auch diesmal wieder die (Frauen-)Herzen höher schlagen lässt. Auch seine Kommentare zu den entwickelten Kleidungsstücken sind alles andere als weichgespültes Harmonie-Gesäusel, doch vermag er es, selbst harte Kritik so rüberzubringen, dass sie doch noch eine augenzwinkernde, amüsante oder herzliche Note besitzt. Deshalb tun seine Kommentare letztlich auch nie wirklich weh, äußert eine Kandidatin treffend. Zudem lockert Kretschmer auch die Challenges mit seiner Eloquenz und Begabung auf, wirklich zu jedem Zeitpunkt und in jeder Situation irgendeinen amüsanten Spruch über die Lippen zu bringen. Noch nicht so recht in ihre Rolle findet hingegen Anke Müller, die deutlich weniger schlagfertig und unterhaltsam ist als Kretschmer und auf der anderen Seite auch nicht die Autorität einer Szoltysik-Sparrer besitzt. Ihr fehlt es noch ein wenig an Persönlichkeit, ihren Einschätzungen lauscht man zwar gerne, misst ihnen gefühlt jedoch etwas weniger Relevanz bei als bei ihren Kollegen.
Auffällig an der Machart der Sendung ist vor allem ein zurückhaltender Grundton, der stark an «Sing meinen Song» und «Die Höhle der Löwen» erinnert und neben großen Zuschauererfolgen auch das Lob von Kritikern und Medienbeobachtern sichert. Man inszeniert das eigene Werk nicht als überzeichneten Nabel der Fernsehwelt, aus dem man nur als Versager der Nation oder als gefeierter Megastar herausgehen kann. Man stilisiert die Kandidaten nicht als ihrer Individualität beraubte graue Masse, die den Vorstellungen der Marktforschung entsprechend geformt werden muss, um ein plastisches Idealbild zu verkörpern, das "funktioniert". Man ist am eigentlichen Inhalt - in diesem Fall dem Nähen von Kleidungsstücken, bei den "Löwen" einem Investment für ein Unternehmen oder Produkt, bei Naidoos Künstler-Treffen den neuen Kompositionen alter Songs - interessiert und nicht daran, irgendwelchen persönlichen Schnickschnack auszuschlachten oder Talentlosigkeit zum infantilen Massen-Amüsement zu nutzen - und damit die eigentliche Prämisse der Show ad absurdum zu führen.
Ja, handwerklich lässt sich wenig kritisieren. Die Sendung ist gut gemacht, weder zu kurz noch zu lang geraten, hat mit einem Nähstudio einen ebenso ungewöhnlichen wie charmanten Schauplatz zu bieten und lässt sich durchweg gut gucken. An dieser Stelle gehört es zum Standardrepertoire eines Kritikers, die Frage aufzuwerfen, ob denn ein solches Produkt nicht zu authentisch und unspektakulär ist, um dem angeblich nach neuen Rekorden und Sensationen gierenden Publikum gefallen zu können. Auf Grundlage dieser Fehlannahme sprachen viele (unter anderem auch der hier schreibende Rezensent selbst) «Sing meinen Song» die Massentauglichkeit ab oder stellte sie zumindest stark in Frage. Das Publikum stellte jedoch unter Beweis, dass es sich durchaus auch auf neue Seherlebnisse einzulassen bereit ist, die nicht mit großen Effekten oder übertriebenem Pathos daherkommen.
«Geschickt eingefädelt» geht allerdings den nicht unproblematischen Weg, sich von vornherein auf eine weibliche Zielgruppe auszurichten und keinerlei Impulse zu setzen, um auch männlichen Zuschauern den Zugang zu der Sendung zu erleichtern. An dieser Stelle mag man korrekterweise anmerken, dass auch die «Shopping Queen» einen ganz ähnlichen Weg mit Erfolg geht - den ganz großen Erfolg generiert sie damit allerdings auch "nur" in der Daytime. Es stellt sich also die Frage, ob es ein ausreichend breites Interesse daran gibt, anderen Menschen beim Nähen zuzusehen und ob sich vielleicht auch der eine oder andere männliche Zuschauer von der hohen Qualität und dem ebenfalls nicht gerade geringen Unterhaltungswert des Formats anlocken lässt. Unverdient wäre ein Erfolg für VOX gewiss nicht, fraglich ist er allerdings. Diesen Weg geht der Privatsender löblicherweise konsequent weiter - und schafft damit im Bestfall Riesenhits, die in Windeseile zu Aushängeschildern avancieren. Ob das Näh-Casting dazu gehört? Nicht auszuschließen, wenngleich eher unwahrscheinlich.
«Geschickt eingefädelt - Wer näht am besten?» soll auch in den kommenden fünf Wochen jeweils am Dienstagabend um 20:15 Uhr bei VOX zu sehen sein.