Die Kritiker

Wenn der Münster-«Tatort» in der Nervenheilanstalt etwas ruhiger wird

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«Tatort: Schwanensee» führt Thiel und Boerne in eine Einrichtung für Nervenkranke. Dort halten sie sich mit ihrem ulkigen Humor ausnahmsweise etwas zurück. Punktet der Krimi daher besonders?

Cast und Crew

  • Regie: André Erkau
  • Drehbuch: Christoph Silber, Thorsten Wettcke, André Erkau
  • Darsteller: Axel Prahl, Jan Josef Liefers, Friederike Kempter, Christine Urspruch, Mechthild Großmann, Claus D. Clausnitzer, Robert Gwisdek, Sarah Hostettler, Hanns Jörg Krumpholz
  • Produktion: Jutta Müller
  • Musik: René Dohmen, Joachim Dürbeck
  • Kamera: Gunnar Fuss
  • Schnitt: Renata Salazar Ivancan
Regisseur André Erkau hat ein Händchen für stillen Humor. Dieses Talent führte er etwa mit der Kino-Tragikomödie «Das Leben ist nichts für Feiglinge» vor, in der Wotan Wilke Möhring einen trauernden Witwer spielt, der sich allmählich aus seinem emotionalen Tief zu kämpfen versucht. Als jemand, der beim Humor eine geerdete Gangart bevorzugt, ist Erkau eine ungewöhnliche Wahl für den bevorzugt klamaukigen, schrägen «Tatort» aus Münster. Nachdem die Fälle aus jüngster Vergangenheit aber immer häufiger, immer stärker auf Ulk setzten, ist es gleichwohl ein erfrischender Schachzug, den Slapstick und die quirligen Sprüche etwas zu drosseln. Genau dies macht Erkau in «Tatort: Schwanensee», womit er und die Autoren Christoph Silber und Thorsten Wettcke die Figuren lebendig halten – man kann ja nicht immer aus allen Rohren Lachsalven feuern. Erst recht nicht bei einem Fall, der in einer Luxus-Nervenheilanstalt spielt. Die bittersüße, einfühlsame Note, die Erkau in «Das Leben ist nichts für Feiglinge» zeigt, kommt hier zwar nur marginal zur Geltung, dennoch zeigen sich Boerne und Thiel von einer nachdenklicheren, ruhigeren Seite, ohne dabei ihren Witz zu verlieren.

Das dürfte «Tatort»-Zuschauer, denen die Münsteraner Reihe zu schrullig wurde, sehr entgegenkommen. Aber auch Fans des humorigen Ermittlerduos kommen auf ihre Kosten – Boerne ist während seiner Ermittlungen in der Anstalt immerhin absolut in seinem Element. Dass der vergleichsweise langsam erzählte Fall im letzten Drittel seine zuvor gemächliche Art überkompensiert, indem er plötzlich jede Menge überzogenen Plot in die wenige, verbliebene Laufzeit packt, ist daher bedauerlich. Den hastigen Thrill-Comedy-Mix mit sich überschlagenden Erkenntnissen hätte es nicht gebraucht, um diesen «Tatort»-Einsatz abzurunden.

Aber der Reihe nach: Ein Mann zieht in einem Schwimmbad seine Bahnen. Unter ihm eine Frauenleiche, der er keinerlei Beachtung schenkt. Denn der Mann ist „Besucher“ einer Einrichtung für Nervenkranke und hat eine Inselbegabung. Mit Zahlen hat er es drauf, daher war Andreas (Robert Gwisdek) früher Steuerfahnder. Sonst schenkt er seiner Umgebung wenig bis gar keine Beachtung. Doch jemand anderes entdeckt kurz nach Andreas' Schwimmrunde die Tote – und ruft somit natürlich Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) auf den Plan. Dieser freut sich, endlich wieder einen Mordfall im Alleingang lösen zu können. Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) hat immerhin zum ersten Mal nach zwölf langen Jahren Urlaub. Den geplanten Taucherurlaub sagt Prof. Boerne aber kurzerhand ab, als er vom Vorfall im Therapiezentrum 'Schwanensee' erfährt. Dieser packt ihn so sehr, dass er beschließt, undercover zu ermitteln. Nämlich als neuer Therapeut in der Einrichtung. Zähneknirschend gibt Thiel seinem Kollegen grünes Licht – schließlich sind der Hauptkommissar und seine Kollegin Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) ratlos und können Professor Boernes halbwegs geordneten Wahnsinn gebrauchen. Das Opfer Mona Lux hatte nämlich, so weit sie es wissen, keine Angehörigen, hatte keine Freunde und möglicherweise sogar in Wahrheit einen anderen Namen …

Dass Thiel und Boerne sich ihre Wortgefechte in diesem Neunzigminüter weniger grimassierend und zeternd liefern, gibt dem Fall Raum, zu atmen, und erlaubt es dem Regisseur Erkau, eine kühle Grundstimmung zu erzeugen. Die verbalen Scharmützel, die dennoch ihren Weg ins Skript finden, überzeugen dafür umso mehr. Die gelegentlichen Kalauer machen dieses Mal nämlich Platz für eloquent-schnippische Dialoge.
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So sehr die beiden Aushängeschilder der Münsteraner Krimis in ihren gemeinsamen Szenen punkten, überzeugt Axel Prahl auch im Zusammenspiel mit Friederike Kempter, die ihn auch als „normaleres“ Gegenüber aus der Reserve lockt. Und natürlich liefern sich Jan Josef Liefers sowie ChrisTine Urspruch wieder staubtrocken-komische Dialoge, wobei die gedrosselte Gangart dieses Falls vor dem Overkill bewahrt, den die Szenen dieser Paarung zuweilen mit sich bringen. Dafür fehlt dem Drehbuch in der Schilderung der 'Schwanensee'-Patienten etwas Sensibilität: Die meisten sind nur kuriose Stichwortgeber, was angesichts der ihnen eingeräumten Sendezeit nicht hätte sein müssen – zumal sich angesichts der Einseitigkeit dieser Figuren gerade gegen Schluss manche Zuschauer in ihrem Stigma bestätigt fühlen könnten.

Dafür geben die Regie und die sorgfältige, detailverliebte Kameraarbeit von Gunnar Fuß diesem Fall einen aufwändigeren, attraktiveren Look, als von den Münster-Missionen gewohnt. Vor allem in der titelgebenden Einrichtung sowie in Thiels Büro strotzt das Bild vor stimmungsmachenden Feinheiten. Wenn man sich im Gegenzug noch im Finale etwas mit den inhaltlichen Wenden und den herbeikonstruierten Spannungsmomenten zurückgehalten hätten, wäre dies ein echtes Müster-Highlight geworden. So aber ist «Tatort: Schwanensee» immerhin ein idealer Wiedereinstieg für jene, denen es in Münster zuletzt zu ulkig wurde.

«Tatort: Schwanensee» ist am 8. November 2015 ab 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.

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