Die Kino-Kritiker

«The Gift»

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Joel Edgertons Regiedebüt «The Gift» demonstriert mit aller Gewalt die Macht des Schenkens und ist doch viel mehr als ein klassischer Home-Invasion-Schocker. Weshalb die Hitchcock-Hommage einer der besten Filme des Jahres ist, verrät Antje Wessels in ihrer Kritik.

Filmfacts: «The Gift»

  • Kinostart: 26. November 2015
  • Genre: Thriller/Drama
  • FSK: 12
  • Laufzeit: 106 Min.
  • Kamera: Eduard Grau
  • Musik: Danny Bensi, Saunder Jurriaans
  • Buch und Regie: Joel Edgerton
  • Schauspieler: Joel Edgerton, Jason Bateman, Rebecca Hall, Alisson Tolman, Tim Griffin, Busy Philipps, Beau Knapp
  • OT: The Gift (USA 2015)
Blumhouse Productions – das ist die Produktionsfirma, die für Franchises wie «The Purge», «Insidious» oder «Sinister» verantwortlich zeichnet. Im Grunde hat Firmengründer und CEO Jason Blum in so ziemlicher jeder aktuellen Horrorfilmreihe seine Finger im Spiel. Dass er auch an Filmen wie «Whiplash», «Der Vorleser» oder demnächst an «Jem and the Holograms» mitwirkte, geht bei der horrorlastigen Firmenhistorie gern unter. Doch Blumhouse Productions besitzt nicht umsonst zwei verschiedene Variationen der obligatorischen Logospielerei, die vor jedem Blumhouse-Werk zu sehen ist. Da gibt es zum einen das spektakuläre, in welchem eine Handvoll klassischer Horrorfilmelemente wie ein gruseliges Mädchen, sich bewegende Blutspuren oder eine wie von Geisterhand zufallende Tür zum Tragen kommen, zum anderen aber auch das schlichte, in welchem lediglich der Schriftzug durch eine schwach leuchtende Glühbirne erleuchtet wird. Wer um diesen Umstand weiß, der wird zu Beginn von «The Gift» vermutlich nicht schlecht staunen. Sämtliche Trailer waren bislang darauf bedacht, das Regiedebüt von Schauspieler Joel Edgerton («Der große Gatsby») als Home-Invasion-Schocker zu verkaufen. Doch mit seinen schnellen Schnitten, der auf Effekthascherei ausgelegten Musik und dem sich augenscheinlich auf jede Menge Jumpscares verlassenden Bewegtbildmaterial verkauft man den mit Jason Bateman («Kill the Boss»), Rebecca Hall («Iron Man 3») und Edgerton selbst hochklassig besetzten Thriller deutlich unter Wert. «The Gift» ist ein spannungsgeladenes Suspensedrama, das sich in bester Hitchcock-Manier mit der bereits in Filmen wie «American Beauty» oder «Little Children» thematisierten Frage auseinandersetzt, was sich hinter den Hochglanzfassaden moderner US-Familien (oder in diesem Fall Paare) abspielt, wenn man an der Oberfläche kratzt.

Der erfolgreiche Simon Callen (Jason Bateman) und seine wundervolle Frau Robyn (Rebecca Hall) sind gerade in die Vorstadt von Los Angeles gezogen. Sie freuen sich auf einen Neustart und wollen endlich eine Familie gründen. Bei einem Einkauf begegnen sie zufällig einem alten Schulkameraden von Simon namens Gordo (Joel Edgerton). Man tauscht Telefonnummern und verspricht, sich zu treffen. Schon bald hinterlässt Gordo kleine Geschenke vor der Haustür der Callens und besucht Robyn mehrfach unangemeldet im neuen Heim. Während Robyn diese Gesten zunächst als freundlich und zuvorkommend betrachtet, ist Simon nicht wohl bei der aufkeimenden Freundschaft. Was Robyn nicht weiß: ihr Verlobter und Gordo waren in der Schule alles andere als gute Kumpel. Aber auch so wird Robyn die aufdringliche Art des neuen Bekannten allmählich unheimlich. Das Paar versucht, Abstand zu gewinnen. Plötzlich schwimmen tote Fische im Gartenteich, der Hund verschwindet und Robyn ist sich sicher: Sie sind nicht mehr alleine im Haus. Doch das ist erst der Anfang. Gnadenlos wird das Ehepaar von Simons dunkler Vergangenheit eingeholt. Und Robyn weiß bald nicht mehr, wem sie wirklich vertrauen kann.

Zugegeben: Die Ausgangslage von «The Gift» besitzt in ihrer sich auf eine gewisse Form von Thrill verlassenen Art und Weise durchaus auch das Potenzial für einen nur allzu banalen Horrorfilm. Die Figurenkonstellation des durch einen schweren Schicksalsschlag gezeichneten Paares, das in einer noblen Wohngegend nicht etwa die erhoffte Ruhe, sondern Angst und Terror vorfindet, ist nicht unbedingt die Neuerfindung des Rades. Doch mit der Zeit offenbart sich, dass es Joel Edgerton um mehr geht, als die Dekonstruktion des American Way of Life. Der Regiedebütant, dem nach diesem Ausflug hinter die Kulissen sämtliche Türen offen stehen dürften, unterwandert nicht bloß die Erwartungshaltung des Zuschauers, sondern in der Rolle des skurrilen Gordo auch die des Ehepaares selbst. Ohne dabei zu offensiv vorzugehen, schleicht er sich still und heimlich in das Leben von Simon und Robyn und versucht, mithilfe der titelgebenden Geschenke die Herzen seiner angehimmelten „Freunde“ zu erweichen. Von einer Flasche Wein über Fische für den Gartenteich bis hin zu einem makaberen Rätsel, das aus Spoilergründen an dieser Stelle unter Verschluss gehalten wird, beweist Gordo bei seinen Präsenten echte Kreativität. Interessant ist hier das subtile Skript. Es wäre ein Leichtes, die Figur des Gordo als die eines Irren anzulegen, während man Simon und Robyn in die Rolle der Opfer drängen könnte. Stattdessen geht das Skript von Joel Edgerton einen Schritt weiter und beginnt, nicht etwa Gordo zu demaskieren, sondern das eigentlich so friedliebende Ehepaar.

«The Gift» spielt mit der sinnbildlichen Leiche im Keller. Dass es sich bei Gordo um einen Menschen handelt, der nicht aus purer Freude am Sadismus zum Stalker wird, offenbart bereits das erste Aufeinandertreffen zwischen ihm und den Callens. In einem Supermarkt erkennt Gordo Simon wieder und sucht sogleich das Gespräch. Die Callens sind keine Zufallsopfer, sondern stehen in einem Zusammenhang mit Gordo, der sich er mit der Zeit offenbart. Die Angewohnheit, seinem ehemaligen Schulfreund und dessen Ehefrau immer teurere Geschenke zu machen, wirkt dabei nur auf den ersten Blick suspekt. Man denke sich doch nur einmal in diese Situation: Kaum einer wird sich davon freisprechen können, nicht auch schon mal jemanden mit einem Geschenk beeindrucken zu wollen. Es ist somit das sich sukzessive verschiebende Machtverhältnis, das in «The Gift» durch die Geschenke Gordos zum Ausdruck gebracht werden soll. Und genau an dieser Stelle entlarvt sich Edgerton als formidabler Geschichtenerzähler. Sein Debüt thematisiert nicht bloß den sich schließlich von einem überraschenden Twist gezeichneten Kampf zwischen Gut und Böse, sondern lässt die Grenzen völlig verschwimmen. Aus dem Psychopathen Gordo wird der moralische Zeigefinger, aus dem Unschuldslamm Simon der Inbegriff des seelischen Verdrängens. Zwischen alldem steht Robyn – das klassische Bauernopfer.

Schon bei der Besetzung offenbart sich das von Joel Edgerton an den Tag gelegte Fingerspitzengefühl. Nicht umsonst besetzte er die Rolle des Simon mit Jason Bateman, einem normalerweise auf die Rolle des komischen Zeitgenossen spezialisierten Schauspieler. Rebecca Hall blieb in den vergangenen Jahren stets unauffällig und überzeugt auch hier gerade durch ihre unaufgeregte Spielweise, während Joel Edgerton sich in seinen letzten Projekten durch eine ungeheure Wandlungsfähigkeit auszeichnete und damit auch in «The Gift» nie richtig eingeschätzt werden kann. Der mit Abstand größte Pluspunkt an diesem Thrillerdrama bleibt jedoch das Skript. Wenngleich sich gerade die letzten zwanzig Minuten aufgrund des besagten Plottwists als die dynamischsten erweisen, besticht «The Gift» vor allem in den Stunden zuvor durch seine gemächliche Erzählweise. Mit Ausnahme einer Albtraumsequenz ist Edgertons Werk frei von Jumpscares und spielt mithilfe offen bleibender Fragen mit der Ungewissheit des Publikums. Edgerton weiß, dass sich die Spannung mit der Auflösung sämtlicher Szenerien durchaus zerschlagen lässt. Daher belässt er es in entscheidenden Momenten dabei, das Geschehen der Fantasie zu überlassen und inszeniert auch das Finale von «The Gift» offen. Das könnte bei manchen Zuschauern vielleicht auf Ablehnung stoßen und man weiß nicht so ganz, ob Edgerton mit seinem Film wirklich schon am Ende war – denn irgendwie kann man sich an den Eskapaden um Gordo, Simon und Robyn gar nicht satt sehen.

Fazit: Mit «The Gift» liefert Joel Edgerton ein brillantes Regiedebüt ab, das Erwartungen zerschlägt, Gut und Böse verschwimmen lässt und menschliche Abgründe enttarnt, die uns letztlich darüber nachdenken lassen, ob nicht in allen von uns ein Funken Gordo steckt. Einer der besten Filme des Jahres!

«The Gift» ist ab dem 26. November in den deutschen Kinos zu sehen.

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