Die Kritiker

«Unter der Haut»

von

Als Bluter ist Martin Siedler Pressesprecher eines Pharmakonzerns. Das bringt ihm in mehrfacher Hinsicht Probleme – und dem Zuschauer einen allenfalls mittelmäßigen Film.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Friedrich Mücke («Tatort: Erfurt») als Martin Siedler, Karoline Schuch («Schutzengel») als Sabine Siedler, Uwe Kockisch («Weissensee») als Walter Lange, Ulrike Krumbiegel («Anonyma») als Marianne Siedler, Hannes Wegener («Hauptstadtrevier») als Tom Radke, Bibiana Beglau als Barbara Wenning und andere


Hinter den Kulissen:
Regie: Friedemann Fromm, Buch: Eva und Volker A. Zahn, Musik: Stefan Mertin und Martin Hornung, Kamera: Anton Klima, Schnitt: Annemarie Bremer, Produktion: Studio Hamburg Filmproduktion und Amalia Film

Vor dem Schreiben dieser Kritik habe ich lange überlegt, ob ich das Spannungsmoment vom Anfang der 80er-Jahre spielenden Film «Unter der Haut» ungenannt lasse, zumindest bis kurz vor Ende der Rezension. Nicht, dass es einem als Zuschauer beim Konsum des Films so gehen würde. Nein, lediglich wenige Minuten dauert es, bis er herausfindet, dass Protagonist Martin Siedler an Hämophilie (der Bluterkrankheit) leidet. Obschon es wohl einen gewissen Reiz gehabt hätte, nicht alle Hintergründe zu kennen. Nein, die Absicht hinter dieser Idee wäre es gewesen, Sie, liebe Leser, in die Sichtweise von Martins Chef zu versetzen. Der nämlich weiß jahrelang nichts von der Krankheit seines Angestellten. Muss er auch nicht, kann man sagen. Doch die Firma vertreibt das Medikament, das Blutern Hilfe verschafft; das ihnen das Leben um einiges einfacher macht; das auch Martin das Leben leichter macht. Die Krankheit hat insofern also private als auch berufliche Relevanz.

Aus Marketingsicht (welche sich sicherlich nicht unbedingt mit der moralischen Sicht deckt) dürfte hier eine klare Meinung vorherrschen: Ist doch eigentlich eine starke Geschichte, wenn ein Mann das Produkt repräsentiert, dass ihm selbst schon mehrfach in dramatischen Situationen geholfen hat. Kaum jemand könnte besser für dieses Produkt stehen. Doch Martins Chef weiß eben nichts von dessen Krankheit. Und als er es dann erfährt, ist es schon ein bisschen spät um damit „positive“ Schlagzeilen zu machen. Dann nämlich ist der Protagonist bereits mit HIV infiziert. Verantwortlich ist das Medikament seines Pharmakonzerns, der auch nach Bekanntwerden der medizinischen Zusammenhänge munter weiter macht – mit Unterstützung der Politik. Und was macht der Chef? Er versucht Martin loszuwerden, sein Medikament noch immer weiter zu verbreiten. Und diffamiert seinen (Ex-)Pressesprecher in aller Öffentlichkeit.

Zu diesem Zeitpunkt ist Martins Vertrauen in „sein“ Unternehmen zerstört, lange aber glaubte er fest daran, dass es keine schädliche Wirkung bei dem Medikament gebe – und arbeitete damit am schlimmen Schicksal von anderen Betroffenen sowie an seinem eigenen Schicksal mit. Viel zu lange verteidigte er den Konzern; war sich sicher, dass nicht Bluttransfusionen für die Übertragung von Aids verantwortlich sind. Für den Zuschauer ist das manchmal schmerzlich. Nicht nur, weil er es besser weiß, nicht nur weil er eventuell um Martins Zukunft bangt. Auch weil er sich Dinge anhören muss, die nur schwer erträglich sind, beispielsweise wenn Aids als „neuartige Schwulenkrankheit“ bezeichnet wird. In diesen Momenten ist es nur schwer vorstellbar, wie unerträglich dieses Empfinden für direkt oder indirekt Betroffene gewesen sein muss und mitunter noch immer ist.

Die historische Geschichte, die der Film erzählt ist dabei nicht vollkommen adäquat. So ist Martins Unternehmen „Sonne Pharma“ ein fiktiver Konzern. Der grundsätzliche Skandal wird dabei insgesamt überspitzt aber in seinen Kernzügen durchaus realitätsnah beschrieben. Störender ist ferner, dass es bereits 2013 einen ZDF-Fernsehfilm gab, der sich der gleichen Thematik widmete. «Blutgeld» hieß der Film damals, der nicht nur in der Quotenmeter-Kritik gut wegkam. Im Vergleich zu der zwei Jahre alten Produktion bietet der aktuelle Film wenig Bereicherung, bedient sich im Grunde der gleichen Dynamik. Nicht, dass die gleiche persönliche Geschichte erzählt würde. Die einzige große Gemeinsamkeit besteht darin, dass die Schicksale von zwei Brüdern erzählt werden, wobei diese Konstellation bei einer vererbbaren Krankheit, die fast ausschließlich Männer betrifft, nicht allzu Unwahrscheinlich ist. Zieht man zusätzlich in Betracht, dass in «Unter der Haut» das nur wenige Jahre lange Leben von Martins Bruder retrospektiv betrachtet wird, gibt es auf dieser Ebene sogar noch viel weniger Gemeinsamkeiten, da der ZDF-Film von erwachsenen Brüdern erzählt. Doch die Motive sind ähnliche. Hintergrundrecherchen, falsches Vertrauen, Skepsis, profitgeile Manager und lächerlich geringe Entschädigungen für die Opfer. Gleiches, Thema, gleiche Probleme. Irgendwie logisch. Aber braucht es dann einen neuen Film?

Dass die schauspielerischen Leistungen dabei nicht über ein solides Mittelmaß hinausgehen, ist ein weiteres Problem. Oft wirkt das gespielte kühl und unecht, mitunter auch Klischeehaft, beispielsweise wenn die Ärzte sich selbst (deutlich untermauert durch ihr Spiel) als bedingungslose Kämpfer für das Gute darstellen. Dass optisch nicht viel mehr getan wurde als ein paar alte Kleider rauszukramen und die Requisite um einige Jahrzehnte älter aussehen zu lassen, schlägt zusätzlich negativ zu Buche. Auch manche Motive erzielen ihre Wirkung nicht wirklich. Das Schwimmbad, in dem sich für Martin schicksalhaftes ereignet hat, und das fast metaphorisch immer wieder kommt, wird vom Zuschauer zum Beispiel nicht als spannungsschaffendes Element wahrgenommen. Die Liebesgeschichte transportiert hingegen zumindest ein angemessenes Maß an Emotionalität, besonders in Kombination mit der Betrachtung von Martins Krankheit. Wirklich mitreißend wird es aber eigentlich nur in der Konfrontation vom Protagonisten mit dessen Chef, sowie in den Szenen in denen die Hauptfigur mit einem der ersten Betroffenen spricht. Hier ist die Intensität hoch, hier agieren auch die Darsteller glaubwürdig. Gerade in diesen Momenten wird eindringlich klar, welches Ausmaß das unverantwortliche Handeln von Industrie und Politik hatte und wie unmenschlich der Umgang mit Betroffenen war.

Es passt zur Produktion, dass das Ende ruhig und bedacht ist. So wird auf falsche Affekte verzichtet, die emotionale Situation auf Individualebene betrachtet. Das birgt grundsätzlich passable Spannungsmomente und spricht zweifelsohne mehr als berechtigte Kritik an der schreienden Ungerechtigkeit an, die weit mehr als 1000 Menschen widerfahren ist, weil andere Menschen zu ihrer persönlichen Bereicherung gehandelt haben. Die Umsetzung allerdings wird dieser Bedeutung nicht gerecht und setzt vor allem im Vergleich zum thematisch gleich gelagerten ZDF-Film «Blutgeld» aus dem Jahr 2013 wenig neue Reize. In Kombination mit durchschnittlichen Schauspielleistungen und einer wenig glaubhaften Optik geht der ARD-Film daher bei weitem nicht so sehr unter die Haut, wie es im Angesicht des eigentlichen Skandals sicherlich möglich (und nötig) gewesen wäre…

Das Erste zeigt «Unter der Haut» am Mittwoch, 2. Dezember um 20.15 Uhr.

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