Zieht man das in all seine Überlegungen ein, dann ist es wohl keine leichte Aufgabe, die Nachrichten des Senders um diese Zeit auch weiterhin quotentechnisch erfolgreich zu halten. Walters Lösungsansätze sind entsprechend plausibel. Raus geht es aus der grünen Hölle, in der die Moderatoren vor einer animierten (und wirklich nicht schönen Weltkarte) standen – und rein geht es in einen realen Newsroom samt integriertem Studio. Das neue Konzept sieht vor, dass die Moderatoren künftig während der Sendung durch den Redaktionsraum laufen können – etwa, um mit Experten in einer Talkecke zu sprechen.
Inspiriert haben dürfte sich Walter in Amerika, wo große Nachrichtensender ihre Redaktion inzwischen längst als Ort für Anmoderationen oder kurze Gespräche mit den jeweiligen Redakteuren nutzen. Dass dies bisher eher sehr verhalten genutzt wurde, mag dem geschuldet sein, dass man das RTL II-Publikum zu Beginn nicht mit zu viel Neuem überfrachten wollte. Die Grundsatzidee, die klassische Newssendung mit solchen Blöcken etwas aufzulockern, aber ist gut. Sie könnte aber auch sehr schnell in Ketten gelegt werden. Mehr als knapp elf Minuten Sendezeit stehen dem Team gar nicht zur Verfügung. Zeit für Intensivierungen von Themen bleibt da kaum. Und so muss den neuen «RTL II News» attestiert werden, dass der geneigte Zuschauer über den Facebook-Account der Redaktion mehr Impressionen des neuen Büros erhielt als letztlich um 20.00 Uhr im Fernsehen.
Dort kämpfen die Themen, die eigentlich dringend behandelt werden sollen mit Beiträgen, die dem (tendenziell eher weiblichen) «Berlin – Tag & Nacht»-Fan gefallen. Matthias Walter hat ja nicht unrecht, wenn er sagt, dass man den Begriff „Nachrichten“ bei RTL II ein bisschen weiter fasst als bei den Kollegen der öffentlich-rechtlichen und privaten Konkurrenz. Aktuelle Musikcharts finden so ebenfalls ihren Platz wie auch die Bereiche Lifestyle oder Netzwelt. Sieben solcher Ressorts hat man festgelegt – jedes Ressort hat einen festen Fachmann, der immer wieder auch als Reporter auftreten soll. So können die regelmäßigen Zuschauer eine Bindung zu dem Reporter aufbauen, was letztlich für Verlässlichkeit und Vertrauen sorgt. Nichts anderes macht RTL seit Jahren mit Peter Kloeppel, Antonia Rados und Co.
Die Redaktion der «RTL II News» setzt dabei aber ganz bewusst auf die Themen, die die direkte Zielgruppe des Senders zu dieser Zeit interessiert. Das sind gerne Themen, die dem klassischen „grünen Portfolio“ zuzuordnen sind, genauso wie Gesellschaftliches. Klares Merkmal der Sendung: Eröffnet werden die «RTL II News» mit einem Aufmacher, der die Kern-Zielgruppe unmittelbar betrifft. In den vergangenen Tagen waren dies Party-Drogen in Drinks, zwei schwer verletzte 19-Jährige in Berlin nach einer Messerattacke oder anlässlich des Welt-Aids-Tags der Umgang der jungen Generation mit der Erkrankung. In der Debütsendung kamen so die von YouTube bekannten „Lochis“ zu einem – für den klassischen Newsfan – sicherlich sehr befremdlichen Auftritt in einer MAZ. Später in der Sendung ging es vergleichsweise ausführlich noch um Musik für Gehörlose und um individuell gestaltbarere Neonröhren für Zuhause. Im klassischen Meinungsbild mögen das Themen sein, mit denen sich eher «taff.» und Co. befassen sollten. Nun sind buntere Beiträge gerade in privaten Fernsehnachrichten bei Weitem keine Seltenheit mehr. Betrachtet man aber, welche Nachrichten sie somit aus der Sendung verdrängt haben, darf schon gefragt werden, ob diese für die RTL II-Zielgruppe nicht ebenfalls von Bedeutung gewesen wären.
- Screenshot RTL II
Raus aus dem virtuellen, rein ins reale Set: Sandra Schneiders ist Haupt-Moderatorin der «RTL II News». Die wollen den Begriff "Nachrichten" breiter fassen als die Konkurrenz - und auch über Lifestyle, Netzwelt und Musik-Charts informieren. Sie tun das wohl auch, weil sie wissen, dass sich das RTL II-Publikum um 20.00 Uhr für andere Themen eher schwer begeistern lässt. Somit wird das Format auch aus dem neuen Studio umstritten bleiben.
Der anstehende Einsatz der Bundeswehr im Kampf gegen den IS wurde von RTL II mit kurzen Worten und ein paar Bildern abgehandelt. Diese Meldung leitete in einen knapp zwei Minuten langen News-Kurzblock ein, der sich der wieder aufgenommenen Wal-Jagd in Japan, den hohen Smog-Werten in Peking, einer Explosion in Istanbul und den aktuellen Arbeitslosenzahlen widmete. Dass es am Debüt-Tag der neuen «RTL II News» zwischen Russland und Türkei massiv kriselte, verschwiegen die News hingegen. Zum Vergleich: In den (ebenfalls gerne kritisierten) «Sat.1 Nachrichten» war das immerhin das zweite Thema. Erstaunlich: Der rund drei Minuten lange Newsflash, den RTL II auf seiner hübsch gestalteten neuen News-Webseite anbietet, berichtet regelmäßig ausführlicher über „klassische Nachrichtenthemen“ als die TV-Sendung selbst.
Optisch ist den «RTL II News» derweil sicher ein echter Befreiungsschlag gelungen. Anzunehmen, dass es nicht die letzte Nachrichtensendung ist, die sich aus ihrer grünen Hölle befreit und auch dank der fortgeschrittenen Technik nun auf reale Sets bauen kann. Die immer wieder unterschiedliche Farbgebung (dunkles blau für Aktuelles, rot für Musik, gelb für Lifestyle etc.) ist angenehm unaufdringlich gehalten. Das Design rund um die News verleiht der Sendung einen hippen und urbanen Stil. Geht man nur nach dem Aussehen, dann hat die Redaktion auf einen Sprung sogar die ebenfalls auf junge Leute zielenden «heute+»-News überholt.
Wäre da nicht der Inhalt: Wenn nur knapp vier der ohnehin knapp bemessenen elf Minuten für wirklich relevante Themen stehen und die restliche Zeit mit boulevardesken Inhalten gefüllt wird, kann noch nicht von einem ausgewogenen Mix gesprochen werden. Mehr Zeit wird der Sender der Redaktion freilich nicht zur Verfügung stellen, der nächste Werbeblock wartet schließlich. Ein Chapeau für die Sendung kann es somit erst geben, wenn die für das Auslandsressort zuständige Reporterin Isabell Engler mal zwei Minuten auf der Redaktions-Couch bekommt, um die derzeitigen Konflikte rund um Syrien, Russland und die Türkei zu erklären. Gerne auch zu Lasten der Lochis.