„Nur Sat.1 konnte mit seinem Jahresabschluss zufrieden sein“. Das war eine Schlagzeile am Neujahrstag 2015. Im Dezember 2014 war die Welt beim Bällchensender nämlich noch in Ordnung. Mit 9,8 Prozent Marktanteil war der damals noch amtierende Senderchef Nicolas Paalzow dem selbst auferlegten Ziel, sich wieder in Richtung der Zehn-Prozent-Marke zu bewegen, ziemlich nahe gekommen. Was danach passierte, ist weitestgehend bekannt. Voller Mut und Energie wagte man sich beim Bällchensender an neue und mutige Projekte, landete aber einen Flop nach dem anderen. Wer daher in diesen Tagen über Sat.1 spricht, redet nicht mehr von Nicolas Paalzow, sondern von dessen Nachfolger Kaspar Pflüger, der mit dem Kanal in dessen vielleicht schwersten Krise steckt - auch wenn der diesjährige Heilig Abend quotentechnisch ganz vorzüglich lief. Blöd nur, dass dieser Tag der reichweitenschwächste des ganzen Jahres ist.
Jetzt muss der ehemalige Programmchef von RTL Kroatien beweisen, was in ihm steckt. Nur bisher war von Pflüger kaum etwas zu sehen. Schon im Herbst wurde dessen Ernennung zum Sat.1-Chef als eine Art VOX-Kopie gesehen. Auch die Kölner hatten nach dem Weggang von Frank Hoffmann mit Bernd Reichart einen Manager zum Senderboss gemacht, der zuvor im europäischen Ausland seine Erfahrungen gemacht hatte. Pflüger steht mit noch unter 40 Jahren zudem für eine neue und junge Generation der TV-Manager. Doch die Probleme von Sat.1 scheinen riesig. Pflüger musste sich zuletzt nicht nur mit Altlasten seines ehemaligen Vorgesetzten Paalzow herumschlagen, sondern auch akzeptieren, dass langjährige Hits plötzlich keine mehr sind.
Aber der Reihe nach: Die Baustellen im Programm des Münchner Senders sind äußerst vielfältig: Es reicht längst nicht mehr, nur noch über die schwache Access Prime zu sprechen, in der «In Gefahr» (ganz besonders um 19 Uhr) den Senderschnitt weit nach unten zieht. Mittlerweile sinken die Quoten schon ab 16 Uhr, wo sich «Anwälte im Einsatz» in Zeiten von neuerlichen Polizei-Dokus als nicht mehr wirklich zeitgemäß erweist. Im Unterhaltungssektor fehlt Sat.1 der Shownachschub. Abseits von «Promi Big Brother» und «The Voice» (gemeinsam mit ProSieben) hat sich nicht viel für eine Verlängerung empfohlen. 2015 floppten sowohl «Keep Your Money» als auch «Deal or No Deal» oder die Neuauflage von «Nur die Liebe zählt». So musste man sogar das zuletzt eher mäßig laufende «The Biggest Loser» noch einmal verlängern.
Apropos mäßig laufend: Deutliche Kratzer im Lack hat auch der über lange Jahre so stabile Crime-Sonntag. «Navy CIS» hat mitunter Probleme gegen den immer stärker werdenden «Tatort» überhaupt auf zweistellige Werte zu kommen. Die Ableger der Serie machen darüber hinaus nur selten wirklich glücklich. Einzig am Donnerstagabend, dort aber recht einfallslos mit mehreren «Criminal Minds»-Folgen am Stück, punktet Sat.1 noch mit Exportware.
Und so kommt man bei der Bestandsaufnahme von Sat.1 im Dezember 2015 ganz schnell zur Frage, wie viele Flaschen Wein, Sekt oder sonstiges die Chefetage kürzlich eigentlich nach Berlin zu den Machern des «Frühstücksfernsehens» geschickt hat. Das trotzt nicht nur der neuerlichen Schieflage des Senders, sondern mindert sie sogar. Mit mitunter mehr als 17 Prozent Marktanteil in der Zielgruppe am Morgen liefern Killing, Hahn und Co. riesige Pflaster auf die klaffenden Wunden des Bällchensenders. Oder anders gesagt: Ohne diesen Hit wäre die Lage noch verheerender.
Sat.1 wird den Monat Dezember nämlich mit einem der schlechtesten Ergebnisse der Senderhistorie beenden. Wirft man einen Blick auf das noch anstehende Programm, das außer der Premiere von «Fünf Freunde 2» vor allem etliche Re-Runs der Marke „Nummer sicher“ bereit hält, ist nicht davon auszugehen, dass sich der Senderschnitt noch erheblich bessern wird. Aktuell liegt er bei 8,7 Prozent und somit auf dem niedrigsten Niveau seit Sommer 2014. In den WM-Monaten Juni und Juli landete man bei 7,8 und 8,1 Prozent. Klammert man diese Ausnahmezeit aber mal aus, dann muss man schon bis in den Sommer 2013 zurückgehen, um einen Monat zu finden, in dem Sat.1 in einem ähnlichen Loch steckte. Die damals erreichten 8,6 Prozent waren aber auch schon der Boden – und es ist durchaus möglich, dass der Wert im Dezember noch darunter fallen wird.
Kaspar Pflüger bleibt somit eigentlich nichts anderes übrig, als 2016 nochmal Risiko zu gehen. Mit neuen Ideen, ungewöhnlichen Serien, spannenden Shows und vor allem einer verdammt guten Idee für den Vorabend. 2016 dürfte für Sat.1 wieder einmal ein entscheidendes Jahr werden. Vielleicht aber hat Pflüger ein glückliches Händchen – es ist ja nicht so, als ob auch konzern-intern bei Schwestersendern gerade größere Programmumbrüche anstehen, die man mit geschickten Entscheidungen auch zum eigenen Vorteil nutzen könnte. Das kostet vielleicht Geld, aber für umsonst wird es keinen Sat.1-Erfolg mehr geben.