Die Kino-Kritiker

«Joy - Alles außer gewöhnlich»

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Zum Jahresende darf noch einmal Jennifer Lawrence brillieren. David O. Russells Tragikomödie «Joy - Alles außer gewöhnlich» erzählt die überraschend unterhaltsame Geschichte der Frau, die den Wischmopp erfunden hat.

«Joy - Alles außer gewöhnlich»

  • Kinostart: 31. Dezember 2015
  • Genre: Tragikomödie
  • FSK: 6
  • Laufzeit: 124 Min.
  • Kamera: Linus Sandgren
  • Musik: David Campbell, West Dylan Thordson
  • Buch und Regie: David O. Russell
  • Darsteller: Jennifer Lawrence, Bradley Cooper, Robert De Niro, Édgar Ramirez, Diane Ladd, Isabella Rossellini, Virginia Madsen, Dascha Polanco
  • OT: Joy (D 2015)
Als Regisseur David O. Russell vor Monaten das Konzept für seinen neuen Film «Joy» vorstellte, entlockte er damit selbst Hollywoodinsidern ein Stirnrunzeln. Die Geschichte einer Frau zu erzählen, die vor Jahrzehnten den sich selbst auswringenden Wischmopp erfand, wirkt auf den ersten Blick wenig substanziell, doch Simplizität gehörte noch nie zu den Wiedererkennungsmerkmalen des Urhebers von «The Fighter», «Silver Linings» und «American Hustle». Jene drei Filme, die O. Russells Biopic über Joy Mangano vorausgingen, bildeten bis zum vergangenen Jahr noch eine locker miteinander verbundene Reihe, deren Filme alle dasselbe Thema besaßen: Der Regisseur erzählt von Figuren, die versuchen, ihre aktuelle Lebenslage zu verändern und deren Weg zum „besseren Menschen“ mit unzähligen Hindernissen gespickt ist. Hindernisse, damit meint O. Russel meistens das eigene Umfeld, das unseren Protagonisten das Leben schwer macht, aber auch sich selbst – nur wer über seinen Schatten springt, der wird auf Dauer in der Lage sein, den Status Quo und damit sich selbst zu verändern. Von diesem Standpunkt aus wirkt «Joy – Alles außer gewöhnlich» fast schon wie ein nachträgliches Anhängsel an O. Russells bisherige Filme. Denn wieder einmal beweist sich der Regisseur als stilsicherer Inszenator einer Geschichte, die zu nichtig scheint, um erzählt zu werden und diesen Zustand nicht zuletzt aufgrund der beeindruckenden Figuren vergessend macht.

Die toughe Joy Mangano (Jennifer Lawrence) wächst in den Siebzigerjahren in chaotischen Familienverhältnissen auf. Ihre Eltern sind getrennt, wohnen aber unter einem Dach. Ihr Vater Rudy (Robert De Niro) ist erst vor Kurzem in den Keller gezogen, wo bereits Joys Ex-Mann Tony (Edgar Ramirez) wohnt. Eine schwierige Situation, mit der sich nicht nur Joy selbst, sondern auch ihre Mutter Terry (Virginia Madsen) arrangieren muss, die den lieben langen Tag damit verbringt, ihre Lieblingsserien im Fernsehen zu gucken. Obwohl Joy in einer Zeit lebt, in der Frauen der öffentlichen Vorstellung entsprechend hinter den Herd gehören, sieht sich die junge, kreative Frau zu Höherem berufen. Durch einen Unfall kommt sie auf die Idee, einen Wischmopp zu erfinden, der sich selbst auswringt – zu damaliger Zeit eine Revolution. Mit der finanziellen Unterstützung von Rudys neuer Freundin Trudy (Isabella Rossellini) beginnt Joy die Produktion und schafft es, mithilfe ihres Ex-Mannes Kontakt zum Geschäftsmann Neil Walker (Bradley Cooper) aufzubauen, der ihr einen Platz beim Shopping-Sender QVC beschaffen kann…

Schon ein Blick auf die Besetzungsliste offenbart: David O. Russell bleibt sich treu. Nicht nur in den Hauptrollen greift er einmal mehr auf Bradley Cooper («Im Rausch der Sterne») und allen voran Jennifer Lawrence («Die Tribute von Panem») zurück, auch in den Nebenrollen gibt es mit Robert De Niro («American Hustle») ein Wiedersehen mit alten Bekannten. Der Kritikpunkt, der Filmemacher würde es sich mit der Wahl der immer gleichen Schauspieler ein wenig einfach machen, liegt sicher nahe. Doch warum seine Gewohnheiten ändern, wenn ihm das Endergebnis immer wieder Recht gibt? „Never change a Winning Team“ lautet die Devise und deshalb erweisen sich die bekannten Mimen auch in «Joy» einmal mehr als perfekte Wahl. Ergänzt wird das alteingesessene Trio durch Darstellergrößen wie Édgar Ramirez («Erlöse uns von dem Bösen»), Virginia Madsen («Number 23»), deren Performance klar an Ellen Burstyn in «Requem for a Dream» erinnert, sowie die Grande Dame Isabella Rosselini («Enemy»), die nach wie vor als alternde Schönheit betört und die einmal mehr eine Kraft und Ausdrucksstärke an den Tag legt, dass man sich nur schwer von der Eindringlichkeit ihrer selbst lösen kann.

Zugeschnitten ist «Joy – Alles außer gewöhnlich» allerdings auf Jennifer Lawrence, die für ihre schauspielerische Leistung einmal mehr für den Golden Globe nominiert wurde. Mit der Beendigung der «Tribute von Panem»-Reihe ist für die 25-jährige, mittlerweile zur Charaktermimin aufgestiegene Aktrice der Weg frei für Rollen von noch größerem Format; «Joy» erweist sich an dieser Stelle als ideale Bewerbung für kommende Projekte. Wenngleich das Skript, für das ebenfalls David O. Russell verantwortlich zeichnet, sichtbar auf die blonde Sympathieträgerin zugeschnitten ist und es dieser Umstand Lawrence einfach macht, sich zu profilieren, gelingt es der Schauspielerin nicht bloß, die Geschichte mit Leben zu füllen, sondern ihr auch eine emotionale Bandbreite abzugewinnen, dass aus «Joy» kein biederes Biopic wird, sondern eine Mischung aus Drama, Abenteuer und Komödie. Jennifer Lawrence stellt sich mit Leib und Seele in den Dienst dieses Films, der auf dem Papier kaum Potenzial birgt, sich als ergiebige Unterhaltung zu beweisen. Doch gemeinsam mit einer punktgenauen Inszenierung von O. Russell gewinnen alle Beteiligten ihrem Projekt das Optimum an Mehrwert ab. Aus dem Moment, in welchem Joy Mangano kurz vor ihrem ersten Auftritt bei QVC steht, macht der Filmemacher ohne großes technisches Zutun wie Spannungsmusik oder Kameraspielereien einen energiegeladenen Moment der Erkenntnis, der dem Zuschauer näherbringt, wie viel für die junge Protagonistin einst auf dem Spiel gestanden haben muss.

Jennifer Lawrence liefert die volle Bandbreite an Emotionen ab, macht sie von der hoffnungsvollen Träumerin zur Rebellin, die gegen ihre von der Gesellschaft vorgeschriebene Rolle aufbegehrt und zeichnet sie schließlich als entschlossene Matriarchin, die trotz ihres immensen Ehrgeizes immer auf dem Boden geblieben ist. Bei so viel Enthusiasmus gerät bisweilen gar Bradley Cooper in den Hintergrund, der in der Rolle des QVC-Entscheiders weniger zu tun hat, als es die vorab getätigte PR-Arbeit ankündigte. Robert De Niro wiederholt indes seine Rolle aus «Silver Linings», funktioniert allerdings auch hier einmal mehr hervorragend.

Wann immer in «Joy – Alles außer gewöhnlich» die Ruhe das Geschehen dominiert, beweist sich der Film als besonders ausdrucksstark. Das Skript verlässt sich verstärkt auf die Wirkungskraft seiner Dialoge und lässt diese in einer atmosphärischen Bandbreite auf den Zuschauer los, dass es nicht immer leicht ist, den Entwicklungen zu folgen. Die Charaktere agieren durchaus sprunghaft, finden so aber auch zu einer Menschlichkeit, die nicht vielen Figuren des modernen Unterhaltungskinos vergönnt ist. Denn obwohl der Schwerpunkt in «Joy» verstärkt auf das zwischenmenschliche Drama, gerade innerhalb von Joys Familie gelegt wird, ist die Schlagzahl an gewitzten hoch. Die Entstehungsgeschichte rund um den heute zum Standard gewordenen Wischmopp offenbart gerade auf der Zielgeraden tatsächlich ein enormes Entertainmentpotenzial, wie man es der Story vorab nicht zugetraut hätte. So erweist sich einmal mehr der Ausruf, dass die besten Geschichten immer noch das Leben schreibt, als perfekte Umschreibung für das, was Joy Mangano einst passiert ist.

Fazit: Ein starker Film über eine starke Frau: «Joy» ist auszeichnungswürdiges Schauspielkino mit einer triumphierenden Jennifer Lawrence in ihrer bisher besten Rolle. Bittersüß und zum Schreien komisch.

«Joy – Alles außer gewöhnlich» ist ab dem 31. Dezember bundesweit in den Kinos zu sehen.

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