Cast & Crew
Vor der Kamera:Anna Loos als Susanne Kröhmer
Thomas Thieme als Karl-Heinz Kröhmer
Burkhart Klaußner als M. Degenhardt
Martin Brambach als Georg Lassnitz
Carlo Ljubek als Alex Moravek
Renate Krößner als Brigitte Kröhmer
Jürgen Heinrich als Frank Griebnitz
Burak Yigit als Jussuf Antun
Hinter den Kulissen:
Regie: Friedemann Fromm
Buch: A. Simon, C. Fromm & M. Behnke
Idee: Martin Rauhaus
Produktion: M. Lehmann & Katrin Goetter
Musik: Stefan Mertin & Martin Hornung
Kamera: Michael Wiesweg
Schon der Gänsehaut-Vorspann macht deutlich: Hier geht es um das große Ganze. Um eine Stadt, ihre Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Um die Menschen, die in ihr leben – und um Politik im Zentrum der Macht.
Im Fokus: Susanne Kröhmer (Anna Loos), selbstbewusste Anwältin für Jugendstrafrecht, politisch engagierte Abgeordnete in der fiktiven CDP und Tochter des einflussreichen Karl-Heinz Krömer (genannt „KK“).
Während sie just mit ihrem Lebensgefährten und Geschäftspartner Maik (Stephan Kampwirth) das Bett teilt und einen Anruf ignoriert, stürzt sich ihr alter Freund Oliver Griebnitz, Sohn eines Berliner Baulöwen, vom Dach eines Hochhauses.
Sein Tod ruft einen weiteren Geist aus Susannes Vergangenheit auf den Plan: Alex Moravek, seines Zeichens Undercover-Journalist und Verschwörungstheoretiker. Eine Art junger Matula von Berlin. Er ist es, der mehr hinter dem Selbstmord vermutet und nicht nur bei Susanne Zweifel an ihrem übermächtigen Vater säht, sondern eine Verflechtung aufdeckt, die sich wie ein Krebsgeschwür durch die Stadt zu ziehen scheint.
Direkt zu Beginn der Affäre wird ein politischer Hoffnungsträger geopfert, die aktuelle Große Koalition aufgekündigt und ein bedauernswerter Strohmann von Susannes Vater als designierter Wahlverlierer eingesetzt um unkompliziert eine neue GroKo im Schatten der stärkeren SPU unter Führung von Bürgermeister Degenhardt (Burkhard Klaußner) zu ermöglichen. Politischer Filz und Klüngel vom Allerfeinsten. Und immer mittendrin: KK.
Doch hat dieser die Rechnung ohne seine Tochter gemacht. Aus einer Kurzschlusshandlung heraus positioniert Susanne sich als Alternative für die Bürgermeister-Kandidatur und trampelt somit zielsicher über die Gefühle ihres Lebensgefährten hinweg. Eine großartige Wahlrede später ist sie bereits am Ziel – sie darf und soll gegen den beliebten Degenhardt antreten. Letztlich ebenfalls nur als Kanonenfutter mit der Chance auf einen späteren Senatorenposten – aber ist ihr das genug?
Schon der Auftakt der Mini-Serie bietet eine Menge Stoff – doch ist dies noch lange nicht das Ende der Fahnenstange. Susanne will nicht nur Bürgermeisterin werden, sie glaubt auch an ihre Stadt und daran, dass Transparenz, Ehrlichkeit und Fairness in der Politik möglich sein müssen – und gelangt auf ihrem Weg an die Spitze an ihre ganz persönlichen Grenzen und darüber hinaus...
Die Vorbilder
Es ist nicht schwer zu erraten, welche Formate Pate für die Entwicklung der Serie gestanden haben: Irgendwo zwischen «The West Wing» (eine Serie, die in Deutschland leider nie den verdienten Erfolg hatte), «House of Cards» (mit Kevin Spacey) und der brillanten dänischen Serie «Borgen», versuchte man, eine Anpassung des Stoffes an den deutschen Markt. Figurenklischees wiederholen sich, Handlungselemente werden abgewandelt – der Kern bleibt jedoch der Selbe. Es geht um Macht, Besessenheit, Klüngeleien, Egozentrismus und ein Leben im Lügensumpf.
Doch findet sich noch ein weiteres Vorbild, welches sich besonders in den Figurenzeichnungen manifestiert: Im Film «Wag the Dog» von 1997, der hierzulande oft bestenfalls als Geheimtipp gehandelt wird, muss Robert de Niro in der Rolle des Conrad „Mr.-Fix-it“ Brean gemeinsam mit einem bunt zusammengewürfelten Team die Wiederwahl des Präsidenten der Vereinigten Staaten sichern, da dieser eine Schülerin sexuell belästigt haben soll. Brean inszeniert mit Hilfe des Hollywood-Produzenten Stanley Motss (Hoffman) einen Krieg gegen Albanien, der die Presse ablenken und die Öffentlichkeit in Atem halten soll.
Einen perfideren, gewitzteren und geistreicheren Blick auf die Machenschaften hinter den Kulissen der großen Politik hat es in dieser komprimierten Form selten gegeben.
Und natürlich erreicht «Die Stadt und die Macht» diese Klasse nicht vollständig – doch eifert man ihr mit Herzblut nach und erreicht zumindest, dem Thema einen urdeutschen Stempel aufzudrücken und dennoch den Fokus und die Beobachtungsgabe aller genannten Vorgänger nicht aus den Augen zu verlieren.
- © ARD/Frédéric Batier/Montage1 / 2
Ein Regisseur und sein Star - Friedemann Fromm mit Anna Loos am Set. Ob sie damals schon geahnt haben, was für ein gutes Produkt sie in der Mache haben?
Die Stadt und die Macht
Die Stadt
Ein gewichtiges Pfund für das Gelingen der Serie ist auch der Handlungsort: Berlin wird zu einem stummen Charakter des Ensembles. Das Leben in Deutschlands Bundeshauptstadt ist schnell und pulsierend, geprägt von Vielfalt, Wohlstand und Armut – diese Stadt schläft nie.
An allen Ecken wird gebaut und gewerkelt, was eine ganz eigene, kleine Meta-Ebene über den ständigen Erneuerungsprozess darstellt, der exemplarisch für ein Land steht, das sich nach Ende des zweiten Weltkriegs mit aller Kraft und festem Willen den verlorenen Wohlstand sowie den Lebensstandard und die Identität seines Volkes zurückerarbeitet hat.
Ein modernes Babylon, das in seinem ständigen Um- und Aufbau nie ganz fertig zu sein scheint. Ein Witz der Geschichte, ausgetragen auf dem Rücken dieser wundervollen und spannend-verrückten Stadt, der nirgendwo besser zu belegen ist, als am Standort des (irgendwann vielleicht doch einmal öffnenden) neuen Flughafens.
Anna Loos
Doch geht es im Kern natürlich um die Menschen und Schicksale inmitten all des wuseligen Treibens.
Anna Loos spielt mit Susanne Kröhmer eine starke Frauenfigur, weil sie in erster Linie eben genau das ist: Eine Frau zwischen Lebensgefährten, Kinderwunsch, starken Gefühlen und ohne Scheu, diese zu zeigen. Kurzum: Modern, authentisch und jederzeit glaubwürdig. Doch steht sie auch am Scheideweg: Zwischen den Stühlen aufgrund ihrer einsamen Entscheidung, in die Politik zu gehen, im niemals enden wollenden Kampf gegen ihren geliebten aber dominanten Vater, deprimiert angesichts des Verfalls ihrer gebrochenen Mutter und vor der Entscheidung, Karriere, Familie oder beides in den Fokus ihres Lebens zu stellen.
Sie und die Geschichte ihrer Familie bilden das emotionale Zentrum aller Geschehnisse. Wie Tentakel winden sich die horizontal erzählten Themen (Selbstmord Oliver, Bauskandale Berlins, Verwicklungen ihres Vaters, Wahlen, Intrigen) der sechs Episoden in ihren Mikrokosmos und verbinden alles zu einem stimmigen Puzzle.
Dass sie dabei auch durchaus diskutable Seiten zeigt, macht die Charakterisierung nur spannender. Ob beim Armdrücken mit einem Mandanten oder als Meisterin der politischen Lüge, als sie mit einer erfundenen Geschichte über ihren Vater die Aufmerksamkeit der Parteigenossen erschwindelt – diese Frau weiß ganz genau was sie will und wie sie es bekommt.
Die Frage, ob sich der Mensch Susanne Kröhmer im politischen Haifischbecken selbst zu verlieren droht und dabei dem düsteren Pfad ihres Vaters nachfolgen könnte, zeichnet die Serie präzise nach.
Ein großes Lob an Loos, die sich in die Rolle verbeißt und dabei erneut ihre Wandlungsfähigkeit demonstriert. Trotz des generell starken Cast trägt sie jede Szene, jede Episode ohne Probleme. Eine Ausnahmeschauspielerin.
Brambach, Thieme & Co.
Dabei ist die interne Schauspielkonkurrenz durchaus beachtlich – und fast durchweg männlich.
Ob Journalist Moravek (Carlo Ljubek), Bürgermeister Degenhard (Burkhard Klaußner), Baulöwe Griebnitz (Jürgen Heinrich) oder auch Burak Yigit als Susannes Mandant Jussuf Antun – allesamt gut gezeichnete und stark gespielte Charaktere.
Im Zentrum des Interesses stehen jedoch eindeutig zwei andere, sehr unterschiedliche Männer – zum einen Martin Brambach als Wahlkampfmanager Georg Lassnitz, ein Hybrid aus Karl Lagerfeld, Wolfgang Joop und oben genanntem de Niro-Charakter Conrad Brean. Ein Mann der Tat, der in seiner Exzentrik und Kreativität keine Grenzen kennt und auf seinen Abwegen die Grenzen anderer Menschen nur zu gerne überschreitet. Ein Macher, dessen einziger Fokus der Sieg ist. Brambach taucht tief in seinen Charakter ein und fördert eine Leistung zu Tage, die einen Preis nach sich ziehen muss.
Dass er und die Autoren bei der Charakterisierung der Rolle durch Wahlkampfmanager Frank Stauss unterstützt wurden, der seit rund 25 Jahren in den Teams von Gerhard Schröder, Hannelore Kraft oder Klaus Wovereit aktiv war, rundet die Figur spürbar ab und erdet sie in der Realität.
Dazu gesellt sich Thomas Thieme als Karl-Heinz Kröhmer, Fraktionsvorsitzender der CDP und sowohl optisch wie auch inhaltlich eine verwirrend-gelungene Mischung aus Pate und Alfred Hitchcock. Hier die Vaterfigur, der Schutzpatron, Anführer und Vertrauensperson mit Stil und Gelassenheit, da der Mann für die Drecksarbeit, erzkonservativer Strippenzieher, emotionaler Vulkan und Unterdrücker seiner eigenen Familie. Thieme spielt all diese Facetten gleichermaßen aus und beeindruckt nachdrücklich.
Eindeutig: Die Protagonistin lebt und arbeitet in einer Männerwelt, in der Frauen kaum zu mehr als Beiwerk taugen. Dabei sollte jedoch zumindest Renate Krößner noch Erwähnung finden, die ihre komplexe Rolle der desillusionierten Ehefrau und Mutter mit zerbrechlicher Energie und Leidenschaft spielt.
Das Drumherum
Doch finden sich neben inhaltlichen Stärken und überzeugenden Darstellerleistungen auch inszenatorische Kniffe, die der Serie einen modernen Anstrich geben. Regisseur Fromm treibt sein Ensemble zu Höchstleistungen an, verdichtet geschickt die verschiedenen Storyelemente und -ebenen und vermischt Dringlichkeit mit Entschleunigung. Wie zum Beispiel, wenn zwischen den elegischen Dialogsequenzen die Stadt durch schnelle Schnitte und das wiederholte Zeigen von Baugerüsten und -kränen als elektrisierende Metropole inszeniert wird, die vor Facetten nur so strotzt.
Dazu gesellt sich ein Soundtrack, der zwischen reißerisch-treibenden Beats und meditativen Elektro-Sounds samt Einsatz von Chorgesängen schwelgt und auf diese Weise eine Menge zur Atmosphäre beiträgt. Kompliment. Die Serie kann sich auch technisch im internationalen Vergleich behaupten.
Fazit
«Die Stadt und die Macht» ist eine fast optimale Adaption bekannt-erfolgreicher Formate, die gänzlich in ihrem Mikrokosmos aufgeht, Politik und Menschlichkeit erklärt und sich keine nennenswerten Schwächen leistet. Ein spannend-brisanter Mini-Thriller für Fans von Anna Loos, der Bundeshauptstadt, und sogar Politikmuffel, der hierzulande seinesgleichen sucht. Mehr geht kaum. Einschalten!
«Die Stadt und die Macht» läuft in Doppelfolgen vom 12.-14. Januar 2016 in einer Eventprogrammierung jeweils ab 20.15 Uhr im Ersten. Die zugehörige Blu-ray und DVD werden am 14. Januar 2016 veröffentlicht.