Die Kritiker

«Tatort: Rebecca»

von

Der vorletzte «Tatort» mit dem altbekannten Bodensee-Team schlägt ungewohnt komplexe, beklemmende Töne an.

Cast und Crew

  • Regie: Umut Dag
  • Darsteller: Eva Mattes, Sebastian Bezzel, Gro Swantje Kohlhof, Imogen Kogge, Sandra Borgmann, Klaus Manchen, Serge Falck, Justine Hauer
  • Drehbuch: Marco Wiersch
  • Kamera: Stefan Sommer
  • Szenenbild: Klaus-Peter Platten
  • Musik: Iva Zabkar
  • Schnitt: Saskia Metten
Die Zeit tickt am Bodensee: Mit dem «Tatort: Rebecca» flimmert der vorletzte Fall mit Eva Mattes alias Kommissarin Blum und Sebastian Bezzel alias Kommissar Perlmann über die Mattscheiben. Bevor für das Duo der Vorhang fällt, feiert das Gespann rundes Jubiläum: Mission 30 steht auf dem Plan. Zudem stellt der vom Psychologen Marco Wiersch verfasste Fall einen kleinen Höhepunkt für die Konstanz-Reihe dar, denn so packend ging es im Süden schon lange nicht mehr zu. Da wünscht man sich glatt, dass die ARD den Abgang weiterer Duos beschließt. Denn es scheint sich langsam zum Running Gag zu entwickeln, dass vielfach kritisierte «Tatort»-Teams auf den letzten Metern plötzlich mit starken Neunzigminütern um die Ecke kommen.

Nach zwei ungewohnt leichtfüßigen Einsätzen für das oft als träge und unscheinbar beschriebene «Tatort»-Team, die bereits eine leichte Aufwärtstendenz haben erahnen lassen, geht es am Bodensee nun umso schwermütiger und psychologisch durchdachter zu. Für einen absoluten Volltreffer reicht es aufgrund einiger, kleiner dramaturgischer Abkürzungen unterm Strich zwar nicht, wohl aber für den fulminanten Beweis: Na bitte, es geht doch!

Eine junge Frau übergießt einen am Boden liegenden Mann mit Spiritus und zündet ihn an. Daraufhin stirbt er den qualvollen Flammentod. Kurz darauf versucht sie, sich selbst anzuzünden, wird aber in letzter Sekunde von der Polizei aufgehalten. Wie Blum und Perlman bei der Sichtung des Tatorts feststellen, handelt es sich bei der Heranwachsenden um die nunmehr 17-Jährige Rebecca (Gro Swantje Kohlhof), die im Alter von gerade einmal zwei Jahren entführt wurde. Bei ihrem Entführer (und Opfer) handelte es sich um den laut seinem Umfeld „unauffälligen“ Geschäftsmann Olaf Reuter. Was ungewöhnlich ist: Das Innere des Hauses, in dem Rebecca aufgewachsen ist, zeigt keine Spuren von Fluchtversuchen.

Wie die sichergestellten Beweisstücke, darunter eine ausführliche Niederschrift eines parareligiösen Regelbuchs, sowie die Beobachtungen einer hinzugezogenen Psychologin (effektiv: Imogen Kogge) suggerieren, wurde Rebecca jahrelang gehirngewaschen: Rebecca wuchs als willige Untergebene ihres Herren auf, sexuelle Gefügigkeit und den Gedanken inklusive, ihn und sich selbst eines Tages durch den brennenden Tod befreien zu müssen. Aber es kommt noch schlimmer: Alles deutet darauf hin, dass Reuter ein weiteres Mädchen entführt hat. Ihr Aufenthaltsort ist allerdings unbekannt. Und aus Rebecca ist nichts herauszukriegen …

Der lose vom Fall Kampusch inspirierte «Tatort» ruht vor allem auf den Schultern der hervorragenden Hamburgerin Gro Swantje Kohlhof, die ihr Talent nicht nur bereits im deutschen Psychothriller «Tore tanzt» unter Beweis gestellt hat, sondern auch in «Tatort: Die Wiederkehr», einem der finstersten Bremer Fälle der vergangenen Jahre. Kohlhofs Performance in dieser SWR-Produktion steht den besagten Gänsehaut-Darbietungen in Nichts nach:

Ihre Skizzierung einer identitätslosen, bis ins kleinste Detail „programmierten“ jungen Frau, die ganz, ganz langsam mit der erschütternden Wirklichkeit und der ihr bis dahin unbekannten Welt außerhalb des Heims ihres Peinigers konfrontiert wird, geht unter die Haut. Ohne Pathos, ohne übertrieben große Gesten, mimt sie diese emotional aufgekratzte Titelfigur, die unentwegt damit kämpft, ob sie ihren bislang gewohnten Weg gehen muss oder nicht. Entsprechend aufwühlend ist die Beziehung zwischen Rebecca und Perlmann, dem sie sich öffnet, weil sie in ihm einen neuen „Erzieher“ sieht. Der im «Tatort» oft unterforderte Sebastian Bezzel wird in diesen gemeinsamen Szenen wachgerüttelt, gibt eine eindrucksvolle Leistung als gutmütiger Kommissar ab, den es anwidert, seinem Gegenüber den Herrscher zu geben, der aber versucht, diese Rolle einzuvernehmen, um so an wichtige Informationen zu kommen und so letztlich Gutes zu tun. Auch Mattes blüht auf und gibt eine sehr ruhige, herzliche Darstellung zum Besten.

Das präzise, genau beobachtende Skript von Marco Wiersch wird von Umut Dag (Regisseur des Berlinale-Beitrags «Kuma») trotz der brenzligen Situationen, in denen sich die Figuren befinden, und der hohen thematischen Dramatik sehr bodenständig in Szene gesetzt: Er legt den Fokus auf die Figuren, hält die Dialogwechsel kurz und knapp, findet klare, nie symbolisch überfrachtete Bilder. Daher schmerzt es auch nicht zu sehr, wenn gen Schluss einige dramaturgische Abkürzungen genommen werden, um diesen Fall in die 90 Sendeminuten aufweisende, sich vor zu deprimierenden Entwicklungen meist scheuende «Tatort»-Marke zu zwängen.

«Tatort: Rebecca» ist am 10. Januar 2016 ab 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.

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