Die Kritiker

Zurück «Neben der Spur»

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Die Kritiker: Nach einem fulminanten ersten Film kehrt «Neben der Spur» ins ZDF zurück. Wie überzeugend ist die Fortsetzung?

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Ulrich Noethen («Die Luftbrücke») als Dr. Joe Jessen, Juergen Maurer («Das Glück die Erde») als Vincent Ruiz, Petra van de Voort als Nora Jessen, Marie Leuenberger («Wer's glaubt, wird selig») als Anna Bartholomé, Lilly Liefers als Charlotte Jessen, Michaela Rosen als Ronnie Nielsen, Joachim Król («Tatort: Frankfurt») als Dr. Philip Kampmann, Hildegard Schmahl («Altersglühen») als Mutter Ruiz und andere


Hinter den Kulissen:
Regie und Buch: Cyrill Boss und Philipp Stennert nach dem Roman „Amnesie“ von Michael Robotham, Musik: Christoph Zirngibl, Kamera: Moritz Anton, Schnitt: Lucas Seeberger, Produktion: Network Movie

Es ist kein ganz einfaches Verhältnis, das Dr. Joe Jessen (Ulrich Noethen) und Vincent Ruiz (Juergen Maurer) pflegen. Nur einen Krimi ist es her, da wollte Ermittler Ruiz den Psychiater Jessen noch des Mordes überführen. Jetzt aber braucht Ruiz Hilfe, weil er selbst nicht so genau weiß, was passiert ist. Mit einer Amnesie wacht er im Krankenhaus auf, nachdem er aus der Elbe gezogen wurde. Offensichtlich kam es zum Kampf auf einem Boot. Doch viel weiter kommt Ruiz nicht, eben deshalb erbittet er sich Hilfe von Dr. Joe Jessen – eine Rolle in der der von Ulrich Noethen gespielte Psychiater keine ganz so vielfältigen Charakterzüge zeigen kann, wie bei seinem ersten Auftritt. Im grandiosen ersten Teil von «Neben der Spur», der auf den Namen «Adrenalin» hörte, zeigte er sich ein wenig nachdenklicher und war nicht vornehmlich mit der Fallanalyse beschäftigt. Das alleine ist ob der persönlichen Situation der Figur logisch, aber auch der Humor von Dr. Jessen hat gelitten. Ohnehin aber gibt es von seiner Person recht wenig zu sehen, vor allem, wenn man es mit seiner Dominanz im ersten Film vergleicht.

Andere Dinge gelingen dem zweiten Film der Reihe, der passenderweise auf den Namen «Amnesie» hört, besser. So gibt es erneut viele Sequenzen, in denen mit bedrückender oder spannungsgeladener Ruhe gespielt wird. Auch insgesamt ist die Kontinuität über weite Teile gelungen transportiert. Das liegt sicher auch daran, dass die Dreharbeiten des neuen Films recht nah an den Arbeiten zum ersten Teil lagen. So waren diese bereits abgeschlossen, als Episode eins im Februar des vergangenen Jahres ausgestrahlt wurde. Wie auch schon beim ersten Film sind zudem Cyrill Boss und Philipp Stennert für Regie und Drehbuch zuständig. Sie entwickeln die Geschichte glaubwürdig, aus der mehr entsteht als die bloße Jagd nach der Erinnerung. Ruiz beschäftigte auch ein vor Jahren verschwundenes Kind, das angeblich einem Mord zum Opfer gefallen sein soll. Doch gab es wohl jüngst andere Hinweise, auf dessen Spur sich Ruiz nun erneut begeben muss. Die Zusammenhänge allerdings sind komplex, vielleicht sogar etwas zu verschachtelt, um als Mischung aus Krimi und Psychothriller optimal zu funktionieren, weil es so zu schwer fällt, die Figuren ordentlich einzuordnen.

Die Post stapelt sich auf einem fein sortierten Haufen – hinter der Tür
Neben den beiden Machern des Films ist auch das sonstige Ensemble im Grundsatz zusammen geblieben. Einige der wenigen Änderungen gab es bei der Kamera. Das allerdings ist besonders bedauernswert. Nicht weil Moritz Anton, der die Kameraführung übernimmt, seine Arbeit schlecht machen würde. Der agiert nämlich mehr als solide und überzeugt durch manch interessant gewählten Shot. Doch an der kreativen Glanzleistung, die sein „Vorgänger“ Felix Cramer abgeliefert hat, kommt Anton damit nicht vorbei. Der Production Value ist jedoch auch in Teil zwei weiter hoch, in diesem Aspekt verliert die Reihe gegenüber Fall eins kaum. Es sind höchstens kleinere Logikfehler, die den Zuschauer stören. So liegt in einer durchsuchten Wohnung die Post von etwa zwei Wochen (inklusive Zeitungen), die unter der Tür durch geschoben wurde, auf einem fein sortierten Stapel. Und es ist die Spannung, die nicht von Anfang an eintritt (obschon dies offensichtlich beabsichtigt war) und die auch nicht über die volle Zeit bestehen bleibt.

Doch es wird mitunter schon spannend. So ist der in dem Fall des kleinen Mädchens Verurteilte eine interessante Figur: Ein vermeintlicher Pädophiler, der dem Glauben zugekehrt ist und sich gleichzeitig selbst kasteit, indem er sich Wunden zufügt. Das Erarbeiten der Hintergründe – im Einzelfall wie auch insgesamt – löst die meiste Spannung aus. Zu häufig allerdings werden solche Momente gestört, durch Szenen, wie eine Verfolgungsjagd von Ruiz‘ Kollegin Kerstin mit einem Verdächtigen. Nicht nur, dass der Ablauf der Jagd reichlich unglaubwürdig ist, sie wird auch noch in Zeitlupe abgespielt, was nicht nur das Leiden für den Zuschauer verlängert, sondern das Ganze auch noch unangenehm werden lässt, weil ein schmerzhafter Sturz der Ermittlerin mit dem Rücken auf einer Metallstange endet. Doch nur wenige Momente darauf wird es gleich wieder hochinteressant. Dann nämlich, wenn Ruiz von seiner Arbeit entbunden wird, unter anderem weil er an dem vormals gesprochenen Urteil verzweifelt – und er damit das erneute Aufrollen des Prozesses riskiert.

Wenn Ruiz durch die Kanalisation watet


Es sind auch diese Szenen, in denen sich Ruiz warm spielt – auch weil er die Ruhe nicht mehr so ganz weg hat. Charakterentwicklung muss eben nicht immer in eine positive Richtung stattfinden. Man sieht ihn später in einer komplex zusammengeschusterten Szene durch die Kanalisation waten, ehe seine Erinnerungen wieder komplett und zu einem halbwegs logischen Gerüst zusammengefügt sind. Hier geht die Spannung zunächst verloren und weiß sich auch im Folgenden nicht mehr in ganzer Höhe aufzubauen. Da also, wo Ruiz an Stärke gewinnt, verliert die Handlung zur gleichen Zeit ein Stück weit. Doch auch in den späten Phasen ist die Charakterisierung von Ruiz manchmal over the top. Wenn der ach so harte Typ beispielsweise einen Kronkorken mit den Zähnen von der Flasche beißt, wartet man nur noch darauf, dass ihm im nächsten Moment der Schaum aus dem Mund läuft – und damit ist gewiss nicht der Bierschaum gemeint.

Schmerzhaft ist auch zu bemerken, dass Dietrich Hollinderbäumer, der Teil eins trotz seiner kurzen Screen Time seinen Stempel aufgedrückt hatte, nicht mehr vorkommt. Fast noch nachdrücklicher wirkt aber das Finale, das sich über fast 15 Minuten erstreckt und damit viel zu lang geraten ist und zusätzlich von einer Wendung nur so in die nächste trudelt, als wäre man auf dem Nürburgring unterwegs. Dazu passen dann auch Sätze, die sich ungefähr auf der epischen Höhe von «Keinohrhasen» befinden, aber versuchen «Star Wars» zu sein: „Sorg' dafür, dass das nicht umsonst war“, raunt die Verletzte Kerstin Ruiz zu. Deep. Dass Ruiz statt einer eigentlich so wichtigen Aussage vor Gericht einen spontanen Lettland-Trip macht (wobei die Gründe der Reise durchaus nachvollziehbar sind, aber sich nicht wirklich erschließt, warum nicht jemand anders hätte fahren können), setzt dem Ganzen nur noch die Krone auf.

Leider, möchte man sagen, fällt «Amnesie» im Vergleich zu seinem Vorgänger deutlich ab. Weder psychologische Tiefe noch Spannung bringt der zweite Fall auf Buchgrundlage von Michael Robotham in dem Maße auf, wie es «Adrenalin» noch gelang. Als gewöhnlicher ZDF-Fernsehfilm würde dieser Krimi mit Ansätzen eines Psychothrillers dabei durchaus als gelungen durchgehen. Die Erwartungshaltung allerdings dürfte im Angesicht von Teil eins höher gewesen sein. An der interessanten Grundidee und der gelungenen Kontinuität gibt es dennoch wenig zu rütteln. Und so bleibt die Hoffnung auf die ausstehenden Bücher von Robotham, die noch genügend Material bieten. Dass das Team um Cyrill Boss und Philipp Stennert in der Lage ist, einen stärkeren Film hinzulegen: Es ist hinlänglich bekannt.

Das ZDF zeigt «Neben der Spur – Amnesie» am Montag, 18. Januar um 20.15 Uhr.

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