Die Kritiker

«Der Fall Barschel»

von

Das Erste räumt für einen dreistündigen, eigenproduzierten Thriller seinen Samstagabend frei. Zu Recht. Denn jeder andere Sendeplatz wäre «Der Fall Barschel» unwürdig.

Cast und Crew

  • Regie: Kilian Riedhof
  • Darsteller: Alexander Fehling, Fabian Hinrichs, Matthias Matschke, Antje Traue, Edgar Selge, Luise Heyer, Martin Brambach, Paula Kalenberg, Rolf Lassgard, Godehard Giese, Rainer Bock, Margarita Broich
  • Drehbuch: Kilian Riedhof, Marco Wiersch
  • Kamera: Benedict Neuenfels
  • Schnitt: Andreas Radtke
  • Musik: Peter Hinderthür
  • Szenenbild: Yesim Zolan
  • Kostüm: Lucia Faust
Der 175-minütige Fernsehthriller «Der Fall Barschel» beginnt mit einer Texttafel, die darauf aufmerksam macht, dass er keine Dokumentation sei, sondern ein von wahren Begebenheiten beeinflusstes Stück Fiktion. Eigentlich sollte dies offensichtlich sein. Jedoch kann es insbesondere bei solch einem brisanten Thema wie Uwe Barschels Ableben wohl nicht schaden, das Publikum daran zu erinnern, dass Dramen über wahre Ereignisse nicht zwingend Aneinanderreihungen von Fakten darstellen müssen. Solche Produktionen können auch andere Akzente setzen. Wie nun einmal «Der Fall Barschel»: Der Schwerpunkt dieser Regiearbeit von Kilian Riedhof («Homevideo») liegt darauf, im Kleid eines Polit- und Journalismusthrillers plausible Spekulationen über den rätselhaften, titelgebenden Fall anzustellen. Darüber hinaus ist der von Riedhof und Marco Wiersch («Bloch»-Reihe) verfasste Film, für den Das Erste sogar die Samstags-Primetime freischaufelt, eine Zeitkapsel: Im Laufe der fast drei Sendestunden skizziert «Der Fall Barschel» nach, wie sich das Lebensgefühl in der Bundesrepublik der 80er-Jahre allmählich auflöst und an dessen Stelle das Feeling der 90er tritt.

Im Mittelpunkt der Geschichte, an der die Autoren nach eigenen Angaben zehn Jahre lang gearbeitet haben, stehen die fiktiven Journalisten David Burger (Alexander Fehling) und Olaf Nissen (Fabian Hinrichs), die für eine Tageszeitung schreiben und sich in eine Idee verbissen haben: Sie wollen die deutsche Antwort auf Bob Woodward und Carl Bernstein sein, jene ‚Washington Post‘-Redakteure, die den Watergate-Skandal aufgedeckt haben. Burger und Nissen verfolgen vor diesem Hintergrund unter anderem sehr genau das Leben und die Karriere von Uwe Barschel (Matthias Matschke), der im Frühjahr 1987 als einziger einen Flugzeugabsturz überlebt und dessen Wahlkampfmann bald darauf bezichtigt wird, eine Schmutzkampagne gegen den SPD-Kandidaten angeleiert zu haben.

Nach Barschels Rücktritt vom Posten des Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein wird der CDU-Politiker tot in seiner Badewanne aufgefunden. Der ‚Stern‘ findet ihn dort auf, schießt ein Foto, das in die deutsche Publikationsgeschichte eingeht – und verärgert so Burger und Nissen, die im falschen Moment Däumchen gedreht haben (klar – «Der Fall Barschel» spekuliert zwar, verweigert sich aber letztlich der Geschichtsumschreibung). Barschels Tod rüttelt die Nation auf – und löst eine endlose Liste an Theorien aus: War es ein „Bilanzselbstmord“, wie manche eiskalt feststellen? Oder wurde Barschel ermordet? Und wenn ja, von wem? Burger und Nissen machen sich mit jungenhaftem Eifer, einer guten Prise Dreistigkeit und unfehlbarem Interesse daran, die offenen Fragen aufzuklären, auf Spurensuche …

Die Autoren verstehen es, die Undurchschaubarkeit des realen Barschel-Falls auf die Figurenzeichnung in ihrem Thriller zu übertragen. Fehling und Nissen dürfen in ihren Rollen schmierig und pietätslos sein (indem sie etwa eine Richterin belästigen, hoffend, so an Infos zu gelangen), gleichwohl sind sie mit ihrem Wissensdurst und Durchhaltevermögen auch hehre Journalistentypen. Darüber hinaus kristallisieren sich stückweise charakterliche Unterschiede zwischen den augenscheinlich so aufeinander abgestimmten Protagonisten: Während Nissen den etwas bodenständigeren Typen gibt, wird Fehlings Figur zu einem getriebenen Einzelkämpfer, der nur noch an den ungeklärten Fall denken kann. Diese Wandlung, die all zu schnell ins Klischeehafte abdriften könnte, mimt Fehling mit beklemmender Intensität. Ebenfalls bemerkenswert: Matthias Matschke in der Titelrolle. Der «Pastewka»-Nebendarsteller legt den Politiker dank eines fein nuancierten Spiels als faszinierende, nachdenkliche und auch durchsetzungsfähige Persönlichkeit an, bei der ein Selbstmord ebenso plausibel ist wie der Gedanke, dass er Opfer eines Mordes wurde.

Abgesehen davon, dass Riedhof in einer kurzen Heile-Welt-Sequenz Leonard Cohens oft rezitiertes Lied „Hallelujah“ verwendet und somit in einer Szene einen wenig originellen Weg beschreitet, ist «Der Fall Barschel» auch auf audiovisueller Ebene vorbildlich: Die Vereinsamung Burgers wird dezent durch enge Kamerawinkel und eine schwarz-blau-graue Farbästhetik verstärkt, auch die Musikauswahl ist stimmungsreich und einprägsam. So dürfen ARD-Eventfilme über wahre Ereignisse öfter sein!

Fazit: «Der Fall Barschel» ist ein spannendes, kluges Stück Fiktion, das mit interessanten Figuren einen realen Fall nimmt, abklopft und Fragen aufwirft.

«Der Fall Barschel» ist am 6. Februar 2016 ab 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.

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