Die Kritiker

Der Blick in emotionale Abgründe - Wer verliert in «Gottlos» die Kontrolle?

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Die Kritiker: Mit der Drama-Serie setzt RTL II neue Akzente in seinem Programm. «Gottlos» wird als forensisch-psychologische Aufarbeitung von Verbrechen beschrieben. Warum die Serie die hohen Erwartungen, die ihr zugeschrieben wurden, nicht immer erfüllt und wieso sie letztlich dennoch ein fiktionaler Leckerbissen ist…

Facts zur Serie

Darsteller: Antonio Wannek, Sylta Fee Wegmann, Lasse Myhr, Matthias Koeberlin, Jule Ronstedt, Ralph Herforth, Johannes Franke u.v.m.
Regie: Thomas Stiller
Drehbuch: Thomas Stiller
Produktionsfirma: Bavaria Fernsehproduktion
Episodenzahl: 3 (ca. je 45 Minuten)
Originalformat: «Godless» (Niederlande)
Deutsche Erstausstrahlung: Montag, 15. Februar 2016 um 20.15 Uhr (RTL II)
Das Jahr 2015 kann in Bezug auf die deutsche Serie mit Fug und Recht als großer Schritt in die richtige Richtung gewertet werden. Mit «Deutschland 83» machte RTL eine anspruchsvolle deutsche Serie auf der ganzen Welt bekannt und während das mysteriöse «Weinberg» von TNT Serie unterdessen zwar bisher nur von Pay-TV-Abonnenten hochgejubelt wurde, landete auch VOX mit «Club der roten Bänder» ab Herbst den ersten Hit bei einem Mainstream-Publikum. Selbst RTL II, dem man den Schritt Anfang 2015 noch nicht zugetraut hätte, will nun im Seriengeschäft mitmischen. Als Adaption des niederländischen Formats «Godless» sollte die Drama-Serie «Gottlos – Warum Menschen töten» ursprünglich schon Ende 2015 debütieren, ehe RTL II den Start auf Februar 2016 verschob. Das Debüt der Serie ist als Teil einer inhaltlichen Neuausrichtung des Grünwalder Senders zu verstehen, der 2015 unter anderem mit Dokumentationen experimentierte.

Tatsächlich findet sich in «Gottlos» ein im deutschen Fernsehen bislang kaum bedienter, daher innovativer Ansatz wieder. Während man in Deutschland Krimis en masse antrifft, in denen Mordfälle aller Art nach deren Ausübung aufgeklärt werden, bildet «Gottlos» die Entstehung, Entwicklung und Eskalation eines Konflikts ab, der letztlich zum Mord führt. Von Motiven wahrer Verbrechen inspiriert, erzählt Grimme-Preisträger Thomas Stiller («Zwölf Winter») die tragischen Geschichten in «Gottlos» mit dem Titel stets bedrückend und gleichsam lebensnah.

Der Regisseur und Drehbuchautor, dem nach Senderangaben bei der Produktion der Drama-Serie freie Hand gelassen wurde, zeigt jedoch schon früh, dass ihm auch an einer gewissen Ästhetik seines neuesten Werks gelegen ist, die sich weniger innerhalb der Folgen äußert als vielmehr an Beginn und Ende der Episoden. Die stets von dramatischer Musik untermalten Bilder einer dreckigen Sozialbauwohnung bis zur im Bild erscheinenden, blutverschmierten Mordwaffe, eines gewaltigen Blutschwalls auf einem akkurat hergerichteten Schreibtisch oder einer zerbrechenden Keramikschüssel nach abgefeuerten Pistolenschüssen induzieren sofort eine gewisse Melancholie und unterstreichen die Tragik, die die Konflikteskalationen innerhalb der drei Folgen eint. Daraufhin folgt ein auf Hochglanz gestyltes Intro, in dem komplexe Szenerien in dunkelroten Blutlachen erscheinen und worin in Sachen Aufmachung automatisch Assoziationen an die Intro-Sequenz von „Verbrechen nach Ferdinand von Schirach“ wach werden.

Tatsächlich hat das einstige ZDF-Format auch inhaltlich mit RTL IIs «Gottlos» viele Gemeinsamkeiten, beschreiten doch beide Formate den Weg hin zu einem Verbrechen. Während dies in «Verbrechen» häufig auch mit einem Augenzwinkern und aberwitzigen Szenarien geschieht, verschreibt sich «Gottlos» zumindest in der ersten Ausgabe „Sex, Drugs und Rock’n Roll“ der Inszenierung eines trostlosen Milieus, das die Protagonisten in selbigem gefangen hält.

Laut streiten? Noch lauter versöhnen!


Das Leben von Biker Frank (Antonio Wannek) und Freundin Lisa (Sylta Fee Wegmann) ist geprägt von Armut, Alkohol und häuslicher Gewalt. Das Ergebnis ist eine Achterbahnfahrt von Beziehung, in der sich laut gestritten und noch lauter versöhnt wird. Dabei kommt es auch immer wieder zu Gewaltausbrüchen Franks, dessen Launen Lisa unterliegt, bis Lisa schließlich im Krankenhaus landet und einen Schlussstrich unter ihre Beziehung mit Frank zieht. Ihre Disco-Bekanntschaft Alex (Lasse Myhr) steht im Gegensatz zu den beiden arbeitslosen Ex-Partnern mit beiden Beinen im Leben und eröffnet Lisa ganz neue Seiten einer Beziehung. Doch das Glück der beiden ist nur von kurzer Dauer…

Steckbrief

Timo Nöthling ist seit April 2013 Teil der Quotenmeter-Redaktion. Sein Arbeitsbereich war von Beginn an breit gefächert und umfasst zahlreiche Schwerpunktthemen, Hintergrundartikel, Interviews oder die wöchentlichen US- und Sport-Checks. Mittlerweile fokussiert der Serienfan vorrangig auf Themen rund um die US-Unterhaltungsindustrie, insbesondere Streaming.
Dass Frauenschläger Frank der Bösewicht in dieser Geschichte ist, wird von Anfang in dessen Tyrannisierung und Unterdrückung seiner Freundin klar. Gleichzeitig wurde die junge Mutter Lisa, die das Sorgerecht für Tochter Paula an ihre Mutter (Alexandra von Schwerin) verlor, so von diesem unheilvollen Umfeld kultiviert, dass auch sie mittlerweile in einem Teufelskreis steckt, aus dem sie nicht mehr auszubrechen können scheint. Zusammen mit Freundin Jenny (Isabel Thierauch) verprasst sie ihr Sozialgeld in freizügigen Outfits für Alkohol, Zigaretten und Drogen. Daheim wechseln sich im Umgang mit Frank frei nach dem Motto „sie küssten und sie schlugen sich“ Gewaltausbrüche mit Versöhnungsszenen ab.

Lisas Disco-Bekanntschaft Alex könnte sie endlich aus diesem zerstörerischen Leben befreien. Gegenüber Franks besitzergreifender Art zeigt er Lisa mit Zärtlichkeit, guten Manieren und Selbstkontrolle eine ganz andere Seite von Liebesbeziehungen - eine normalere, gesündere. Schon bald wird klar, dass Lisa aber vom Umgang mit Frank so sehr geprägt ist, dass Alex ihr nicht helfen kann, aus dem Teufelskreis einer Beziehung mit Frank auszubrechen, der nach der Trennung weiterhin die Nähe seiner Ex-Freundin sucht. So spitzt sich die Lage immer weiter zu, bis einer der Beteiligten zu einer Gräueltat getrieben wird. Wer diese verübt, soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Auch bei «Gottlos» dürfen Zuschauer nämlich wie im Rahmen eines klassischen Krimi-‚Whodunits‘ miträtseln, wer letzten Endes die Kontrolle verliert.

«Gottlos» beschreibt besonders in dieser ersten Episode eindrucksvoll, wie sich die Psyche von Personen in aversiven Geisteszuständen aus komplexen emotionalen Ausgangssituationen heraus so entwickelt, dass diese Person letztlich zu Morden getrieben wird. Hier geht es nicht darum, Tötungen zu verharmlosen, sondern die Taten in Teilen nachvollziehen zu können. Darin findet sich der rote Faden des Formats, der sich auch durch die weiteren beiden Episoden der Sendung zieht.

Achtung! Schöner Schein


Auch der Mord in Episode zwei rührt von Beziehungsproblemen her, statt im prekären Milieu ist die Geschichte von „Der Polizist“ jedoch in einem gepflegten Vorstadt-Haushalt angesiedelt. Dort wahren Polizist Joachim (Matthias Koeberlin) und Ehefrau Olivia (Jule Ronstedt) den schönen Schein mit Sohn Carsten (Leopold Schill). In Wahrheit steht die Ehe jedoch kurz vor dem Aus. Olivia hat sich längst zur kühlen Karrierefrau entwickelt, nimmt sich als Hauptversorgerin der Familie wahr und belächelt den deutlich schlechter bezahlten Job ihres Mannes nur, der kurz vor seiner Prüfung zum Oberhauptkommissar steht, wobei er auf die Hilfe seiner Partnerin vergeblich hofft. Hier sind die traditionellen Rollenbilder von Mann und Frau auf den Kopf gestellt. Der von seiner Frau allein gelassene Joachim tröstet sich mit Kollegin Susanne (Nina Gnädig), die mit ihrer verständnisvollen Art schon mehr seinen Vorstellungen einer perfekten Partnerin entspricht und Joachim entgegen der herablassenden Umgangsweise Olivias wieder maskulinisiert. Als die hintergangene Olivia von der Affäre Wind bekommt, droht die Ehe endgültig zu erbrechen und der Konflikt eskaliert…

Auch Episode zwei wartet mit einem interessanten Einzelfall mit «Fight Club»-Metapher auf, in dem der von seinem Umfeld feminisierte Protagonist seine männliche Identität mit einer Affäre und Gewaltausübung wiederherzustellen versucht. Inhaltlich hätte man sich hierbei vielleicht noch größere Unterschiede zur Auftaktfolge gewünscht, in der ebenfalls die Elemente Beziehungskrise, Affäre und Eifersucht enthalten sind, zudem schafft es Folge zwei nicht in gleicher Nachvollziehbarkeit die Motivation der letztendlichen Tat aufzuarbeiten, wie es noch Episode eins vermochte. Dies liegt nicht nur an der spezielleren Prämisse, sondern eventuell auch an den nur rund 45 Minuten Sendezeit, in der «Gottlos» die komplexe Psyche eines Mörders aufarbeiten muss.

Statt Partner stehen in „Die Auslöschung“ Vater und Sohn im Zwist. Der tugendhafte Familienvater Holger Rückert (Ralph Herforth) führt in der Erziehung seiner zwei Söhne ein strenges Regiment. Vor allem Sohn Torben (Johannes Franke) rebelliert gegen den Vater und versucht ihm bei jeder Gelegenheit seine Charakterschwächen, Heucheleien und konservativen Moralvorstellungen vorzuhalten. Holger, der von seiner Haltung nicht abrücken will und weiter versucht, seinen aufmüpfigen Sohn zu formen, entfernt sich weiter von seinem Sprössling, als er ihn zu seinem Liebesverhältnis zu Freund Bernd (Til Schindler) anspricht. Die Situation aller Beteiligten ändert sich dramatisch, als Holger seiner Familie von einem Schweizer Bankkonto erzählt, das er nach dem Tod seiner Eltern mit seinem Erbe bestückt hat und auf das die ganze Familie nach Not- oder Unfällen Zugriff hat. Vater Holger weiß nicht, wie falsch er in der Annahme liegt, dass sein Sohn Torben nur eine aufständische Phase durchmacht…

Im Bunde der drei Ausgaben schafft es „Die Auslöschung“ wohl am wenigsten eine halbwegs sinnhafte Erklärung für die letztendliche Mordtat zu liefern. Stellen die Folgen eins und zwei noch Taten aus Affekt dar, die aus einer gewissen Ausweglosigkeit und vielschichtigen Gefühlen resultieren, bildet die dritte Episode mehr das kaltblütige und geplante Verbrechen eines Psychopathen ab und hat deshalb Schwierigkeiten damit, den Mord als Werk vertrauter menschlicher Gefühle zu porträtieren.

«Gottlos» überzeugt also nicht durchwegs als die Exploration emotionaler Abgründe, als die RTL II das Projekt vorstellte. Vor allem die vom Sender angekündigte „forensisch-psychologische Aufarbeitung von Verbrechen“ und das Prädikat „Edutainment“ wirken zuweilen etwas hochgegriffen – auch weil diesem Vorhaben in nur 45 Minuten Laufzeit wohl nicht immer nachzukommen ist. Dennoch bestechen vor allem zwei der drei Folgen durch Realitätsnähe und eine nuancierte Darstellung menschlicher Entwicklung ins Extreme. Auch die Darstellerriege, in der sich mit Antonio Wannek oder Ralph Herforth einige bekannte Gesichter finden, wurde bestens besetzt. Regisseur und Autor Thomas Stiller hat im Rahmen von «Gottlos» ganze Arbeit geleistet und bestückt das RTL II-Programm mit einem seriellen Leckerbissen, der auf der Unterhaltungsebene und von der visuellen Ästhetik der Episoden bestens funktioniert, in Sachen Anspruch, zumindest so wie man es vor der Premiere glaubhaft machen wollte, jedoch nur bedingt.

RTL II zeigt die erste «Gottlos»-Folge am Montag, 15. Februar 2016 ab 20.15 Uhr. Am 22. Februar folgen dann die Episoden 2 und 3.

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