Filmfacts «Nichts passiert»
- Regie und Buch: Micha Lewinsky
- Darsteller: Devid Striesow, Maren Eggert, Max Hubacher, Annina Walt, Lotte Becker, Stéphane Maeder, Beta Marti
- Produktion: HC Vogel
- Kamera: Pierre Mennel
- Schnitt: Gion-Reto Killias
- Musik: Marcel Blatti
- Laufzeit: 92 Minuten
- FSK: ab 12 Jahren
Als die Mädels auf eine Party eingeladen werden, lässt er sie gegen Martinas Willen davonziehen – der Gutelaunebär Thomas könnte ja niemals jemandem etwas ausschlagen. Eine Entscheidung, die Thomas alsbald bereuen wird. Denn als er seine zwei Schützlinge wieder abholen will, trifft er im überschaubaren Tal eine aufgelöste Sarah an, die ihm ein grausiges Geheimnis mitteilt. Daraufhin verstrickt sich der harmoniesüchtige Thomas in ein Netz aus deeskalierenden Lügen ...

Selbst nachdem Thomas von Sarahs schockierender Neuigkeit erfährt, bleibt sein Tonfall freundlich und ruhig. Die Vorbildlichkeit seines Harmoniestrebens bekommt allerdings alsbald Risse. Denn so löblich es sein mag, dass er im ersten Augenblick die verstörte Jugendliche zu besänftigen und ihr so ein Gefühl der Geborgenheit zu geben versucht, so fragwürdig ist sein längerfristiges Handeln: Thomas will sich nicht die Schuld auflasten, dass dem Mädchen etwas auf der Party widerfahren ist, auf die er sie hat gehen lassen. Und vor seinem Chef möchte er auch nicht unverantwortlich dastehen. Also beschwichtigt er Sarah weiter und weiter und weiter – bis die Fürsorglichkeit aus seiner Stimme entschwindet und die Empathie in seinem Gesicht einer kühl kalkulierten Miene weicht.
Striesow beherrscht es meisterlich, mit körperlichem Spiel eine Figur zu erschaffen, die eine Fassade der Freundlichkeit aufrecht erhält, und bei der es glaubhaft ist, dass ihr Umfeld darauf hereinfällt. Dem Publikum, das auch Momente verfolgt, in denen Thomas allein ist, und das obendrein in leinwandfüllenden Nahaufnahmen alle Details in seinen Regungen erkennen kann, bekommt derweil die wahren Beweggründe des Ängstlings mit: Selbsterhaltung allein regiert das Denken dieses vermeintlichen Lamms, das in der Not jedoch weder Freund noch Feind kennt.

Diese Metamorphose von «Nichts passiert» mag im ersten Moment übertrieben dramatisch erscheinen, jedoch dient sie als pointierter Widerspruch des Titels. Zudem lässt sie Lewinskys dritte Regiearbeit von einem stark dargestellten Dilemma zu einer leinwandreif überspitzten Ausnahmesituation emporklettern. Lewinsky hält dem alltäglichen Wegschauen-statt-Handeln-Kurs und dem gesellschaftlichen Mangel an Zivilcourage nicht bloß einen Spiegel vor, sondern strickt aus dieser Mentalität eine Parabel mit Ecken und Kanten, die weh tun.
Fazit: Toll gespielt, bissig und dramatisch: «Nichts passiert» ist ein Psychodrama mit bitterbösem Humor, das mit Nachdruck die Frage stellt, wie lange man schweigen kann, ehe man zum Täter wird.
«Nichts passiert» ist ab sofort in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
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