Filmfacts: «Ungezähmt - Von Mexiko bis Kanada»
- Kinostart: 12. Februar 2016
- Genre: Dokumentation
- FSK: 0
- Laufzeit: 106 Min.
- Musik: Noah Sorota
- Kamera und Regie: Phillip Baribeau
- Mit: Ben Masters, Jonny Fitzsimons, Thomas Glover , Ben Thamer
- OT: Unbranded (USA 2015)
Um sich dem Thema auf spannende Weise zu nähern, begleitet Baribeau eine Gruppe von vier Freunden auf ihrer 5000 Kilometer langen Reise von Mexiko nach Kanada. Um an diesem Kraftakt teilzunehmen, hat Baribeau unter der Anleitung des im Mittelpunkt der Geschichte stehenden (und den Film koproduzierenden) Reiseführers Ben Masters reiten gelernt. Nur so gelang es ihm, auf diesem Weg ganz nah an die Emotionen der Freunde heranzukommen. Entstanden ist mit «Ungezähmt» ein äußerst spannender Einblick in ein Team, das durch die harten Bedingungen dieser Odyssee nicht bloß untereinander zusammenwächst, sondern auch einen völlig neuen Blick auf die Pferde gewinnt.
Vier Cowboys machen sich gemeinsam mit 16 Wildpferden auf eine Reise, die ihr Leben verändern wird. Fünf abenteuerliche Monate reiten die Freunde durch den amerikanischen Westen. Ihr Weg führt sie durch den majestätischen Grand Canyon, den Yellowstone und den Glacier National Park. Für ihre Reise wählen die jungen Männer 16 Mustangs aus, die sie beim US Bureau of Land Management adoptieren. Die Tiere sind perfekt an die felsige Landschaft, das harte Wüstenklima und die Gebirgsrouten angepasst und sollen die Freunde durch noch unberührte Landstriche, von Mexiko bis Kanada, über eine Strecke von 5000 Kilometern begleiten.
Obwohl die Route mit großer Sorgfalt und lange im Voraus geplant ist, müssen die vier Freunde und ihre Gefährten auf ihrer Reise ständig Unwägbarkeiten wie Schnee, Wolkenbrüche und Präriebrände überwinden. Sie reiten unter erbarmungsloser Hitze, überqueren reißende Flüsse sowie jähe Abgründe und treffen auf Springkakteen, Klapperschlangen und angriffslustige Elche. Auch Krankheiten, Verletzungen und tödliche Unfälle widerfahren der Gruppe auf ihrer Reise. Auch wenn in der Realität nicht viel von der oft verklärten Romantik der amerikanischen Wildnis zu spüren ist – in der grandiosen Natur entwickelt sich eine tiefe Freundschaft zwischen den Männern und eine unvergleichliche Bindung zwischen Mensch und Mustang.
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Für ihre Route haben sie sich nicht irgendwelche Reitpferde ausgesucht, sondern sich ganz bewusst für 16 Mustangs entschieden, die sie innerhalb weniger Wochen zu (weitestgehend) sicheren Reitpferden ausbilden. Wenngleich die leider nur wenigen und dadurch nicht ganz ausdifferenzierten Bilder dieser Arbeitsphase den Eindruck erwecken, Wildpferde ließen sich nur unter Einsatz des eigenen Lebens zu Reittieren machen, besitzt «Ungezähmt» doch eine klare Werbebotschaft: Auch Mustangs sind – solange man sich ihnen mit Sachverstand und Fingerspitzengefühl nähert – ideale, da äußerst ausdauernde und trittsichere Arbeitspferde. Dass ihre Seele trotzdem immer wild bleiben wird, bekommen die vier Cowboys und der Zuschauer noch früh genug zu spüren…
Mit was für unberechenbaren Tieren es die Protagonisten auf ihrer Reise zu tun haben, zeigt schon die aller erste Szene: Als die Crew in der Einöde einer von Springkakteen übersäten Wüstenlandschaft zum Halten kommt, gerät eines der Pferde mit seinem Maul in eine dieser gefährlichen Pflanzen. Es kommt nicht davon los, der Reiter versucht ihm zu helfen und plötzlich wird er von den Vorderhufen des Pferdes – im wahrsten Sinne des Wortes – niedergeschlagen, während sich im Hintergrund ein zweiter Mustang selbstständig macht und ohne seinen Reiter durch die Steppe galoppiert. Ohne schon an dieser Stelle darum zu wissen, welche Arbeit diesem Zwischenfall vorausging, bekommt man als Zuschauer sofort das Gefühl dafür, dass «Ungezähmt» gerade dadurch funktioniert, dass der Regisseur darauf achtet, dass die Gemüter von Wildpferd und Mensch immer wieder aufeinanderprallen.
Der Reiz ergibt sich schließlich daraus, wie sich beide Parteien mit der Situation arrangieren. Die Pferde werden in ihrem Freiheitsdrang nie gebrochen (im Gegenteil: Von den insgesamt 16 Mustangs dürfen jene, auf denen gerade kein Reiter sitzt, immer wieder frei der Gruppe folgen), sondern erkennen im Menschen einen sicheren Anführer, während die Reiter sich gerade bei schwierigen Passagen blind auf ihre Pferde verlassen müssen. Die härtesten Stationen von felsigen Gebirgspässen über tiefe Schneeflächen bieten den Freunden abwechslungsreiche Herausforderungen, die sich auch auf den Zuschauer übertragen. «Ungezähmt» ist spannend, unvorhersehbar und auch für fachunkundiges Publikum ergeben sich atemberaubende Bilder aus den teils spektakulären Ereignissen.
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«Ungezähmt» erzählt die Geschichte der vier Reiter chronologisch und lebt ganz von den charismatischen Kerlen. Hier stehen keine Hollywoodstars oder Schauspielsternchen im Mittelpunkt, sondern echte Menschen. Trotzdem haben alle vier einen enormen Unterhaltungswert, wodurch sich der Film immer mal wieder von seinem Dokumentationscharakter löst und sich anschaut, als hätten wir es hier doch mit einem Drehbuch zu tun. Ganz so falsch ist das auch gar nicht, der Reise ging schließlich eine penible Planung voraus. Was auf dem Weg von Mexiko nach Kanada schließlich passiert, lässt Regisseur und Kameramann Baribeau allerdings ungefiltert auf seinen Zuschauer los. «Ungezähmt» macht auch vor Todesfällen oder Unfallsituationen nicht Halt, entwickelt aber gerade dadurch einen ungemeinen Sog, der den Zuschauer unweigerlich mitreißt.
Als Pferdekenner mag man manch eine Tat der Männer zwar nicht immer gut heißen, doch hier in der Leere der Prärie ist keine Zeit für zurückhaltende Ausbildungsmethoden von Pferd und Reiter. Jeder folgt seinem Instinkt. Das bedeutet auf der einen Seite, dass die Mustangs trotz ihrer Zähmung nie den Eindruck erwecken, ihre Reiter zu 100 Prozent als Boss zu akzeptieren, auf der anderen Seite gehen die Männer mit ihren Pferden nicht gerade zimperlich um. Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier wirkt in «Ungezähmt» oft wie das einer Zweckgemeinschaft. Erst recht, da die Route nicht alle Pferde überstehen. Trotzdem lieben die Reiter ihre Pferde sichtlich abgöttisch und «Ungezähmt» verrät viel mehr über das wahre Wesen Pferd, als es manch andere Dokumentationen über dieses Thema tut. Der Film erinnert in seiner ehrlichen Erzählweise an den vor drei Jahren erschienenen «Buck – Der wahre Pferdeflüsterer», eine Dokumentation über den weltberühmten Ausbilder Buck Brannaman, sodass es nicht wundert, dass die Regisseurin dieses Films, Cindy Meehl, auch hier in einer Produzentenposition mit von der Partie ist.
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Fazit: «Ungezähmt – Von Mexiko bis Kanada» ist eine auch für fachunkundiges Publikum geeignete Dokumentation, die Information mit Entertainment verbindet und einen Einblick in eine ebenso unterhaltsame wie spannende, bisweilen auch gefährliche Reise bietet. Der Film macht in seiner Authentizität großen Spaß und betört, indem die unverfälschten Bilder des Geschehens automatisch Respekt einflößen – Respekt vor diesen kraftvollen, unberechenbaren und doch wunderschönen Tieren.
«Ungezähmt – Von Mexiko bis Kanada» ist ab dem 11. Februar in ausgewählten Kinos Deutschlands zu sehen.
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