Twitter in der Krise
Twitter selbst übrigens schlitterte jüngst in eine Krise. Dort will man nun durch einen neuen Algorịthmus für Tweets, der personalisiert und nicht mehr nur Zeit-basiert ist (Vergleichbares macht auch Facebook) herauskommen. Einige User zeigten sich empört und erfanden den Hashtag #RIPTwitter. Dass sich etwas tun muss, zeigten aber die Mitte Februar 2016 veröffentlichten Quartalszahlen des Netzwerks. Erstmals seit dem Börsengang 2013 hat Twitter im vierten Quartal 2015 seine Nutzerzahlen nicht gesteigert. 305 Millionen Nutzer sind registriert, zwei Millionen weniger als im Quartal zuvor. Nimmt man einen SMS-Dienst hinzu, dann liegt die User-Zahl stabil bei rund 320 Millionen. Die Erlöse stiegen im vierten Quartal 2015 auf rund 710 Millionen US-Dollar, unter dem Strich blieb aber ein gewaltiger Verlust von 90 Millionen US-Dollar übrig. Die Twitter-Aktie hatte in den zurückliegenden zwölf Monaten rund zwei Drittel ihres Wertes verloren. Ausgehend von einem Startwert von 26 US-Dollar im Jahr 2013 hat sie nun noch einen Wert von rund 14 US-Dollar.Bestes Beispiel für perfektes Live Social TV ist der «Eurovision Song Contest», der nach Auskunft von Twitter mit 447.000 Tweets 2015 alleine aus Deutschland Rekordhalter in diesem Bereich ist. Unter den von deutschen Twitter-Usern meistgenutzten Hashtags finden sich aber noch andere erfolgreiche TV-Shows. Ganz vorne liegt hier Heidi Klums «Germanys Next Topmodel» mit ihrem #GNTM, gefolgt vom Krimiklassiker #Tatort und auf Position vier liegend das Dschungelcamp von RTL mit dem Hashtag #IBES. Formate als multimediale Marke aufzubauen, ist für Sender zweifelsohne wichtiger denn je. Twitter will dabei die Chance erhöhen, zum „Talk of the Town“ zu werden, in dem es die Zuschauer enger an das Programm, den Cast, die Macher oder den Sender bindet.
Letztlich bietet Twitter auch eine sehr schnelle und quasi in Echtzeit stattfindende Marktforschung – ist also auch ein wichtiges Instrument für die Sender. Als eine direkte Verbindung zum Zuschauer sieht auch Christoph Körfer den Account von @ProSieben. Körfer ist als stellvertretender Geschäftsführer des Privatsenders und Leiter der Kommunikation verantwortlich für die Social Media Aktivitäten. Im Gespräch mit Quotenmeter.de sagt er: „Wir versuchen - insbesondere bei Show- und Comedy-Programmen - in einer steten Interaktion mit dem Zuschauer das Programm zu begleiten. Dabei geht es darum, das Feedback der Zuschauer aufzunehmen - und dringende Fragen zu beantworten. Das darf für den ungeübten Twitter-Nutzer auch gerne mal provokant wirken. Zudem twittern wir gerne unabhängig von der direkten Programmanbindung zu Themen aus der Lebenswelt unserer Zuschauer.“.
Haltung zeigen und gegebenenfalls unsexy sein
Wichtig sei ProSieben dabei, stets Haltung zu zeigen. Und im Zweifelsfall auch einen so genannten Shitstorm der Community auszuhalten. Als ein User vor einigen Wochen etwa eine Moderatorin des Senders beleidigte, ging der Sender öffentlich dagegen vor. „Wenn Menschen meinen, sie können bei Twitter ausschließlich ihren Hass abladen, suchen wir keinen Dialog mehr. Auch wenn man eine Moderatorin unter der Gürtellinie beleidigt, hört für uns der Spaß auf. Dann melden wir das den entscheidenden Stellen – auch wenn das nicht jeder sexy findet“, sagt Körfer. Über Kritik, wenn sie konstruktiv ist, freue man sich aber. Selbst ein Tweet, lediglich bestehend aus dem Wort #langweilig, werde wahrgenommen und könne, so Körfer, entsprechend eingeordnet werden.
„
Wir können und wollen auf Twitter nicht jedem gefallen. Wenn wir der Meinung sind, dass wir ein Programm mit Sorgfalt erarbeitet haben, sagen wir es sehr direkt – und lassen uns auch nicht durch eine Hashtag-Welle wie #stopwildisland beeindrucken
”
ProSieben-Sendersprecher Christoph Körfer
Auch für Fehler einstehen
Offenheit und Ehrlichkeit ist – wie im echten Leben – auch im Bereich der Social-Media-Kommunikation das A und O. Werde ProSieben ein echter Fehler aufgezeigt, müsse man dafür einstehen, meint Körfer. „So unangenehm es manchmal ist“ schmunzelt er und berichtet von einem Fall, in dem diese Direktheit und Offenheit gar dazu führte, dass eine externe Produktionsfirma dachte, der Account @ProSieben sei gehackt worden.
In wie weit die Twitter-Welt aber wirklich ein Indikator für grundsätzliche Zielgruppen und den gesamten Markt ist, ist umstritten. Die ehrliche und sehr schnelle Marktforschung kann Tücken haben. So war man im vergangenen Herbst bei @sat1 schon zu frühem Jubel verleitet, als der Hashtag #Mila zum Start des großen Daily-Soap-Flops des Senders kurzzeitig unter den Trending Topics landete, am nächsten Morgen aber bei knapp sechseinhalb Prozent lag. Ob Twitter-Erfolg also gleich Zuschauer-Erfolg ist, hängt ganz vom Format ab. „Wenn zu «Circus HalliGalli» das Volumen bei Twitter sehr hoch ist – und das Feedback qualitativ gut ist, deutet das häufig auf eine hohe Reichweite hin. Andersrum kann ein Blockbuster, zu dem es nahezu keinen Tweet gibt, Marktanteile über 20 Prozent haben. „We Love To Entertain You“ funktioniert eben auch ohne Twitter“, meint der ProSieben-Kommunikator.
Letztlich müsse aber eins klar sein. Der Kurznachrichtendienst Twitter und alle dort getätigten Aktivitäten bringen ProSieben keine zusätzlichen Zuschauer. „Aber wenn wir das Medium vernachlässigten, würde ein Teil unserer Zuschauer etwas vermissen“, sagt Körfer. Und ganz sicher auch der Sender. Denn schneller und direkter war Marktforschung – die selbstverständlich mit gewisser Vorsicht zu genießen und entsprechend einzuordnen ist – wohl noch nie.
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel