Die Kino-Kritiker

«Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück»

von

Daniel Brühl und Emma Watson in den Fängen einer Sekte: Der Thriller «Colonia Dignidad» hat eine fesselnde Prämisse, die er allerdings nur gen Schluss packend umsetzt.

Filmfacts «Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück»

  • Regie: Florian Gallenberger
  • Produktion: Benjamin Herrmann
  • Drehbuch: Torsten Wenzel, Florian Gallenberger
  • Darsteller: Emma Watson, Daniel Brühl, Michael Nyqvist, Richenda Carey, Vicky Krieps
  • Musik: André Dziezuk, Fernando Velázquez
  • Kamera: Kolja Brandt
  • Schnitt: Hansjörg Weißbrich
  • Laufzeit: 110 Minuten
  • FSK: ab 16 Jahren
Der 11. September 1973 ist ein dunkler Tag in der chilenischen Geschichte: Der erbarmungslose General Augusto Pinochet stürzt den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende, reißt die Macht an sich und lässt noch am selben Tag mehrere Tausend Unterstützer Allendes in Gewahrsam nehmen. Einige von ihnen werden kaltblütig erschossen, andere werden in die Colonia Dignidad verfrachtet – eine auslandsdeutsche Siedlung in der Nähe von Catillo und Parral. Das festungsartig von der Außenwelt abgeschottete Areal beheimatet eine vom deutschen Einwanderer Paul Schäfer angeführte Sekte, welche sich zu großen Teilen der Errungenschaften der Moderne entsagt. Vermeintlich, um ein reines, von Verführungen befreites Leben nahe Gott zu führen. Der größenwahnsinnige Sektenführer Schäfer nutzt seine Macht innerhalb der Gemeinde jedoch auch zum eigenen Vorteil. Darüber hinaus kooperiert er mit Pinochet und stellt seine Kolonie als Folterzentrum für Feinde der Militärregierung zur Verfügung.

Vor diesem realen Hintergrund erzählt Regisseur und Ko-Autor Florian Gallenberger in «Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück» die fiktionale Geschichte zweier Außenstehender, die in diese finsteren Stunden Chiles verwickelt werden. Den Fokus dieser Mischung aus Thriller und Historiendrama teilen sich der politisch motivierte, aus Deutschland stammende Fotograf Daniel (Daniel Brühl) und seine Freundin, die Flugbegleiterin Lena (Emma Watson). Als der für Allende Stimmung machende Daniel in die Fänge Pinochets gerät, beschließt Lena, sich an die Fersen ihres Geliebten zu heften und ihn zu befreien – koste es, was es wolle. Nachdem sie in Erfahrung bringt, dass er in die Colonia Dignidad verschleppt wurde, gibt sich Lena als gottesfürchtiges, verlorenes Mädchen aus, das in der Glaubensgemeinschaft ein neues Leben beginnen will. Ihr Coup gelingt und sie wird aufgenommen – doch aufgrund der strikten Geschlechtertrennung und des streng organisierten Tagesablaufs scheint es schier unmöglich, an Daniel zu gelangen …

Die internationale Gemeinschaftsproduktion braucht ihre Zeit, um in Gang zu kommen. Bevor Lena zwecks ihrer Rettungsmission aus eigenen Stücken die oftmals wie ein Arbeitslager anmutende Kolonie betritt, zeigt Gallenberger die letzten Stunden vor Pinochets Machtergreifung. Dieser erste Akt von «Colonia Dignidad» ist jedoch arm an konkreten Fakten über Chiles Politik und daher unnötig langgezogen. Auch die Beziehung zwischen Daniel und Lena bleibt oberflächlich: Brühl und Watson tollen lächelnd vor der der Kamera, die sie in kräftig-kitschigen Farbtönen einfängt, und Brühls Rolle darf obendrein ein paar politische Parolen von sich geben. Trotz der für diesen Einstieg in die Geschichte freigeräumten, stattlichen Laufzeit bleiben diese Figuren zunächst Abziehbilder und ihre Liebe zueinander ein im Skript geäußerter Umstand – im Gegensatz zu einer spürbaren Bindung.

Wenn Lena für Daniel das Undenkbare tut und sich Schäfers Sekte anschließt, so ist das ein Entschluss, den der Betrachter einfach schlucken muss. Große Spannung will (trotz nun karger, ausgebleichter Farbästhetik) angesichts der bis dahin flach skizzierten Figuren allerdings kaum aufkommen. Auch sobald Gallenberger die Gangart seiner Regiearbeit ändert und «Colonia Dignidad» vorübergehend zum Paranoiathriller mutieren lässt, bleibt das Spannungsniveau überschaubar: Die Filmmusik von André Dziezuk und Fernando Velázquez wummert und quäkt sich so überdramatisch durch die Szenen, in denen Lena mit großen, alles aufsaugenden Augen durch die Kolonie stapft, dass durch die übertriebenen Suspenseklänge kein glaubwürdiges Flair aufkommen will. Der Handlungsstrang um Daniel, der sich nach ausgiebiger Folter dumm stellt, um endlich verschont zu werden, ist eingangs ebenfalls sehr dick aufgetragen. Erst, sobald die Gemeinschaft Daniels Präsenz ungefragt hinnimmt, werden die Szenen rund um Brühl reizvoller: Der deutsche Kinostar kann in diesen späteren Sequenzen seiner Figur zusätzliche Facetten verleihen, indem er die Maskerade Daniels mal nachdrücklicher durchzieht, mal völlig selbstbewusst drosselt oder aus Nachlässigkeit fallen lässt.

Auch Watsons Sequenzen profitieren davon, wenn Gallenberger nicht weiter den Psychothriller-Aspekt der Geschichte forciert: Nachdem Lena gedrillt wurde, die Regeln der Sekte zu befolgen, entwickelt das Drehbuch kleinere moralische Zwickmühlen, in welche die Stewardess tappt. So muss sie nicht nur sich selbst beschützen und argwöhnische Sektenmitglieder austricksen, sondern obendrein ein Auge auf freundlichere Leidensgenossinnen halten – Vorhaben, die sich nicht immer vertragen. Diese Herausforderungen Lenas sorgen dafür, dass die «Harry Potter»-Nebendarstellerin nicht länger vom gebotenen Material unterfordert wird und mimisch endlich auftaut.

Der qualitative Aufwärtstrend von «Colonia Dignidad» setzt sich im Schlussakt fort, der den Fluchtversuch der beiden Protagonisten schildert. Neben einer beklemmend gefilmten Szene in einem überfluteten Tunnel umfasst das letzte Drittel des Films auch eine packende Verfolgungsjagd, in der Cutter Hansjörg Weißbrich hocheffektiv zwischen den Gejagten und den Jägern hin und her schneidet. Die realen politischen Verwicklungen bleiben bei diesem Pulsschlagfinale zwar bedauerlicherweise ominös, trotzdem reißt das Auf und Ab der Heldenfiguren mit und entschädigt zumindest teilweise für den mageren Auftakt dieses Thrillerdramas, das «Verblendung»-Hauptdarsteller Michael Nyqvist in seiner bislang schmierigsten Rolle zeigt: Als Sektenführer Schäfer, der sich im um ihn zelebrierten Kult suhlt, ist ein selbstgefälliger, schleimiger Sadist, der sich (vergeblich) wie ein erzkonservativer, ruhiger Bürger zu geben versucht. Ein Bond-Schurke im Kostüm eines Kaffeefahrten-Dauerkunden – eine beeindruckende, wenngleich für ein Historiendrama etwas aufgesetzte Performance. Trotzdem stellt Nyqvist in all seinen Szenen einen wandelnden Extraschuss Spannung dar, den «Colonia Dignidad» für rund die Hälfte seiner Laufzeit auch durchaus benötigt.

Fazit: «Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück» ist zugleich ein Historiendrama, das den politischen Kontext seiner Geschichte nur schwach beleuchtet, und ein Thriller, der seine Zeit braucht, um in Gang zu kommen.

«Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück» ist ab dem 18. Februar 2016 in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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