Filmfacts: «The Boy»
- Kinostart: 18. Februar 2016
- Genre: Horror
- FSK: 12
- Laufzeit: 97 Min.
- Musik: Bear McCreary
- Kamera: Daniel Pearl
- Buch: Stacey Menear
- Regie: William Brent Bell
- Darsteller: Lauren Cohan, Rupert Evans, James Russell, Jim Norton, Diane Hardcastle
- OT: The Boy (USA/CN/CA 2016)
Kennen Sie Brahms? Brahms ist der achtjährige Sohn von Mr. und Mrs. Heelshire (Jim Norton und Diana Hardcastle) und er fordert ganz besonders liebevolle Aufmerksamkeit und Zuwendung. Die soll er künftig von der jungen Amerikanerin Greta (Lauren Cohan) erhalten, die als seine neue Nanny einen strikten Regelkatalog erhält. Aber auch der kann sie nicht ansatzweise auf das vorbereiten, was sie bei Arbeitsantritt im pittoresken Herrenhaus wirklich erwartet: Brahms ist eine Porzellanpuppe! Was Greta zunächst für einen grausamen Scherz hält, lässt nach Verletzung einiger Regeln jedoch nur einen Schluss zu: Die Puppe führt ein furchteinflößendes Eigenleben…
Es ist unglaublich interessant, wie sich «The Boy» und der dazugehörige Indie-Verleih Capelight Pictures («Enemy», «Der Babadook») die Erwartungshaltung des Publikums zunutze machen, um ganz allein daran ihre Werbekampagne aufzuziehen. Da das Ganze aber auch nur so funktioniert und sich die Auflösung samt Plottwist so nur umso mehr entfaltet, nähern wir uns dem Grundkonzept des Films aus der Sicht eines ahnungslosen Kinobesuchers. «The Boy» vereint die klassischen Elemente des guten, alten Haunted-House-Horrors mit Einwürfen diverser Subgenres, die in ihrer Form so zwar alle bekannt sind, jedoch nie den Eindruck erwecken, lediglich aus Hommage-Zwecken in die Story integriert worden zu sein. Die Ahnung, Regisseur William Brent Bell («Devil Inside») würde sich der Einfachheit halber an Klischees bedienen, ist falsch. Im Gegenteil. Es geht dem Horrorexperten, der unter anderem auch «Wer» und «Stay Alive» inszenierte, nicht um billige Jumpscares, deren Aufkommen sich mithilfe von abgedroschenen Inszenierungsmomenten am besten konstruieren ließen. Stattdessen weiß der Filmemacher um die Wirkungskraft ganz bestimmter Darstellungen (altes Haus, einsames Mädchen, merkwürdige Haushälter) und kreiert hieraus eine altmodisch-schaurige Atmosphäre. Das ist nicht innovativ, hat aufgrund der Wertigkeit innerhalb der einzelnen Bausteine aber eine große Wirkungskraft.
Brent Bell lässt sich zu Beginn von «The Boy» sehr viel Zeit, um seine Protagonistin Greta zu etablieren. «The Walking Dead»-Star Lauren Cohen macht in ihrer ersten großen Kinorolle eine sehr gute Figur und verleiht ihrem Charakter eine Bodenständigkeit, gepaart mit Intelligenz. Greta erfüllt nicht den Zweck des dummen Naivchens. Stattdessen nimmt sie die unheimlichen Geschehnisse um sich herum bewusst wahr und versucht ihnen mit logischen Schlussfolgerungen auf den Grund zu gehen. An ihrer Seite agiert Rupert Evans («The Man in the High Castle»), der nicht weniger nüchtern an die Sache rangeht, sich und seiner Freundin jedoch irgendwann zugestehen muss, dass hinter den dicken Mauern des Gebäudes Unheimliches vor sich geht. Für besonderes Aufsehen sorgen obendrein Jim Norton («Wasser für die Elefanten») und Diana Hardcastle («Best Exotic Marigold Hotel 2»), die einerseits eine respekteinflößende Würde ausstrahlen, auf der anderen Seite aber so undurchsichtig wirken, dass sich durch die Kollision dieser beiden Charakterzüge nur schwer einordnen lässt, womit man es als Zuschauer hier zu tun hat. Weitere wichtige Figuren gibt es in «The Boy» derweil nicht. Der Gothik-Grusler präsentiert sich als Kammerspiel, in welchem die vier Wände der Villa nur im Rahmen von Rückblenden verlassen werden.
Das Besondere an «The Boy» ist die zurückhaltende Erzählweise. Nach der langen Einführung der Figuren braucht das Szenario um die (wirklich sehr unheimlich aussehende!) Puppe Brahms, bei der man von Anfang an ahnt, dass hinter deren Herkunft irgendeine besondere Geschichte steckt, erneut eine ganze Weile, um zu eskalieren. Es sind kleine Gesten, mit denen der Film besticht, aber auch, mit denen der Protagonistin Greta Angst und Bange wird. Da stehen plötzlich verloren geglaubte Schuhe vor ihrer Zimmertür, die Puppe verändert wie von Geisterhand ihre Sitzposition und als Greta unter der Dusche ist, verschwindet ihr vorab auf dem Waschbecken abgelegtes Kleid. Inszeniert werden all diese Geschehnisse fast beiläufig. Bedrohlich anschwellende Musik oder aggressive Kameraschwenks: Fehlanzeige.
Doch es ist gerade diese subversive Bedrohung, durch die «The Boy» seine Faszination entwickelt. Als schneller Adrenalinkick funktioniert der Film dadurch allerdings nur bedingt. Stattdessen hat er den Wert einer klassischen Gruselmär im Stile von «Die Frau in Schwarz» oder «Crimson Peak», die vorzugsweise durch die Geschichte und die dazugehörige Ausstattung betören. Einzig das Finale von «The Boy», das sich von seinem in Brutalität und Tempo deutlich vom Rest des Filmes abhebenden Tonfall stark vom Rest unterscheidet, schmälert den Eindruck des sonst so runden, filmischen Gesamtbildes.
Fazit: «The Boy» ist ein klassisches Schauermärchen, das den Zuschauer vor allem aufgrund der fehlgeleiteten Erwartungshaltung überraschen wird. Im Finale muss die vorab aufgebaute Atmosphäre leider einigen billigen Schockmomenten weichen, die obendrein rückblickend das logische Konzept des Filmes infrage stellen.
«The Boy» ist ab dem 18. Februar bundesweit in den Kinos zu sehen.
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