Die Kritiker

«Helen Dorn – Gefahr im Verzug»

von

Neue Produktionsfirma, kein fester Arbeitskollege mehr, dafür ein intensiverer Blick aufs Privatleben der Heldin: «Helen Dorn» erfindet sich neu.

Cast und Crew

  • Regie: Alexander Dierbach
  • Darsteller: Murathan Muslu, Adnan Maral, Rainer Strecker, Pegah Ferydoni
  • Drehbuch: Mathias Schelting
  • Kamera: Markus Schott
  • Szenenbild: Thomas Franz
  • Schnitt: Janina Gerkens
  • Musik: Sebastian Pille
Seit Anfang 2015 ist sie nicht mehr ganz allein in der deutschen Fernsehlandschaft: Mit der von Melika Foroutan verkörperten Louise Boni aus der ARD-Krimireihe «Begierde» hat Helen Dorn Gesellschaft in der bislang so überschaubaren Riege der unterkühlten, deutschen Fernsehermittlerinnen bekommen. Dafür ist die unnahbare ZDF-Ordnungshüterin in anderer Hinsicht etwas einsamer geworden: Nachdem sie bislang an der Seite von Gregor Georgi (Matthias Matschke) das Verbrechen bekämpft hat, schlägt sich Helen Dorn fortan alleine durch. Laut Hauptdarstellerin Anna Loos möchte die Redaktion somit die mürrische, melancholische und einzelgängerische Seite der Titelfigur stärker unterstreichen und sie stärker von anderen Krimi-Figuren abheben. Dieser Schritt, der Dorn noch mehr in die Moll-Tonart verfallen lässt, wird vom «Helen Dorn»-Team allerdings auch ausgeglichen: Wie Loos im Quotenmeter.de-Interview erläuterte, gehört es zum Langzeitplan der Macher, dem Publikum diese verschlossene, einsame Figur schrittweise näher zu bringen – ohne ihre grantige Fassade einzureißen.

Dieser Prozess beginnt mit dem fünften Eintrag in die ZDF-Krimireihe: Helen Dorn macht nachts eine Zufallsbekanntschaft, mit der sie einen One-Night-Stand wagt. Für Helen hat sich die Liaison nach dem Sex erledigt, doch Adrian (Marcus Mittermeier) klammert. Dass die LKA-Beamtin ihre Geldbörse bei ihm vergessen hat, betrachtet er als Zeichen Helens, ihn wiedersehen zu wollen. Leicht genervt willigt sie einem erneuten Treffen ein. Am vereinbarten Treffpunkt kommt es kurz nach Helens Ankunft allerdings zu einem Bombenanschlag, der fünf Menschen das Leben kostet.

Während sich Helen Dorns Kollegen auf Anhieb in die Theorie verbeißen, dass ein stadtbekannter Islamist hinter der Tat steckt, verdächtigt die ins Krankenhaus eingelieferte Einzelgängerin ihre Sexbekanntschaft. Deren Verhalten kommt Helen im Rückblick nämlich sehr kurios vor. Darüber hinaus stolpert Helen Dorn über den Fakt, dass der ehemalige Zivilfahnder Kowalski zu den Opfern gehört. Dieser hat den libanesischen Dealer und Mörder Khalid (Murathan Muslu) mehrmals im Knast besucht. Das ruft Kowalskis früheren Kollegen Mertens (Armin Rohde) auf den Plan …

Von einem sogenannten „Soft Reboot“ zu sprechen, ist womöglich übertrieben. Trotzdem ruht sehr viel auf den Schultern des Drehbuchautors Mathias Schnelting, dessen Skript nicht nur einen verschachtelt erzählten Kriminalfall umfasst sowie Helen Dorns flüchtige Sehnsucht nach menschlicher Nähe. Der Neunzigminüter positioniert zudem die «Helen Dorn»-Reihe neu, indem das bodenständig-trockene Geplänkel zwischen Dorn und Georgi wegfällt und der Schleier um Dorns Familiengeschichte ein Stück weit gelüftet wird. Die Düsseldorferin verlor ihre Mutter, als sie noch ein kleines Kind war, und versackt zu Beginn des Fernsehfilms in einer Kneipe: Sie feiert ganz allein im Gedenken an ihre Mutter deren Geburtstag und kippt einen Schnaps nach dem anderen.

Schnelting gelingt es zwar nicht, sämtliche Aspekte der Handlung zur vollen Entfaltung zu bringen, dafür ist die Geschichte dann doch zu überfrachtet. Ein Zweistünder wäre bei diesem Material eher angebracht gewesen, aber dafür sind öffentlich-rechtliche Fernsehfilme zu sehr in ein Laufzeitschema gepresst. Allerdings ist Schneltings Dialogbuch effizient und der Menge an emotionalen Schauplätzen zum Trotz mit einer geschliffenen Dramaturgie versehen, so dass die zahlreichen untergeordneten Themen (Verletzung, Rache, Vertuschung, Terrorismus, Drogenkriege, zerrütteter Familienfrieden) bequem unter einen Hut passen: Schnelting bemüht sich redlich, die diversen Subplots zu einer einzigen Geschichte zusammenzuführen. Es ist ein Krimi über Verlust, und dank der fähigen Gastdarsteller entwickelt diese Story anstelle der mäßigen Suspense eine überzeugende, dramatische Charakterdynamik. Vor allem Armin Rohde als zarter Kerl mit großem Durchsetzungsvermögen, Adnan Maral als eifriger Mann vom Staatsschutz und ein taffer Murathan Muslu verleihen dem sehr zügig erzählten Stoff ordentlich Pepp.

Regisseur Alexander Dierbach («Tannbach – Schicksal eines Dorfes») fängt das Geschehen in rauen Bildern ein und läuft vor allem zu Hochform auf, wann immer es gilt, Außenszenen umzusetzen. Mit Plattenbauten, schmalen Gassen und verdreckten Straßenzügen eine schmuddelige Atmosphäre zu erzeugen, mag ein Leichtes sein. Aber Dierbach fängt diese unansprechenden Großstadt-Ecken mit Raffinesse ein und mit scharfem Auge – dass er auch den bereits abgedrehten Fall «Helen Dorn – Die falsche Zeugin» inszeniert hat, stimmt sehr optimistisch. Die dezent erneuerte Helen Dorn ist vielversprechend!

«Helen Dorn – Gefahr im Verzug» ist am 5. März 2016 ab 20.15 Uhr im ZDF zu sehen.

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