Die Kritiker

«Tatort: Die Geschichte vom bösen Friederich»

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In Frankfurt wütet der böse Friedrich: Der neue «Tatort» aus Hessen ist spannend, obwohl der Täter von Anfang an feststeht.

Hinter den Kulissen

  • Regie: Hermine Huntgeburth
  • Darsteller: Margarita Broich, Wolfram Koch, Nicholas Ofczarek, Ursina Lardi, Roeland Wiesnekker, Sabin Tambrea, Zazie de Paris, Katja Danowski
  • Drehbuch: Volker Einrauch
  • Kamera: Sebastian Edschmid
  • Schnitt: Silke Franken
  • Musik: Christine Aufderhaar
Das ARD-«Tatort»-Koordinationsbüro pfeift auf Abwechslung. Ob aus Nachlässigkeit, Desinteresse oder ganz gezielt, um zwei Wochen hintereinander das Publikum direkt nach dem Vorspann mit geballtem Schall anzufixen: Nur sieben Tage nach einem Fall aus Bayern, der wie ein Musikvideo eröffnete, geht es auch in Frankfurt mit musikalischer Gewalt los. Dieses Mal mit brachialem Rammstein-Sound und entsprechend harten, schnellen Schnitten. Daraufhin entschleunigt der erste «Tatort» von Regisseurin Hermine Huntgeburths aber drastisch und geht sowohl strukturell als auch inszenatorisch alltäglichere Wege als der Neunzigminüter der Vorwoche. Aber selbst wenn der HR-Krimi nicht so experimentierfreudig ausgefallen ist, so besticht er sehr wohl mit überdurchschnittlich hoher Qualität und präsentiert sich als mehrdimensionales Psychogramm eines Mörders …

Fast 20 Jahre lang saß Alexander Nolte (Nicholas Ofczarek) im Gefängnis. Er wurde wegen Mordes an seiner depressiven Freundin verurteilt, darf nun aber aufgrund guter Führung in die Freiheit zurück. Mit einer Stelle beim Zahnarzt Roland Burmeister (Sabin Tambrea) findet er auch rasch einen annehmbaren Job, und auch Alexanders Liebesleben nimmt eine für ihn zufriedenstellende Wende: Er beginnt ein Verhältnis mit seiner Therapeutin Helene Kaufmann (Ursina Lardi). Eines Nachts tickt er bei einem Spaziergang aber völlig durch und ersticht einen Obdachlosen (Manuel Harder), der ihn um ein paar Kröten anbettelt.

Nun machen sich die Frankfurter Hauptkommissare Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) auf die Suche nach dem Flüchtigen. Gerade Anna hat großes Interesse daran, Alexander dingfest zu machen, schließlich hat sie schon einmal Bekanntschaft mit ihm gemacht: Sie war es, die ihm damals, als sie noch Kriminalpsychologin war, eine narzisstische Persönlichkeitsstörung sowie ein unbändiges Verlangen nach Destruktion attestierte. Und nun sucht er sie wieder heim, was sie und ihren Kollegen über die Regeln ihres Chefs Henning Riefenstahl (Roeland Wiesnekker) hinwegsehen lässt …

Das «Tatort»-Debüt der mehrfach preisgekrönten «Der weiße Massai»-Regisseurin Hermine Huntgeburth ist zugleich lediglich der zweite von einer Frau inszenierte «Tatort» im bisherigen Jahr – eine eher betrübliche Statistik. Das Erste startete 2015 zwar eine Initiative, um hinter den Kulissen seiner TV-Filme den Frauenanteil zu erhöhen, bis diese Früchte trägt, dauert es allerdings ganz offensichtlich noch etwas. Bedauerlich. Nicht nur aus Fairnessgründen, sondern auch, weil Deutschland einige sehr fähige Regisseurinnen zu bieten hat, die gerne Huntgeburths Beispiel folgen dürfen. Die Grimme-Preisträgerin erweckt diese Geschichte gemeinsam mit Kameramann Sebastian Edschmid in Erdtönen zum Leben, wahrt genügend Abstand zu den Figuren, um keine „Mittendrin, statt nur dabei“-Story zu erzählen, heftet sich aber nah genug an ihre Gesichter, um Nähe und Intimität zu vermitteln. Das Publikum wird also nicht in den Killer versetzt, und auch nicht in die Ermittler, ist aber sehr wohl in einer sehr genauen Beobachterposition.

Damit unterstreicht die Regisseurin die Eigenschaften des Drehbuchs: Autor Volker Einrauch verzichtet auf eine Motivzeichnung, lässt Alexander Nolte mit irrationaler Mordlust durch die Welt streifen. Was Einrauch («Teufelsbraten») interessiert, ist nicht das „Warum?“, sondern primär das „Wie?“: Er skizziert die psychologischen Macken des Cholerikers detailliert, gibt ihm eine gespielt freundliche Oberfläche und einen mit sich selbst kämpfenden, widersprüchlichen wahren Charakter. Der hauptsächlich für seine Theaterengagemente bekannte Nicholas Ofczarek brilliert in dieser Rolle, macht den freundlichen Verführer ebenso glaubwürdig, wie den egomanischen Selbstunterhalter mit Blutlust und den nachtragenden, wortgewandten Mann fieser Bedrohungen. Während Koch von diesem Neunzigminüter wenig gefordert wird, läuft Margarita Broich dank der unter die Haut gehenden, von Angesicht zu Angesicht abgehaltenen Unterredungen mit dem Mörder zu Hochform auf, und auch Ursina Lardi darf ihrer Rolle glaubwürdige Ecken und Kanten verleihen. Vermengt mit der von Rammstein über Mozart hin zu an Hitchcock-Filmmusik erinnernden Stakkato-Streichern reichenden Musikuntermalung ergibt dies einen dichten, kaum Leerlauf aufweisenden, smarten «Tatort», der das „Wer war es Schema?“ für ein „Wie weit kommt es?“ aufbricht.

Fazit: Gut gespielt, stimmig inszeniert und trotz mangelnder „Wer ist der Täter?“-Frage spannend!

«Tatort: Die Geschichte vom bösen Friederich» ist am 10. April 2016 ab 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.

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