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Sensation! Wie das ZDF mit «heute» auf den Spuren der Privaten wandelt

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Wie präsentieren uns die großen Sender die wichtigsten Nachrichten? Wer setzt in seinen begleitenden Texten besonders auf Drama und Emotion? Ein Student aus Rheinland-Pfalz hat das erforscht – und ist zu einem ziemlich überraschenden Ergebnis gekommen.

Quotencheck

Wie in jedem Jahr haben wir auch diesmal wieder alle Nachrichten-Quoten des Jahres 2015 im großen News-Check ermittelt. Wer 2015 Zuschauer verlor und wer welche gewann, lesen Sie hier!
Emotionen, Dramatik, schnelle Schnitte – für werbefinanzierte Sender sind das längst Stilmittel, an die sich das Publikum gewöhnt hat. Serien – egal ob abends oder nachmittags – strotzen nur so vor Schauwerten – irgendwie muss alles edgy wirken. Die Sprache spielt dabei eine wichtige Rolle. Welche Ansprache wird gewählt, wie der Zuschauer in den Bann gezogen? Das gilt auch für eine der Kernaufgaben der großen deutschen Sender: Der Nachrichtenvermittlung. Benjamin Grau, Student der Kommunikationswissenschaften an der Uni Koblenz-Landau in Rheinland-Pfalz hat sich in den vergangenen Monaten so intensiv wie kaum ein anderer in Deutschland mit dem Sprachgebrauch in deutschen Nachrichtensendungen befasst. Seine Forschung beruht auf Basis von insgesamt 20 Überthemen, die in den großen Hauptnachrichten der wichtigen deutschen Sender im Zeitraum 2014/2015 behandelt wurden.

Seine Kernfrage war: Gilt noch die angenommene Unterscheidung zwischen den strikt seriösen Nachrichten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und der klassisch sensationell angehauchten Aufmachung bei den Privaten? „Man kann zunächst auf Basis der theoretischen Hintergründe davon ausgehen, dass die privaten Sender, die sich über Werbung finanzieren, stärker in den Sensationismus verfallen, weil sich dieser besonders gut eignet, um die Zuschauer bei der Stange zu halten“, erklärt der 29-Jährige seine zu Grunde liegende Vermutung. „Je sensationeller die Sprache, desto emotional-aufrüttelnder sind auch die transportierten Geschichten“, meint er.

Betrachtet wurden also diverse Themen aus Wirtschaft, Politik und anderen Ressorts, die an den jeweiligen Tagen von allen vier großen Sendergruppen behandelt wurden. Untersucht wurden die gewählten Worte in der Anmoderation und auch während einer MAZ. Nicht gewertet wurden Superlative von externen Akteuren, etwa wenn sich ein Politiker in solcher Form in einem Beitrag zu Wort gemeldet hat. Grau erstellte eine Art Codebuch nach der von Ulrike Dulinski aufgeführten Definition von Sensationalismus. Diese stammt ursprünglich aus ihrem Beitrag „Sensation für Millionen“, welcher in dem von Ganguin und Sander 2006 veröffentlichten Werk „Sensation, Skurrilität und Tabus in den Medien“ erschien. Kriterium für die Aufnahme von lexikalischen Stilmitteln in das Codebuch war insbesondere die Herstellung einer Verbindung zu den zentralen Begriffen reißerisch-plakativ, Einfachheit, Emotionalität, verzerrt, dekontextualisiert sowie melodramatisch. Auch Redewendungen oder Alliterationen, Reime oder Metaphern wurden in das Codebuch aufgenommen. Unter Berücksichtigung der genauen Länge der einzelnen Sendungen wurde am Ende ein Sensationalismus-Index erstellt.

Die erste Erkenntnis von Grau überrascht dabei nicht unbedingt. Weiterhin ist es so, dass die 20-Uhr-«Tagesschau» den geringsten Wert an Sensationalismen aufweist. So kam das Nachrichtenflaggschiff des Ersten schlechthin auf 127 erfasste Stilmittel – fast drei Viertel davon so genannte Lexical Intensifier (also nicht zwingend notwendige Füllworte wie „bewegende“ Trauerfeier). Dieses Ergebnis traf noch die im Vorfeld aufgestellte Hypothese des Studenten. Im weiteren vermutete er aber eine klare Dominanz von RTL und Sat.1 in diesem Punkt. Diese aber trat nur bedingt auf. Mit 196 erfassten Stilmitteln führte zwar in der Tat RTL (der Sender verwendet die meisten Redewendungen/Sprichwörter), liegt aber nur knapp vor den 19-Uhr-«heute»-Nachrichten des ZDF mit 180 registrierten Stilmitteln. Die «Sat.1 Nachrichten» liegen dagegen mit 151 codierten Einheiten deutlich dahinter – und haben in Sachen Lexical Intensifier sogar die gleiche Anzahl (89) wie die «Tagesschau». Allerdings muss berücksichtigt werden, dass die hier abgebildeten Werte noch nicht mit den jeweiligen Transkriptlängen gewichtet wurden und daher in ihrer Aussagekraft hinsichtlich des Sensationsgehaltes beschränkt sind.

Kontakt zum Forscher

Wer sich noch genauer mit den Forschungsergebnissen von Benjamin Grau auseinandersetzen möchte, kann mit ihm direkt Kontakt aufnehmen. Er ist erreichbar unter der Mail-Adresse: benjamingrau'ÄT'gmx.net
Erst nach Einberechnung der Transkript-Längen ergibt sich also ein deutliches Bild. Die jeweiligen Transkripte wiesen dabei erhebliche Unterschiede auf: von 39 bis hin zu 275 Wörtern. Entsprechend entstand ein so genannter Sensationalismus-Score, der die «Tagesschau» mit dem erwartet niedrigsten Wert (67,8) auszeichnete. „Die «Tagesschau» ist also erwartungsgemäß immer noch das Flagschiff an Objektivität“, erklärt Grau gegenüber Quotenmeter.de. „Jedoch kann ihr nicht gänzlich der Versuch abgesprochen werden, auf emotionalisierende und stilistisch aufwertende Praktiken zurück zu greifen“, ergänzt er. Im Vergleich zum ebenfalls öffentlich-rechtlichen Format der ZDF-«heute»-Sendung, welche auf einen Wert von 102,8 kam, ist ihr Summenscore um rund 35 Prozent geringer.

Die «Sat.1 Nachrichten» folgen dahinter mit einem Score von 90,8 – sie liegen damit fast gleichauf mit den Hauptnachrichten von RTL, «RTL Aktuell», die auf einen Score von 94,6 kommen. Spitzenreiter – und das überrascht – sind in Sachen Sensationsgehalt inzwischen also die «heute»-Nachrichten des Zweiten. „Wenngleich eine solch extreme Ausprägung auf Basis der theoretischen Hintergründe nicht zu erwarten war, deuten vereinzelte empirische Beiträge auf eine solche Entwicklung hin“, meint Grau und verweist dabei auf Fachliteratur, wie etwa die Arbeit von Jacob Leidenberger mit dem Titel „Boulevardisierung von Fernsehnachrichten“ aus dem Jahr 2015. Der starke Wettbewerb um Zuschauerquoten habe solche Boulevardisierungstendenzen zur Folge. Einschränkend sei jedoch angemerkt, so Grau, dass zeitlich wiederholte Analysen dieser Art notwendig wären um zu ermitteln, ob die dargestellte Situation lediglich eine Momentaufnahme oder doch bereits einen konstanten Trend abbildet.

Noch höher werde dieser Wert vermutlich, so Grau, würde man auch kleinere Nachrichtensendungen, etwa die von RTL II, mit einbeziehen. Einen Vorwurf will Grau den Machern für ihre gewählten Ansätze dabei nicht machen. Auch ihm ist klar, dass ein Sender mit derart jungen Publikum wie RTL II eine solche Anspracheform wählen muss, um seine Zuschauer überhaupt für Nachrichtliches zu interessieren. „Man muss überlegen, wo entsprechende Rezipienten sonst Nachrichten konsumieren würden. Vermutlich nicht bei ARD oder ZDF,“ meint Grau. „Da ist es mir lieber, dass jene Zielgruppe überhaupt irgendetwas über den Krieg in Syrien erfährt“, erklärt er, nicht aber ohne den Rezipienten an sich in die Pflicht zu nehmen. „Jeder ist selbst für seine konsumierten Inhalte und damit in besonderem Maße für seine eigene Bildung verantwortlich. Die Bereitschaft zum kritischen Reflektieren sollte da sein“, mahnt er.

Generell aber bezeichnet der Student die Qualität der deutschen Fernsehnachrichten – auch im Vergleich mit ausländischen Sendungen – als hoch. Auch aktuelle Vorwürfe, die in Richtung Lügenpresse gehen, seien entsprechend nicht zu halten. „In Deutschland haben wir kaum den sehr boulevardesken Ansatz, den man in Großbrtannien oder Amerika oft erlebt“, erklärt er. Besonders positiv sei, dass die deutschen Nachrichten eine große Bandbreite an Themen abhandeln und zudem immer auch bemüht sind, viele Standpunkte zu hören.

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