Die Kino-Kritiker

«Visions»

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In den USA ging's für «Visions» trotz Starbesetzung direkt zu Netflix. Tut sich Warner einen Gefallen damit, den Horrorfilm hierzulande trotzdem in die Kinos zu bringen?

Filmfacts: «Visions»

  • Kinostart: 21. April 2016
  • Genre: Horror
  • FSK: 16
  • Laufzeit: 82 Min.
  • Kamera: Michael Fimognari
  • Musik: Anton Sanko
  • Buch: L.D. Goffigan, Lucas Sussman
  • Regie: Kevin Greutert
  • Darsteller: Isla Fisher, Anson Mount, Jim Parsons, Gillian Jacobs, Eva Longoria, Joanna Cassidy, Michael Villar
  • OT: Visions (USA 2016)
In den USA hat es Kevin Greuterts Horrorthriller «Visions» trotz namhafter Besetzung nicht in die Kinos geschafft. Dort ist der von Jason Blum («The Purge») produzierte Schocker direkt auf das Streamingportal Netflix gewandert. Das ist kein gutes Omen. Bei dem Starensemble, das sich mit Isla Fisher («Der große Gatsby»), Anson Mount («Hell On Wheels»), Jim Parsons («The Big Bang Theory»), Gillian Jacobs («Community») und Eva Longoria («Desperate Housewives») definitiv sehen lassen kann, sollte eine Kinoauswertung eigentlich selbstverständlich sein. Hierzulande geht Warner das Risiko ein, den von der Kritik so ziemlich überall gescholtenen Film doch auf die große Leinwand zu bringen und hat damit beileibe keinen schlechten Zeitpunkt gewählt. Bevor in wenigen Wochen der immens überhypte «The Witch» in die Kinos kommt und ein Monat später die «Conjuring»-Eskapaden in die zweite Runde gehen, ist noch Platz für «Visions», eine kleinen, unaufgeregte Genrespielerei, die weder auf besonders großen Anspruch setzt, noch mit überbordenden Splattereffekten beeindrucken will, obwohl Kevin Greutert zuletzt gleich zwei von sieben «Saw»-Filmen inszenierte. Stattdessen ist «Visions» vielmehr ein Neunzigerjahre-Gedächtnisthriller, der sichtbar auf den Spuren von «The Others» und «The Sixth Sense» wandelt. Kurzum: Am Ende stellt ein alles umwerfender Twist das Geschehen der letzten 80 Minuten auf den Kopf. Das ist heutzutage nicht mehr bahnbrechend und in der hier dargebrachten Form auch ganz sicher nicht immens innovativ. Aber als „kleiner Schock zwischendurch“ macht «Visions» dann doch überraschend viel Spaß.

Visionen einer Schwangeren


Nach einem schweren Autounfall, bei dem eine Person ums Leben kam, zieht es das Pärchen Eveleigh und David Maddox (Isla Fisher und Anson Mount) auf ein einsam gelegenes Weingut. Hier wollen die beiden Ruhe finden, Kraft tanken und ihr Leben neu ordnen. Wenig später wird Eve schwanger. Ein Wunschkind, das das junge Glück endlich komplett machen soll. Doch der Schein trügt. Schon bald wird Eve von schlimmen Visionen geplagt, die sie vor einer dunklen Bedrohung zu warnen scheinen. Für ihren Mann steht fest, dass Eve von der Situation überfordert ist. Er und ihr Frauenarzt Dr. Mathison (Jim Parsons) raten ihr zu der Einnahme von Psychopharmaka. Doch die werdende Mutter und ihre neue Freundin Sadie (Gillian Jacobs), die sie bei der Schwangerschaftsgymnastik kennenlernt, zweifeln stark daran, dass das die Ursache der Visionen bekämpft. Immer tiefer wird Eve in einen Strudel aus übernatürlichen Phänomenen, Tagträumen und der Angst um das ungeborene Kind hineingezogen, bis sich ihr schließlich viel zu spät offenbart, was tatsächlich dahinter steckt. Es ist ein Geheimnis, das das Leben ihrer gesamten, kleinen Familie bedroht…

«Visions» bedient sich unübersehbar recht einfacher Inszenierungsmechanismen des Grusel-Mysterykinos. Vom durch einen Schicksalsschlag gebeutelten Ehepaar über den Landsitz in der Einöde bis hin zu merkwürdigen Nachbarn und der Sage eines Fluchs, der auf dem Anwesen liegen soll, hakt das Skript von L.D. Goffigan («Hunger») und Lucas Sussman («Teen Wolf») so ziemlich alles ab, was es im Genre abzuhaken gibt. Im Detail finden sich jedoch feine Abwandlungen allzu durchschnittlicher Schemata, durch die «Visions» ein doch nicht ganz so unspektakuläres Seherlebnis wird. Die an Ridley Scotts «Ein gutes Jahr» erinnernde Weitläufigkeit der Weinberge und das Prestige der Winzergemeinschaft beißen sich mit den Gerüchten um eventuelle Voodoo-Verwicklungen der ehemaligen Bewohner. Auch die Tatsache, dass die von Isla Fisher sehr sensible verkörperte Hauptfigur Eve ihre Visionen los ist, sobald sie die von ihrem Arzt empfohlenen Medikamente einnimmt, widersprechen zunächst den Konventionen des Horrorfilms und lassen das Publikum angenehm lange darüber im Unklaren, ob es hier tatsächlich mit übernatürlichen Mächten zugeht, oder ob «Visions» einfach nur den seelischen Verfall einer traumatisierten Frau nachzeichnet. Unter Zuhilfenahme einiger interessanter Nebenfiguren wie einem undurchsichtigen Jim Parsons als Frauenarzt und einer etwas zu engagiert ihrer Freundin zu Hilfe eilenden Gillian Jacobs als neue beste Freundin kreiert «Visions» ein nettes Figurengeflecht, das zu komplexe Verwicklungen scheut und damit eine angenehme Kurzweiligkeit forciert. Einen Namen wie Eva Longoria allerdings bereits früh im Vorspann zu nennen, kommt fast schon einem Betrug am Zuschauer gleich: Ihr (Cameo-)Auftritt beschränkt sich auf etwa 30 Sekunden.

Schocks, die es nicht braucht


Die Auflösung des Geschehens sei an dieser Stelle selbstredend nicht verraten. Doch soviel sei gesagt: Denkt man sich die aller (!) letzte Szene einmal weg, die ein wenig zu aufdringlich in Richtung Sequel schielt (was angesichts der in den USA lediglich auf Netflix stattgefundenen Vermarktung dann doch eher unwahrscheinlich ist), lassen sich die Ereignisse rückblickend tatsächlich weitestgehend logisch nachvollziehen. Natürlich spielt ein übersinnlicher Genrefilm wie «Visions» auf einer ganz eigenen Logikebene. Die Maßstäbe eines klassischen, im Hier und Jetzt verankerten Dramas darf man also auch hier nicht anwenden. Doch die Grenzen der eigens für diesen Film entworfenen Logik halten die Macher weitestgehend ein. Das erweist sich als angenehm, sodass das Miträtseln um die Umstände hier fast so spannend gerät, wie bei einem handelsüblichen Krimi. Dass Kevin Greutert und sein Team die eher ruhige, bodenständige Atmosphäre hier und da mit Jumpscares aufmischen müssen, ist sehr schade. Sie verkaufen «Visions» unter Wert, denn an sich würde die intensive Stimmung als Suspensegenerator ausreichen, um die knackig-kurze Laufzeit von 82 Minuten mit ausreichend Grusel zu versehen.

Ob «Visions» auch einer zweiten Sichtung standhalten würde, darf dann allerdings doch infrage gestellt werden. Immerhin entwickelt der Film seinen Reiz vor allem daraus, dass man die meiste Zeit über zu entschlüsseln versucht, was es mit dem bösen Kapuzenmann, den unheimlichen Geräuschen und den nicht erklärbaren Phänomenen nun tatsächlich auf sich hat. Ist das Geheimnis erst einmal gelüftet, könnte aus «Visions» die Luft raus sein. Als mehrmaliges Seherlebnis taugt der Film daher wohl nur bedingt. Alles in allem überzeugt die Kombination aus übernatürlichem Geisterthriller und in der Realität verwurzeltem Familiendrama um posttraumatische Störungen dann aber doch. Isla Fisher gelingt der Spagat zwischen dem ängstlichen Opfer und der toughen, selbstbestimmten Ehefrau und Bald-Mutter hervorragend, das Setting verhilft «Visions» zu einem eleganten Antlitz, die Schocks verfehlen ihre Wirkung trotz des ewig gleichen Schemas nicht und am Ende wird der Zuschauer mit einer pfiffigen Auflösung belohnt.

Fazit


Trotz anklingender Jump-Scare-Effekthascherei, die es bei der interessanten Geschichte und der wendungsreichen Entwicklung gar nicht gebraucht hätte, ist «Visions» ein ebenso feines wie knackig-kurzweiliges Spukstück auf den Spuren von «The Others» und Co. geworden.

«Visions» ist ab dem 21. April bundesweit in den Kinos zu sehen.

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