Vor Ort

Quotenmeter beim «Tatort» in Kiel: Borowski und die gut geölte Maschine

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Warum rollt man ein riesiges Gemälde in ein Fährterminal? Was ist der Kern eines Kiel-«Tatort» und ist Axel Milberg ähnlich missmutig wie sein Alter Ego Klaus Borowski? Wir waren am Set und haben hingeschaut.

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Die Suche nach dem Kern


Neben Milberg und Kekilli war an diesem Tag auch noch Patrycia Ziółkowska, eine sowohl in Film & TV wie auch am Theater vielbeschäftigte und oft gelobte Darstellerin, mit von der Partie. Für sie zwar der erste Ausflug zum Kieler, jedoch bereits der fünfte zum «Tatort» insgesamt.

Ziółkowska spielt Sabine Heidhäuser, die Mutter der Julia. Wie sie selber sagte, war die Figur der Mutter „nur mit wenigen Strichen skizziert worden, so dass man schauen musste, wie man das, was dieser Familie passiert, sichtbar machen kann. Warum driftet das so ab? Welcher emotionale Brennstoff befeuert die Zustände dieser Menschen und führt zu deren Entfremdung voneinander, wie verlieren die Menschen die Wahrnehmung füreinander, wie kann das durch ein extremes Ereignis im Leben geschehen? Und was kann das sein? Es ist auch eine Suche nach ersten Rissen in einer zunächst intakten gutbürgerlichen Familienkonstellation."

Die Schauspielerin fand die Gründe in der „Lücke des Todes des Vaters. Diese war in der Familie nicht zu schließen. Die Tochter sucht die Schuld bei der Mutter. Etwas Zerstörerisches entsteht, was deren Beziehung sukzessive auffrisst. Eine wahnsinnig schwere Situation für eine alleinerziehende Mutter, die versucht, alles zusammenzuhalten und dabei die Verbindung zu ihrer Tochter verliert. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass so etwas leicht passieren kann, auch unabhängig davon in welchen Familienverhältnissen man aufwächst, ob in ärmeren oder wohlhabenden. Plötzlich erkennt man die eigenen Kinder nicht wieder, begreift gar nicht mehr in welchem Milieu sie sich bewegen."

Diese emotionale Grundierung nahm die Darstellerin auf Basis des Drehbuchs vor, schloss Lücken und erfand ein Figurenpuzzle, um das Innenleben der Mutter auszuleuchten und darstellen zu können. Gut, wenn man Darsteller findet, die diese inneren Prozesse ihrer Charaktere auch verstehen wollen. Sehr interessante Einblicke in das Schauspielhandwerk. Schade, dass Frau Ziółkowska dann zur Probe gerufen wurde.

Doch ergab sich bereits das nächste Gespräch. Vielleicht war es reine Höflichkeit, vielleicht aber auch schlicht ein gewisser Draht, der Axel Milberg auch in der Folgezeit veranlasste, seine Pausen zum weiteren Gedankenaustausch mit unserem Redakteur zu verwenden. In jedem Fall bot sich so die Gelegenheit, einige Themen noch weiter zu vertiefen. Da er sich offenbar bestens mit der Arbeit Quotenmeter auskennt, sprach er ein wenig über die Macht der Quote und deren Einordnung.

„Das Erfüllen eines Massengeschmacks, als etwas worum man sich zu bemühen hat, ist mir fremd. Ulrich Tukur geht sogar so weit: Wenn man eine gute Quote hat, hat man irgendetwas falsch gemacht“. Letzteres sagte er, der von guten Quoten bekanntermaßen nicht gemieden wird, jedoch natürlich mit einem Schmunzeln. Erfreulicherweise hat Herr Milberg den Eindruck, dass Quotenmeter aber eben nicht rein dieser Logik folgt, sondern innerhalb der sicherlich relevanten Frage nach der Quote auch immer die Qualitätsfrage stellt und es sich auch erlaubt, etwas als gut zu bezeichnen, was aus Quotensicht gar nicht gut sein dürfe – und vice versa. Ein schönes und aufrichtiges lob für die Kolleginnen und Kollegen unserer Redaktion.

„Ist doch klar, Qualität und Quote gehen durchaus zusammen. Unser Glück ist, dass der Kiel-Tatort derart erfolgreich und dennoch nicht marktschreierisch ist.“ Milberg kann sich so äußern, weil er es nicht nötig hat, „neidvoll nach Etats zu schielen. Einem gebeutelten Kulturredakteur fällt das schon deutlich schwerer.“

Seine eigene kleine BR-Sendung «Mit Milbergs im Museum» sieht er ganz in der Tradition dieses Denkens verhaftet. Gemeinsam mit seiner Frau besucht er Museen, in denen er eine Art Blind Date mit einem Gemälde erlebt. Seine Frau „als Kunsthistorikerin ist dann diejenige, die sich bestens auskennt“ - er ist „der Dödel, der gar keine Ahnung hat“. Für derart spannende Projekte kämpft Milberg, für Dinge „für die es eigentlich gar kein Budget gibt“.

Kieler Wetter, laute Koffer & donnernde LKW


Beim Dreh der zweiten Szene des Tages, einer Unterhaltung zwischen Borowski, Brandt und der Mutter des Mädchens, kamen dann auch endlich die Komparsen des Tages großflächig zum Einsatz – die insgesamt zehn Laiendarsteller wurden diesmal von der Agentur Komparsenfischer gestellt und sollten das laufende Boarding des Schiffes im Hintergrund lebendiger gestalten.

In dieser Szene, die mehr Bewegung und Text enthält und vom ganzen Team eine Menge Koordination erforderte, ging natürlich auch einmal etwas schief. Statisten blieben einfach im Hintergrund stehen und schauten sich verwirrt um, Laufwege wurden nicht eingehalten und ungeplante Textimprovisationen seitens der Hauptdarsteller führten zu weiteren Durchläufen.

Auch das sich ständig ändernde Wetter sorgte für Probleme: Die Kameracrew tauschte Filter, beobachtete die Wolken und versuchte alles so gut es geht an die vorigen Aufnahmen anzupassen. Doch auch in Sachen Geräuschkulisse war diese Szene nicht ganz ohne: Unten donnerten LKW vorbei und die Koffer und Schuhe der Komparsen auf der Gangway übertönten die Dialoge – die clevere Lösung: Die Passagiere mussten ihre Koffer ins Schiff tragen. Darauf sollte man in der fertigen Szene später im TV definitiv achten. Eine Horde Menschen, die Koffer mit Rollen tragen, anstatt sie zu ziehen.

Doch auch Regisseur Ley griff hier deutlich mehr ein als zuvor. Er besprach sich mit Milberg und Kekilli genauso wie mit den Nebendarstellern. Die Emotionalität der Mutter und der Frust bei Borowskis Assistentin Brandt standen klar im Fokus dieser Sequenz. Inmitten all dieser Wiederholungen blieb Axel Milberg der Ruhepol. Mit stoischer Gelassenheit begann er stets mit der gleichen inneren Ruhe wieder von vorne – gut, wer einen solchen Hauptdarsteller sein Eigen nennen darf.

Für unseren Redakteur endete hier langsam der Vormittag am Set. Die entstandenen rund zwei Minuten Film werden im Rahmen der fertigen Episode sicherlich wiederzufinden sein. Später am Tag wollte man vom Dach aus noch sogenannte Etablierer filmen, in denen Borowski und Brandt am Terminal vorfahren. Und am Nachmittag standen bereits die nächsten Szenen in einem Café auf dem Plan. Übrigens wird in der Episode kein Geringerer als Jürgen Prochnow als Gast mit von der Partie sein – für den meist auf Understatement setzenden Kieler «Tatort» fast ein Casting-Stunt, den man sich aber schlicht leisten kann, weil die Reihe Aktionen dieser Art eben gar nicht nötig hat und einen Prochnow aus reiner Freude an der darstellerischen Potenz an Bord holen kann.

Was bleibt ist ein äußerst positiver Eindruck vom Dreh des Kieler «Tatort». Familiär und doch fokussiert greifen alle Rädchen ineinander und ergeben ein Bild, das bei unserem Redakteur die Wertschätzung beim Schauen im TV zukünftig nur noch steigern wird. Für Herrn Milberg gilt das ohnehin.

Borowski und Brandt ermitteln das nächste Mal in «Borowski und die große Stille» nach einem Drehbuch von Henning Mankell. Ein Termin steht noch nicht fest. Zudem ist Borowski im Herbst 2016 an der Seite von Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) im 1000. Tatort zu sehen. Unter dem Titel «Taxi nach Leipzig» (so hieß auch der allererste Tatort von 1970) wird dann Seite an Seite ermittelt. Der Fall «Borowski und das verlorene Mädchen», für den wir die Dreharbeiten besucht haben, ist erst 2017 im TV zu sehen.

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