Wie jedes Jahr stellten die großen Networks in den vergangenen anderthalb Woche ihre Pläne für die kommende TV-Saison vor. Der zynische Beobachter mag hierin eine Art Viehmarkt für die TV-Branche sehen und vielleicht zu dem Schluss kommen, dass die vorgestellten Serien, mehr oder weniger nur Füller zwischen Werbespots sind. Aber auch wenn die Macht der großen Networks im Angesicht eines immer in kleinere Stücke auseinanderbrechenden Fernsehmarktes Jahr für Jahr ein kleines Stück mehr an Bedeutung zu verlieren scheinen, sind die Upfronts immer noch ein wichtiges Ereignis für Fernsehschaffende und Fernsehende. Wir haben noch einmal unsere Upfronts-Experten zusammengetrommelt, die ihre Meinungen, Hoffnungen und Enttäuschungen zur kommenden Saison äußern.
Manuel Weis (Chefredakteur):
Die Marschroute der amerikanischen Sender ist dieses Mal ziemlich klar zu erkennen: Risiken und somit mögliche Flops vermeiden, stattdessen Bestehendes verwalten. Das zumindest überrascht nicht, sondern setzt eher den bestehenden Trend fort, lieber noch eine weitere «Chicago»-Serie zu bestellen, als Außergewöhnliches zu produzieren. Die Sache spitzt sich dieses Jahr aber vor allem bei FOX und NBC zu, wo die noch halbwegs interessanten Neustarts sogar bis nach Jahreswechsel zurückgehalten werden. Fraglos: Es sind Formate wie «24: Legacy», «Bull» oder auch die historische Shonda-Rhimes-Serie «Still Star-Crossed», über die in den kommenden Monaten überdurchschnittlich viel gesprochen wird. Während «Bull» sich wie ein typisches 0815-Procedural von CBS liest, erweckt «24: Legacy» den Eindruck eines lauwarmen Aufgusses der Action-Serie mit noch mehr Wumms.
So sind die spannenden Versuche eher bei ABC zu sehen, einem Sender, der zuletzt ziemlich abhängig war von Shonda Rhimes. Diese aber schwächelte - «The Catch» funktionierte weder beim Publikum, noch bei den Kritikern, «How to Get Away with Murder» verlor im zweiten Jahr zahlreiche Fans. Versagt ihr ungewöhnliches «Still Star-Crossed», was nicht komplett unwahrscheinlich ist, hat Rhimes sicher ein paar Kratzer im Lack. Dennoch aber muss sich ABC in diesem Jahr die wenigsten Vorwürfe gefallen lassen. Während man die neue Kiefer-Sutherland-Serie «Deignated Survivor» sogar als wirklich innovativ bezeichnen kann, klingt das Drama «Conviction».
Spannend wird zudem zu sehen sein, ob FOX’ neues Musik-Drama «Stars» auf einer annähernd enormen Erfolgswelle wird schwimmen können wie «Empire». Vermutlich nicht. Und spannend wird sein, ob im Sitcom-Bereich, der in diesem Sommer wieder so richtig auflebt, ein großer neuer Hit dabei ist. Und auch hier macht ABC («American Housewife!») den besten Eindruck. Allein in Kenntnis der Historie von ABC und Sitcoms schwindet der Glaube daran, dass das Format auf Dauer sechs oder sieben Millionen Amerikaner erreichen kann.
Fabian Riedner (Geschäftsführer):
Top:
In den vergangen Tagen haben die fünf amerikanischen Networks das Programm für die nächste TV-Saison vorgestellt. Das Highlight ist zweifelsohne einmal mehr die Neuauflage von «24», obwohl der Chuck Norris von FOX - Kiefer Sutherland als Jack Bauer - nicht mehr dabei sein wird. Die Serie hat im Gegensatz den vielen anderen Dramen der Networks einen großen Cast, einen durchgehenden roten Faden und reichlich Action.
Auch hinter den Kulissen sind die Weichen auf Erfolg gestellt: Kiefer Sutherland und die bisherigen Produzenten wie Evan Katz und Howard Gordon sind an der Neuauflage beteiligt. Die beteiligten Schauspieler sind weitestgehend unbekannt, sodass die Darstellerkosten zunächst niedrig sind. Insgesamt kann man also davon ausgehen, dass wir das bisherige «24» in einem neuen Umfeld wieder bekommen.
Flop:
Die Neuerfindung des Rads ist den amerikanischen Networks noch nicht gelungen. Vor zwölf Jahren warfen die amerikanischen Sender mit «Lost» und «Desperate Housewives» großartige und neue Stoffe auf den Markt. Der Redakteur, der die Gelder für den «Lost»-Dreh genehmigte, wurde für die Verschwendung entlassen. Stattdessen kündigt CBS und Konsorten weitere Spin-Offs an: Alleine der Marktführer arbeitet an Fortsetzungen zu «CSI», «The Good Wife» und «Star Trek».
Bei NBC gibt es inzwischen vier Serien aus dem «Chicago»-Universum plus einen Ableger von «The Blacklist». Inzwischen wollen die Kreativen der Branche allerdings lieber mit Amazon und Netflix zusammen arbeiten, da es dort große Serienredaktionen nicht gibt. Ein «Lost»-Produzent erzählte mal, dass er mit einem Redakteur über eine mystische Statue diskutieren musste, wieso diese statt vier Zehen nicht sechs haben könne. Weniger Bürokratie, mehr Freiraum: Mit Formaten wie «Fuller House», den Marvel-Serien, «House of Cards» und zuletzt «Marseile» ist der kalifornische Streaminganbieter Netflix "Talk of the Town".
Vielleicht müssen die Networks noch weiter an Boden verlieren, sodass die Verantwortlichen erkennen, dass der Zuschauer nicht auf durchgetaktes Werbefernsehen á la 90er Jahre stehen.
Dennis Weber, Sidney Schering und Stefan Turiak teilen auf der nächsten Seite ihre Meinungen zu den Upfronts mit
Es gibt 4 Kommentare zum Artikel
21.05.2016 06:13 Uhr 1
02.06.2016 11:01 Uhr 2
Na dann eben nicht...
03.06.2016 12:36 Uhr 3
Ich kann nicht direkt für die Kollegen sprechen, aber in der Regel soll damit ein Schwerpunkt gesetzt werden, welche Produktionen als besonders wichtig erachtet werden und damit besonders auffallen sollen und welche Produktion eher weniger wichtig sind.
19.05.2017 16:58 Uhr 4