«The Voice»: Eine große Promo-Tour - für die Coaches
«The Voice»: Wer war wie oft Coach?
- 4 Mal: Rea Garvey
- 3 Mal: Nena, The BossHoss
- 2 Mal: Xavier Naidoo, Samu Haber, "Fanta 2" (Beck & Smudo), Stefanie Kloß
- 1 Mal: Max Herre, Andreas Bourani
Aktueller Stand für Staffel sechs: Rea Garvey und Stefanie Kloß steigen aus, Samu Haber kehrt zurück, Michi Beck und Smudo bleiben.
Auf der anderen Seite liest sich die kommerzielle Bilanz der Show, die doch so viel Wert auf Qualität legt, im Bezug auf die Kandidaten doch eher enttäuschend: Auch nach fünf Jahren ist es noch keinem einzigen Sieger gelungen, die Spitze der Single-Charts zu erklimmen. Manch ein Nick Howard oder eine Charley-Ann Schmutzler war schon relativ bald nach dem Staffelfinale wieder in der Versenkung verschwunden, selbst die Siegerin der Premierenstaffel Ivy Quainoo dürfte nur eingefleischten Pop-Fans noch ein Begriff sein. Seit dem vergangenen Jahr scheint man aber den «Eurovision Song Contest» als Zweitverwertung für die Sieger ausgemacht zu haben, was freundlich gesagt bislang eher in Maßen aufgegangen ist: Andreas Kümmert begeisterte zwar das Publikum zunächst mit seinem Gesang, brüskierte es anschließend aber umso dramatischer mit seinem Rückzieher nach gewonnener Wahl - ein PR-Waterloo der schlimmstmöglichen Sorte für einen Künstler, der sich noch nicht auf dem Markt etabliert hatte. Und Jamie-Lee? Sympathisch, nett und brav in jeder Hinsicht, doch spätestens nach der neuerlichen roten Laterne eventuell schon ähnlich "verbrannt" wie Ann-Sophie im Vorjahr. Bitter, wenn man ein solches Adjektiv bei einer 18-Jährigen gebraucht.
Hätte sie also bessere Chancen gehabt, wenn sie auf eine Teilnahme in Stockholm verzichtet hätte? Wohl eher nicht, denn ihr Song "Ghost" verpasste sogar unmittelbar nach dem Staffelfinale die Top Ten und fiel derart schnell ins Bodenlose, dass er schon nach vier Wochen nicht einmal mehr in den Top 100 zu finden war. Einmal mehr blieb der große Chart-Hype hier also mehr oder minder komplett aus, allerdings in diesem Jahr so dramatisch wie nie zuvor. War das deutsche Desaster auf internationaler Bühne also letztlich vorhersehbar? Ganz überraschend jedenfalls dürfte es für Kenner der Branche nicht gekommen sein, denn Jamie-Lee begeisterte schon hierzulande zu keinem Zeitpunkt so wirklich: Weder nach dem «The Voice»-Finale noch nach dem Vorentscheid und schon gar nicht nach der Endrunde. Und auch für ihr Album "Berlin" läuft es bislang eher schlecht als recht.
Dass man manchmal einen etwas längeren Weg als den von der TV-Mattscheibe rein in die Verkaufscharts gehen muss, zeigt in diesen Tagen allerdings Max Giesinger: In Staffel eins noch Finalist unter der Obhut von Xavier Naidoo, schien er schon längst wieder in die Bedeutungslosigkeit abgerutscht zu sein. Seine neue Single "80 Millionen" allerdings verbucht derzeit veritable Erfolge und hat sogar das Potenzial, im Zuge des EM-Radio-Airplays zu einem Sommerhit ähnlichen Ausmaßes wie Bouranis "Auf uns" vor zwei Jahren zu avancieren, auch Giesingers Album "Der Junge, der rennt" verkauft sich nicht schlecht. Stimmlich und charakterlich scheint er seit seiner «The Voice»-Teilnahme, wo er nicht immer auf Augenhöhe mit den stärksten Mitbewerbern war, gereift und der Casting-Stempel dürfte ihm nun weniger anhaften als vielen seiner Kollegen. Damit ist er bisher allerdings auch eine Ausnahme - und könnte sich letztlich doch auch noch als kommerzielle Eintagsfliege entpuppen.
Der «ESC»: Der Charthit bleibt wohl diesmal aus
Mit über neun Millionen Zuschauern hatte der «Eurovision Song Contest» in diesem Jahr noch etwas bessere Voraussetzungen, sich in Deutschland nachhaltig ins kollektive Gedächtnis zu rufen, als in den vergangenen vier Jahren, als jeweils nur zwischen acht und neun Millionen Menschen zugesehen hatten. Doch vor allem die Siegerin Jamala hat zwar am Abend selbst europaweit mit ihrer emotionalen Ballade "1944" sowie deren zumindest andeutungsweise zweifelsfrei vorhandenen politischen Message begeistert, stellt sich nun allerdings im Nachgang als kaum kommerzialisierbar heraus - nicht einmal für einen Einstieg in die Top 100 langte es in der ersten Woche, von einer Steigerung ist kaum auszugehen. Ohnehin ist Jamie-Lee mit ihrem mauen 23. Platz nicht der einzige Act, der mit Blick auf die Hitparade enttäuscht: Australiens prinzipiell doch ziemlich eingängiger Popsong platzierte sich gerade einmal auf Rang 57, Frankreichs Sänger ist auf der 80 zu finden. Einzig Schwedens offensichtlicher Reproduktionsversuch des Matt-Simons-Hits "Catch & Release" traf auf Zustimmung der Plattenkäufer: Nur knapp verfehlte Frans' "If I Were Sorry" einen Einstieg in die Top Ten.
Öffnet man seinen Blick für die Charts der vergangenen Jahre, gab es nach Lena vor allem zwei Titel, die hierzulande auch in den Charts richtig gut ankamen: Loreens Siegertitel "Euphoria", der wochenlang an der Spitze thronte, und das bedächtig-stilvolle "Calm After The Storm" der Common Linnets aus 2014, das am Contest-Abend selbst noch an der Aura Conchita Wursts scheiterte, sich aber als nachhaltiger herausstellte. Auf eine simple Formel lässt es sich kaum bringen, mit welcher Art von Musik die «ESC»-Acts in den deutschen Single-Charts nachhaltig Eindruck schinden können, aber radiotauglich sollte die Nummer schon sein. Dann gehört gewiss noch ein Quäntchen Glück und das Wohlwollen deutscher Radio- und TV-Sender dazu, die Titel noch länger als drei Tage nach dem «ESC»-Abend im Lineup zu lassen und natürlich das Vermögen, am Abend selbst einen positiven Eindruck zu hinterlassen. Große internationale Stars bringt dieser Wettbewerb allerdings schon seit Jahrzehnten nicht mehr wirklich hervor.
Aber keine Sorge, ganz wirkungslos blieb das XXL-Event in Stockholm auch in unserer Hitparade nicht: Weltstar Justin Timberlake sorgte mit seinem launigen und höchst professionellen Auftritt in der Pause nicht nur für einen gewissen Glamour-Faktor, sondern bekam hierdurch auch den finalen Anschub, um nach einem ordentlichen Einstieg auf Platz sieben sein "Can't Stop The Feeling" in Woche zwei schnurstracks an die Spitze zu manövrieren.
Fazit: Vor allem die Großen profitieren
Wenn wir nun also eine finale Lehre ziehen wollen, könnte es die sein, dass von den größeren Musikshows der vergangenen Monate vor allem etablierte Kräfte profitiert haben: Bei «DSDS» und «The Voice» bekamen die Juroren Plattformen über Wochen hinweg Plattformen spendiert, in deren Fahrwasser sich ihre Alben und Songs hervorragend promoten ließen - sei es durch direkte Live-Auftritte mit ihren neuesten Singles, wie es in erster Linie bei «The Voice» praktiziert wird, oder aber zumindest indirekt durch ihre reine Präsenz vor einem Millionenpublikum. Bei «Sing meinen Song» lässt sich etwas überspitzt von einer "Dauerwerbesendung" für die involvierten Acts sprechen, hier zelebriert sich die deutsche Pop-Elite gewissermaßen selbst - macht dies aber auf eine derart clevere Art und Weise, dass der Promo-Charakter des Formats kaum auffällt und in keiner Weise moralisch verwerflich erscheint. Dass jedoch sogar beim «ESC» der Hauptprofiteur ein fernab des eigentlichen Wettbewerbs aufgetretener Vertreter des Establishments ist, divergiert von den Beobachtungen der vergangenen Jahre. Die Organisatoren von der EBU könnten aber durchaus auf den Geschmack gekommen sein, auch in Zukunft große Stars auftreten zu lassen - der Super Bowl lässt grüßen.
Und die Newcomer? Nunja, «Sing meinen Song» bringt vielleicht mit Ausnahme des "Underdogs der Staffel" überhaupt keine hervor, bei den Casting-Formaten sind diese schon seit vielen Jahren zum allergrößten Teil von äußerst temporärer Natur - einzig Stefan Raab verfolgte hier einen etwas langfristiger angelegten Ansatz, indem er den Gewinnern seiner Shows künstlerisch weitgehende Freiheiten ließ und gleichzeitig dadurch förderte, dass er sie auch Jahre später noch hin und wieder in seinen Shows auftreten ließ. Im Normalfall allerdings sind die Casting-Formate auf den schnellen Erfolg ausgerichtet, an die lange Frist denkt kaum jemand: Es geht um Hype, Quote und rasche Absatzzahlen. Und auch der «ESC» hat in letzter Zeit nicht mehr die Celine Dions, ABBAs und Johnny Logans vergangener Dekaden hervorgebracht. Da ist es fast schon bemerkenswert, wenn die Common Linnets mit "Jolene" noch einen zweiten Song in die Hitparade bringen.
Es gibt 4 Kommentare zum Artikel
27.05.2016 09:25 Uhr 1
27.05.2016 14:42 Uhr 2
Musik ist in erster Linie Kunst, und es kann doch nicht sein, dass der Gipfel der musikalischen Evolution der ist, in irgendwelchen Verkaufstabellen ganz oben zu landen? Am besten natürlich nach bestimmten Formeln, nach Erkenntnissen der Marktforschung? Wo bleibt denn da noch Platz für absolute künstlerische Freiheit? Denn die wird durch diese Vereinheitlichung und dieses "Das kann man doch nicht im Radio spielen!" bzw. "Wie soll sich das denn verkaufen?" doch komplett im Keim erstickt? Wer traut sich von den Etablierten denn etwas? Ist künstlerische Freiheit nur im Proberaum erlaubt bzw. ist sie im kommerziellen Sektor nur noch ein Privileg, das Megaseller besitzen? Doch selbst diese Generation ist nahezu ausgestorben (Jackson, Prince, Bowie) - und was haben wir danach? Welchen kommerziell extrem erfolgreichen Künstler oder welche kommerziell erfolgreiche Band haben wir denn heute noch? Ich meine solche, die sich alles erlauben können und dies auch tun?
Selbst Adele, die ich eigentlich nicht so sehr mag, war früher mal originell. Sie ist heute Megasellerin. Und wird immer austauschbarer. Da frage ich mich: Wo wird sie in zehn oder zwanzig Jahren sein? Wird da jemals etwas Mutiges kommen? Von ihr oder von irgendjemandem?
Und selbst wenn so etwas tatsächlich mal geschieht, dann wird es im Radio spöttisch kommentiert.
Noch nie war der kommerzielle Markt so im A*!$@, so blutarm, so identitätslos. Wo sind sie denn, die innovativen Künstler in TV und Radio? Und wenn, woher will man sie holen? Aus "Talentschmieden" im TV?
Für mich ist kommerzielle Musik anno 201x nur noch eine pervertierte Abart einer eigentlichen Kunstform. Nach Reißbrett, nach Kalkül.
Daher müsste man eigentlich fragen: Wie relevant sind Charts für die Musik als Kunstform?
27.05.2016 15:57 Uhr 3
Naja, deinen idealistischen und künstlerisch orientierten Ansatz in Ehren, aber das war schlicht und einfach nicht der Ansatzpunkt, auf dem mein Artikel fußt. Der war ja von vornherein kommerziell orientiert und sollte eher einen Überblick darüber geben, ob die Formate erfolgreiche Chart-Ware produzieren und wenn ja, ob sie ihre Produkte längerfristig positionieren oder sie nur den schnellen Hype schaffen, der nach wenigen Wochen oder inzwischen sogar oft Tagen wieder passe ist.
Du gehst da mit einer ganz anderen Ausgangsfrage heran - die auf jeden Fall auch interessant und diskutabel ist, meines Erachtens aber die in meinem Artikel gestellte Frage nicht obsolet machen. Wenn wir uns der Realität beugen, geht es dem deutschen Fernsehen natürlich primär NICHT darum, große, kreative Kunst zu erschaffen, sondern massentaugliche Musik, die leicht absetzbar ist. Ist sicherlich schade für den Musikfan, zumal da oft nur Luftblasen produziert werden, die nach dem ersten Hype schnell zerplatzen. Aber als "pervers" empfinde ich meine Frage nicht.
Bei Adele frage ich mich, wann sie denn mal wirklich originell gewesen sein soll? Ich meine, "Rolling In The Deep", "Someone Like You" etc. waren famose Pop-Produktionen und Adele ist eine hinreißend starke Sängerin, aber als besonders kreativ empfand ich auch diese Songs nicht. Und meines Erachtens gibt es durchaus noch immer kreative Ansätze auch in der Pop-Musik, wo ich beispielhaft mal Jack Garratt genannt haben möchte. Wanda und Bilderbuch aus Österreich bringen interessante Ansätze in die deutschsprachige Pop-Musik, viele nennen Drake im RnB-Bereich (was mich musikalisch null abholt, aber dem ich schon zugestehen muss, eine gewisse eigene DNA zu besitzen). In Deutschland habe ich in den vergangenen Jahren vornehmlich das Hip-Hop-Genre für mich wiederentdeckt, das es für mich derzeit hierzulande als quasi einziges Genre schafft, mit gesellschaftsrelevanten Inhalten erfolgreich zu sein. Da fielen mir als erste Beispiele OK Kid und das letzte Alligatoah-Album ein.
Also für mich ist nicht alles, was in diesen Zeiten kommerziell erfolgreich ist, strömlinienförmig und komplett nach Schema F und ich mag auch diese "früher war alles besser"-Rhetorik nicht hören. Dass vieles in den Top 100 ziemlicher Einheitsbrei ist... keine Frage.
Fohlen
24.05.2017 09:12 Uhr 4